Wenn man der so Angebeteten einen anderen Vornamen gibt und sich unter „lieblich“ etwas ganz anderes als uninspirierten Kitsch vorzustellen bereit ist, öffnet das Gedicht von Novalis durchaus einen Zugang zur Kunst von Sylvia Manfreda. Frauenportraits nehmen darin einen breiten Raum ein und ziehen sich wie ein Leitmotiv durch ihr gesamtes Werk.
Sie sind aber nicht vom lebenden Modell abgenommen, sie sind Bilder von Bildern von Bildern. Die Frauen von Gustav Klimt, die Sonjas, Emilias, Mädas, Adeles, spielen darin die bevorzugte Rolle. Jedermann kennt sie, auch wenn sie nicht zum aktiven Wortschatz gehören, so kann man darauf vertrauen, sie irgendwann irgendwo schon gehört und gesehen zu haben. Es ist wie mit der Stillen Post, wenn der Gedanke des Künstlers auf der Leinwand, dem Blatt Papier oder im formbaren Material auf- und abgearbeitet, dann ausgestellt, fotografiert, gesendet, gedruckt, plakatiert und medial zur Verfügung gestellt wird.
Sylvia Manfreda beteiligt sich gern an dem Spiel, nur ist ihr Zugriff viel radikaler als das Bemühen um möglichst getreue Wiedergabe des Vorbilds, die dieses Verfahren üblicherweise verlangt. Ihr geht es nicht um die sichtbare Ähnlichkeit, sondern um Qualitäten des Ausdrucks, die gefühlt und erspürt werden wollen. Und es gehört zu den besonderen Qualitäten der Künstlerin, diese wiederum sichtbar zum Ausdruck bringen zu können. Motive werden dabei neu gewichtet und arrangiert, und ein flüchtiger Blick aus dem Augenwinkel genügt, um das einmal gewonnene innere Bild am äußeren zu überprüfen. „Lieblich“ wird das in den seltensten Fällen, dafür aber wahr. Manfredas Kunst gilt als eine, deren Botschaft ohne Hintergedanken und unverfälscht ist (um nicht zum hundertsten Mal die Bezeichnung „brut“ zu bemühen, die für Schaumweine wesentlich besser taugt als für Kunst).
Auch die persönliche Gestimmtheit schlägt sich im Malprozess nieder und ist im Ergebnis nachzuvollziehen: Das Kratzen der Buntstifte auf dem Papier, das Verwischen und Verblasen der Kreide sind Niederschläge spontaner, aber in täglicher Übung kontrollierter Ausdrucksgesten mit einer unglaublichen Breite an Variationen. Da wird ein Kreis zum Kreisen, ein Streicheln zum Strich, deren Spuren, weil sie sich von den Zwängen der äußeren Form emanzipiert haben, auf der gesamten Bildfläche in einer neuen Ordnung und in mehreren Schichten zu finden sind.
Auch die Metapher von der „persönlichen Handschrift“ ist hier ganz wörtlich zu nehmen: Die Punkte und das kleine f mit der gigantischen Unterlänge in ihrem Eigennamen gestalten selbst die Beschriftungen und Signaturen zu eigenständigen, selbstvergewissernden Bildelementen. Das hätte sich Gustav Klimt nicht einmal in seiner späten expressionistischen Phase geleistet. Eher schon Vincent van Gogh, der die Selbstvergewisserung bekanntlich mit dem eigenen Ohr bezahlt hat. Manfreda hat seine Schwermut in ein zartes, einfühlsames Pastell gefasst. Dieses Kunstwerk kann man übrigens im Dolomitenstadt-Kunstshoperwerben.
Obwohl sich Sylvia Manfreda beinahe tagtäglich den Schwergewichten der Kunstgeschichte aussetzt, ist es ihr noch immer gelungen, ihre Arbeit vor den Verunreinigungen des kunstbetrieblichen Sachzwanges und unangemessenem Einfluss zu schützen. Auch wenn sie mittlerweile die im Vergleich zu anderen eher seltenen öffentlichen Auftritte durchaus genießt, fühlt sie sich dort nie so im Mittelpunkt wie beim Zeichnen und Malen. Selbst in den Arbeitspausen, in denen sie Puzzles aus 1000 Teilen quasi im Handumdrehen zusammenfügt oder für die Kolleginnen und Kollegen in der Kunstwerkstatt Lienz den Tee zubereitet, ist sie am liebsten allein. Alles muss fertig werden und unnütze Tätigkeit gibt es nicht. Das gilt sogar für das Zeichengerät, das erst nach vollständiger Verausgabung und Erfüllung seiner Bestimmung, bis auf das Existenzminimum zusammengekürzt, außer Dienst gestellt wird. Aber das kennt man nicht nur im Kontext von Kunst.
Keine Postings
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren