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Haben wir zuviel oder zuwenig Europa? An dieser Frage scheiden sich die politischen Geister. Foto: Europäisches Parlament/Kovacs

Haben wir zuviel oder zuwenig Europa? An dieser Frage scheiden sich die politischen Geister. Foto: Europäisches Parlament/Kovacs

Ist die Europäische Union „der Feind von oben“?

Die EU ist Sündenbock für Populisten. Doch ohne sie sähe Österreich anders aus.

Brauchen wir Europa? Mit den Worten „Wir wollen diese EU zerstören“  gibt Marine Le Pen (Chefin des rechtspopulistischen Rassemblement National) darauf eine recht klare Antwort. Auch andere rechtspopulistische Parteien lassen sich in der Europafrage maximal zu einem „Ja, aber“ hinreißen. Verständlich – stellt die Europäische Union in der rechtspopulistischen Logik ja den großen „Feind von oben“ dar. Die da oben in Brüssel, so der Tenor am rechten Rand, ließen es sich auf Kosten der Steuerzahler gut gehen, würden im Namen von „Multikulti“ Islamisten ungehindert nach Europa lassen und würden versuchen, die Identität der einzelnen Völker auszulöschen.

So weit, so gut. Doch wie würde Österreich heute ohne die EU aussehen? Was wäre, wenn Europa nie von einem Stier entführt worden wäre und so einem ganzen Kontinent ihren Namen gab?

Was heute oft marginalisiert wird: Die EU ist aus den Trümmern zweier Weltkriege entstanden. Das Ziel: Nie wieder Krieg. Und dieses Vorhaben hat die EU eingehalten. Angefangen als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war die Idee einfach: Wer wirtschaftlich zusammenarbeitet, bekriegt sich nicht. Die nun auf 28 Mitgliedsstaaten angewachsene Union sichert seit 70 Jahren europäischen Frieden – wobei Frieden natürlich relativ ist. Die Annexion der Krim 2014 ist nur ein Beispiel für militärische Konflikte innerhalb Europas, doch mit dem katastrophalen Ausmaß der Weltkriege nicht vergleichbar.

Auch wirtschaftlich würde Österreich ohne einen EU-Beitritt wohl anders aussehen. Zwar wird mit einem Blick auf die Schweiz oft mit einem „Öxit“ geliebäugelt, vergleichen lassen sich die zwei Nationalstaaten in dieser Hinsicht allerdings nicht. Hätte Österreich auf einen Beitritt verzichtet, hätte der Mini-Staat wohl bald seine Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt und wäre hinter die EU-Länder zurückgefallen. Seit dem EU-Beitritt haben sich Österreichs Exporte hingegen verdreifacht.

Somit sollten eigentlich alle Zeichen auf Erfolg deuten. Doch eine gewisse Unruhe liegt in der Luft. Politologin Ulrike Guérot nennt es einen „Kalten Frieden“. Zwar scheint Umfragen zufolge Krieg bei den EU-Bürgerinnen und Bürgern heute undenkbar zu sein, jedoch sieht sich Europa heute mit politischen Spaltungen, einer „Flüchtlingskrise“ und einem  Vertrauensverlust seit der Eurokrise konfrontiert. Globalisierung ist ein Reizwort geworden und die Angst vor Statusverlust immanent. Guérot sieht darin die Vorzeichen eines potenziellen europäischen „Bürgerkrieges“, der sich, beflügelt von Populisten, gegen die Europäische Union aufbäumt. Anfangs noch dystopisch, appelliert sie in ihrem Buch „Der neue Bürgerkrieg“ nach dem Motto „Krise ist gleich Chance“ an die Gründung der „Vereinigten Staaten Europas“ – das Aus der souveränen Nationalstaaten und somit der Anfang einer Europäischen Republik.

Ihre Ideen mögen in der heutigen Zeit, in der der Ruf nach mehr Souveränität der Mitgliedsstaaten und eine Beschränkung auf eine rein wirtschaftliche Zusammenarbeit lauter wird, absurd klingen. Doch schließlich ist die Idee des Nationalstaates selbst eine junge. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts zerfielen große Monarchien in unabhängige Staaten. Und auch die Vorstellung der „Nation“ ist am Ende nur ein Konstrukt des Menschen und keinesfalls natürlich gegeben.

