Treffpunkt ist die Kunsthalle Exnergasse. Schon die Adresse, das Werkstätten- und Kulturhaus (WUK) im 9. Wiener Gemeindebezirk, lässt vermuten, dass die Ausstellung „Fame/Fake/Fail and Fear – Schwarze Melange“ gesellschaftspolitische Themen verhandelt. Gabriele Sturm ist mit „SÜD EIS“ eine der beteiligten Künstlerinnen. Ausgangspunkt ihrer Installation ist das statische Manifest, das sie zur wesentlich aktiveren Form der Petition weiterentwickelt. So bietet es sich an, das Gespräch mit dem Politischen in der Kunst zu beginnen.
Rasch stellt sich heraus, dass die Bürgerinitiative in ihrer Installation keine Abbildung darstellt, sondern tatsächlich eine solche ist, gegründet von der Künstlerin selbst. Sie kämpft als Aktivistin und als Künstlerin für den Schutz eines für die Bevölkerung des 10. Bezirks relevanten Freiraums, der verbaut werden soll. Es handelt sich um einen „großen Sportplatz in einem Naturparadies in der Stadt, das auch als Begegnungszone wichtig ist“, erklärt Gabriele Sturm. Sie kennt die Gegend gut, steht doch ihr Atelier in diesem Bezirk. Häufig hat sie Pflanzen der Wildblumenwiese auf dem Areal porträtiert.
Das (Gesellschafts-)Politische findet sich in der einen oder anderen Weise in all ihren Werken. Es interessieren sie Themen, die mit ihrer direkten Umgebung verknüpft sind, mit der Realität und den Verflechtungen dieser, denn wie sie formuliert: „Die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse reichen bis in unsere privatesten Räume.“
Recherche allein reicht nicht
Wenn sie ein Thema zu interessieren begonnen hat, legt sie Wert darauf, dieses durch und durch zu bearbeiten. „Sehr typisch für meine Arbeit ist, dass die Realität nicht nur gestreift wird, sondern eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihr stattfindet. Wenn mich der Weg der Tomate interessiert, fahre ich mit einem LKW den ganzen Transportweg mit.“ Das sagt sie nicht einfach so, die Reise hat tatsächlich im Jahr 2007 stattgefunden. In einem Video hat sie die endlose Fahrt festgehalten, unterbrochen von den Textnachrichten, die sie verschickte – künstlerische Kommentare einer Reise, die das Essen täglich zurücklegt, doch die kaum jemals ins Bewusstsein der KonsumentInnen rückt.
Ein anderes Mal fand Gabriele Sturm eine Feder. Um einen Bezug vor Ort für ihre eigene Ausstellung in Bremen zu suchen, ging sie ins Übersee-Museum. Die dort entdeckte Feder erinnerte sie an einen Hut, den sie in der Kindheit gesehen hatte, doch den Paradiesvogel, dem die Feder gehörte, kannte sie nicht. Sie fragte nach, den Hut samt Feder gab es tatsächlich, so begann sie zur Herkunft des Vogels zu forschen und landete bei Themen wie Kolonialismus und dem frühen Handel zwischen Bremen und Wien. Als die Recherche zu stocken begann, sobald sie mehr über die Bedeutung des Paradiesvogels in seiner Heimat wissen wollte, machte sie sich auf die Reise. „Man fängt manchmal mit so etwas Kleinem an und endet in Papua Neuguinea“, sagt sie heute schmunzelnd dazu. Eine Arbeit aus dem Paradiesvogel-Zyklus von Gabriele Sturm zeigen wir auch in der Dolomitenstadt-Onlinegalerie!
Den Erkenntnisgewinn solcher Projekte gibt sie an das Publikum weiter. Die Frage, ob demnach politische Bildung zu ihrer Kunst gehöre, findet sie belustigend. Lieber spricht sie den Menschen Mut zu, nachzudenken und aufzustehen: „Kunst hängt für mich stark mit dem Versuch zusammen, Realität zu verstehen, zu gestalten, zu visualisieren und zu artikulieren.“ Nicht zuletzt als Ermutigung zu einem emanzipatorischen Prozess.
Am Anfang stand die Malerei
Die klar gesellschaftspolitische Seite ihrer Kunst war nicht von Anfang an da, obwohl sich die Künstlerin schon immer für Politik und soziale Zusammenhänge interessiert hatte. „Ich habe klassisch begonnen mit dem intensiven Wunsch nach Malerei. Die Sinnlichkeit, die Auseinandersetzung mit Form und Farbe, das war der Anfang und dies bleibt auch immer.“
Bevor sie sich 1995 an der Kunstakademie bewarb, begann Gabriele Sturm mit einer Ausbildung im sozialen Bereich. Hätte es mit der Aufnahmsprüfung nicht geklappt, hätte sie einen anderen Weg eingeschlagen, auch weil Familie und Freunde deutlich gegen eine Karriere als Künstlerin waren: „Aber es hat nichts genützt. Es war nicht vermeidbar.“ Sie wurde nicht nur an der Akademie der bildenden Künste aufgenommen, sondern fünf Klassen standen ihr offen. Sie wählte jene von Markus Prachensky, womit Form/Farbe zum Thema wurde. Irgendwann begann die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen und ökologischen Dringlichkeiten immer deutlicher in die auf formale Fragen konzentrierte Arbeit einzugreifen. „Damit war Prachensky natürlich maximal unglücklich. Er sagte, ‚Malerei muss Malerei bleiben‘, diese inhaltliche Auseinandersetzung störe die Form in der Malerei.“
Als Heimo Zobernig an die Akademie kam, studierte die junge Künstlerin noch zwei Jahre bei ihm, denn „irgendwann war klar, dass es sich für mich nicht ausgeht, einfach nur im Atelier zu produzieren, und draußen vor der Tür passiert das Leben.“
Manchmal sei sie allerdings auch froh, etwas „Leichteres“ zu produzieren, fügt sie heiter hinzu, und so sehr man das versteht, so wenig kann man es glauben, denn die Leidenschaft für die politischen Alltagsrealitäten ist ihr nicht nur in ihrer Arbeit anzumerken. Die Achtsamkeit für gesellschaftliche Zusammenhänge spiegelt sich in ihrem ganzen Auftreten, in jeder kleinen Geste. Mit der Kunst im Elfenbeinturm hat sie jedenfalls nichts zu tun. Diese könnte ferner nicht sein.
Die Installation als natürliche Form
Die Installation scheint daher die folgerichtige Form für ihr Werk. Sie produziert auch klassisch im zweidimensionalen Rahmen, erzählt sie: „Im Ausstellungraum oder im Atelier ist dann natürlich der Raum interessant. Da entsteht eine Referenz und Wechselwirkung der Artefakte zueinander.“ Und sie fährt fort: „In der Malerei, wie in anderen Medien, steht man oft vor einem Kunstwerk und fühlt sich so klein. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich will. Ich finde das Fragmentarische viel schöner als das hermetisch geschlossene Werk, das man bewundert. Bei Installationen begibt man sich in das Kunstwerk, wird Teil davon.“
Gabriele Sturm mag es, wenn sie dadurch Inspiration weitergeben kann. Sie selbst erhält solche im Kontakt mit den Menschen, etwa wenn sie Kooperationen auf transdisziplinärer Ebene eingehen kann. Als Beispiel kommt sie wieder auf die Tomate zu sprechen, diesmal Tomatenkisten, von denen sie hunderte gesammelt hat, weil diese mit ihren Designs Geschichten erzählen. Manchmal geht sie in Orten, in denen sie diese Kistensammlung ausstellt, zu Bauern und Kleingewerbetreibenden und entwirft gemeinsam mit ihnen ein individuelles Design, damit diese ihre eigenen Produkte nicht mit dem Werbeaufdruck großindustrieller Produktion ausstellen müssen. Verschmitzter Widerstand fast nebenbei. Die Arbeit mit den Bauern betrachtet sie als Geschenk.
So wie es nicht nur die eine gesellschaftspolitische Realität gibt, hat die Künstlerin anscheinend unendlich viele Ideen für Projekte und dementsprechend für die Formen der Darstellung. „Ich bin dadurch schon oft bei Ergebnissen gelandet, die ich mir nie zugeschrieben hätte“, sagt sie und fügt hinzu: „Menschen, die öfters eine Ausstellung von mir besuchen, wissen nie, was auf sie zukommt. Hohe Professionalität ist mir wichtig, aber ich mag auch stückweise etwas Amateurhaftes.“
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