Letizia Werth hat zwar bei Wolfgang Hollegha, einem der bedeutendsten Vertreter des österreichischen Informel, studiert, nichts aber liegt ihr ferner als die große Geste in Farbe. Sie hat eine Technik entwickelt, die in subtilsten Nuancen die Skala zwischen Schwarz und Weiß ausschöpft und dabei Malerei und Zeichnung aufeinander einstimmt: das Fließen der Tusche und die Variationen des Bleistifts, der Helligkeitsgrenzen mit scharfen Linien markiert und dann wieder im Sfumato verschwimmen lässt. So erreicht die Transformation von Portraits, Bergpanoramen und Wolkengebilden Qualitäten, die man nicht nur zu sehen, sondern gleichzeitig zu fühlen und manchmal gar zu riechen vermeint.
Dabei schöpft die Künstlerin ihre Motive nicht unmittelbar aus der Natur, sondern aus alten Fotografien, die sie zum Beispiel auf Flohmärkten erwirbt. „Aus analogen Archiven“ lautet auch der Titel der aktuellen Gemeinschaftsausstellung, an der sich Werth mit Zeichnungen von Starlets aus den 1940er bis 1960er Jahren beteiligt, die zurzeit im Kunstforum Montafon gastiert und im nächsten Jahr in Lienz zu sehen sein wird. Den immensen Umfang ihres Archivs drückt Letizia Werth nicht in Zahlen aus, sie kippt ihn einfach von Zeit zu Zeit aus dem Fenster. „Bilderflut“ heißt die – digitale – Videoaufzeichnung dieser Analogie.
Schließlich sind Archive nicht dazu bestimmt, Informationen wegzusperren. Selbst Geheimarchive müssen arbeiten und ausgewertet werden, wenn der richtige Mann sich dazu findet. Oder die richtige Frau, egal. Egal im Sinne von gleichviel, gleich Werth. Letizia Werth legt ihren Schwerpunkt zwar nicht auf das, was man seit dem Ende der 1960er Jahre unter „Feministischer Kunst“ rubriziert, doch stößt ihre Recherche immer wieder auf Zuschreibungen, die sich seit über hundert Jahren als Geschlechterkonstruktion fortpflanzen – in der Mode, der Kunst, und der Wissenschaft. Haben die Klischees sich einmal durch- und festgesetzt, sind sie kaum noch wegzubekommen. Das ist nicht nur bei digitalen Bildern, die sich in den Maschen des World Wide Web verfangen haben, sondern auch bei analogen so. Und die gute alte Zeit gab es nie.
Im 19. Jahrhundert galt der Verrückte eher als genial, die Verrückte eher als hysterisch. Der französische Nervenarzt Jean-Martin Charcot hat letzterer um 1870 ein ganzes Forschungsprojekt gewidmet, Patientinnen in allen Phasen ihrer ekstatischen Konvulsionen beobachtet, hypnotisiert und fotografisch publiziert. Letizia Werth hat eine besonders spektakuläre und für Uneingeweihte an Pathos schwer zu überbietende Pose für die Kunst zurückgewonnen, den „Arc de cercle“, bei dem Probandinnen den Körper kreisbogenartig nach hinten überstrecken. Die serielle Lesung der zwölf lebensgroßen, kaum merkbar variierten Zeichnungen lässt den Betrachter die Vibration des Krampfanfalls förmlich selber spüren.
Mit Letizia Werth präsentiert sich erstmals eine aus Südtirol stammende Künstlerin in der Dolomitenstadt-Online-Galerie. „Cumulus“ ist der Titel einer auf 12 Stück limitierten Serie von Holzschnitten, die mit Tusche überarbeitet wurden und mit Passepartout geliefert werden.
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