Der Ruf nach den Vereinigten Nationen Europas ist indes, wenn auch abgemildert, auch in der Politik angekommen. Die Neos fordern beispielsweise eine europäische Staatsbürgerschaft samt gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik sowie einer eigenen EU-Armee.  Das Gegenstück zur rechten Abschottungspolitik sozusagen.

Was der rechte Populismus jedoch mit den futuristischen Visionären gemein hat, ist die Kritik an der Handlungsunfähigkeit der EU. Denn nur wenige europäische BürgerInnen denken an Frieden und Wohlstand, wenn es um die Europäische Union geht. Bürokratie und ein Komplex an Regelungen und Gesetzen, in dem die Bedürfnisse des Bürgers verloren gehen, werden stattdessen stark mit der EU assoziiert, die berüchtigte Gurkenkrümmungsverordnung nur als ein Beispiel genannt.

Doch auch hier gibt es Relativierungsbedarf: In der Europäischen Kommission sind circa 25.000 Beamte beschäftigt, während der Frankfurter Flughafen auf rund 70.000 Personen zurückgreifen kann. Ja, die EU ist komplex, jedoch besteht sie schließlich aus (noch) 28 Mitgliedsstaaten und ist somit nicht einfach mit einem einzelnen Nationalstaat vergleichbar – auch wenn in vielen Bereichen zweifelsfrei Reformbedarf herrscht.

Vielmehr hält die Europäische Union immer wieder als Sündenbock her – für Populisten, aber auch für andere PolitikerInnen, die „Brüssel“ gerne für unpopuläre Maßnahmen verantwortlich machen.

Europa ist jedoch mehr als Bürokratie. Europa wirkt von der Luft, die wir atmen bis zum wohl besungenen griechischen Wein in österreichischen Läden. Vom einfachen Reisen über die Grenze nach Südtirol bis zum Auslandssemester in Paris.

Zurück also zur Ausgangsfrage: Brauchen wir Europa? In einer Zeit der zunehmenden globalen Vernetzung ist eine europäische Zusammenarbeit unabdinglich. Die Frage dreht sich somit weniger um „Europa oder nicht Europa“, sondern eher „wieviel Europa?“. Eine Frage, deren Antwort wohl die kommende EU-Wahl bringen wird.

4 Postings

Gertrude
vor 6 Jahren

Wir leben in einem der besten und schönsten Ländern der Welt. Noch nie ist es der Bevölkerung so gut gegangen wie jetzt. Warum nur sind so viele Menschen so unzufrieden? Weltweit gibt es Krieg und Terror und wir lassen uns von Populisten einrreden, dass es uns nicht gut ginge? Einfach mal kurz innehalten und nachdenken!

 
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    steuerzahler
    vor 6 Jahren

    Das ist schon richtig, aber es gibt vieles, das nicht in Ordnung ist. Was mich am Meisten stört, ist die fehlende direkte Demokratie. Mit Volksabstimmungen könnte man einige Irrwege vermeiden und alle sind an Europa beteiligt. Derzeit hat man öfters das Gefühl, daß die Lobbyisten regieren. Auch so manche Geldverschwendung muß beendet werden. Die Regulierungswut sowieso.

     
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Klettermaxi
vor 6 Jahren

Die Menschheit wird weltweit manipuliert, belogen, bewusst falsch informiert und Wahrheiten zurückgehalten. Dies trifft gleichermaßen auch auf die EU zu. Land und Menschen verlieren ihre Autonomie und sollen mundtot gemacht werden. Wenige Großkonzerne und Lobbies profitieren, der kleine "Mann" bleibt auf der Strecke. Meine ganz persönliche Meinung und ich bin kein Populist !

 
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    Rudi
    vor 6 Jahren

    Ich glaube nicht dass ich mich schämen müsste ein Populist zu sein bei der jetzigen Zeit.

     
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