„Johannes de Eyck fuit hic“, unterschrieb Jan van Eyck 1434 sein Portrait eines frisch vermählten Paares in Brügge, mit dem er das Bildverständnis der Neuzeit grundlegend revolutionierte. Er war selbst hier und das Zeugnis seiner Anwesenheit beglaubigt nicht nur die Hochzeit, sondern auch den Ort und die Zeit des Geschehens. Über sein eigenes Aussehen verrät er uns allerdings nichts.
Wie beim „Kilroy was here“ in den Graffitis von US Soldaten an den Schauplätzen des Zweiten Weltkriegs bleibt der Verfasser der Nachricht verborgen. Erst die Maler der italienischen Renaissance wagten es, im Bild einen Platz für ihr Selbstportrait zu beanspruchen. Dank Selfiestange und Smartphone ist heute das eigene Bild an allen möglichen und unmöglichen Orten der Welt zum Massenphänomen degeneriert. Auch wenn man Paul Albert Leitners fotografische Selbstinszenierungen gelegentlich damit verglichen hat, erhebt seine Arbeit konsequent Einspruch gegen den Mainstream, und, wann immer man den Beginn desselben datieren mag, der 1957 geborene Jenbacher war vorher schon da!
Das Metier verdankt dem vielleicht eigenwilligsten Autorenfotografen Österreichs etliche Ikonen, auf denen er sich, am liebsten im – nicht ganz – nach Maß geschneiderten, hellbeigen „Fotoanzug“ (es gibt auch noch andere), auf unterschiedlichsten Bühnen vor seine Zitate aus der romantischen Variante der Pop Art schiebt. Dabei sind seine Kulissen nicht die bekannten Attraktionen und Wunder, vielmehr Unscheinbares und wenig Beachtetes, das erst aus dem präzisen Blickwinkel des Künstlers und dessen Auftritt als Weltenbummler und Bonvivant seine Größe bezieht.
So hat er sich seit Jahrzehnten in das Gedächtnis seiner Fans eingeschrieben – auch in meines, weshalb ich ihn bei unserer ersten Begegnung auch nicht wiedererkenne: den bescheidenen Arbeiter hinter der Kamera und der Bühne. Er ist kein Smalltalker aber pausenlos mitteilsam, trifft mit Bedacht seine Wortwahl, und auch wenn er nahezu jeden zweiten Satz mit „Du musst wissen …“ einleitet, doziert er nicht. Vielleicht aber ist er gerade deshalb als Vortragender bei fachspezifischen Lehrveranstaltungen so gefragt.
Die Kunstfigur im Fotoanzug zelebriert das Alter Ego Paul Albert Leitners, wer oder was aber ist sein tatsächliches Ich? „Die Fotografie bin Ich“, diktiert er mir frei nach Ludwig XIV. „L‘etat c‘est moi“. Und er legt Wert darauf, dass ich sein Medium keinesfalls mit dem retrospektiven „ph“ buchstabiere. Auch das habe ich nicht erwartet, stammen sein Werkzeug und manches Stilmittel doch aus einer Zeit, in der diese Schreibweise durchaus noch üblich war. „Sie begleitet mich auf all meinen Wegen, durch alle fünf Kontinente, außer: Antarktis und Arktis.“ Aha. Dass in dieser Paradoxie Leben und Tun Paul Albert Leitners auf eine zwingende Formel gebracht sind, erschließt sich erst der Betrachtung seines Gesamtwerks, das Fundstücke, Stillleben, Collagen oder die Wiederbegegnung des Wahlwieners mit der Kultur seiner Tiroler Heimat umfasst und noch weitere Überraschungen in Aussicht stellt. Wohl auch für ihn selbst.
Sigmund Freuds Kränkungen der Menschheit, dass nämlich die Erde nicht Zentrum des Weltalls, der Mensch nicht grundlegend verschieden vom Tier und das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist, reiht Leitner, der bis vor wenigen Jahren weder Computer noch Handy besaß, das Internet an: „Es hat die asozialen Medien hervorgebracht.“
Obwohl er inzwischen auch gern über WhatsApp kommuniziert, was die Verständigung allgemein und mit ihm im Besonderen allerdings weder schneller noch effizienter gestaltet, ist seine Skepsis gegenüber der Digitalisierung essenziell: Leitner fotografiert mit einer analogen Kleinbild-Spiegelreflexkamera, denn nur sie garantiert die Wahrheit der Bilder. „Ich fotografiere, dokumentiere, ich sehe, ich blicke“, nicht etwa „ich erfinde und manipuliere“, fasst er sein Credo zusammen. Das (Sonnen-)Licht und scharfe Kontraste komponieren von anderen kaum für bildwürdig erachtete Sujets und setzten Details in ein Sein, das ihnen die Geschwindigkeit digitaler Medien nie zugestehen kann.
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