Das pastellfarbene Licht von San Francisco
„Zu einer Lesung zu gehen ist immer ein Risiko“, sagt Silvia Ebner, die in Innsbruck las.
Silvia Ebner führt in ihren Lesungen einmal um die Welt und durch eine Biographie voller Abenteuer. Und obwohl ihr Buch vom Sterben handelt, feiert sie das Leben. Zu einer Lesung zu gehen ist immer ein Risiko, sagt die Autorin. „Vor allem, wenn man das Buch nicht kennt.“ Sie lässt den Blick über die jungen und alten Gesichter gleiten, die heute im großen Saal der Tiroler Versicherung, am 29. November in Innsbruck, erwartungsvoll zu ihr hochblicken. Darunter wohl einige, die tatsächlich noch nicht wissen, was sich hinter dem Titel ihrer Geschichtensammlung „Vom Sterben. Und vom Leben“ genau verbergen mag. Und die einfach schauen und hören wollen, ob was Gutes passiert. So wie ich.
Einzig die zugleich tragische wie wunderschön erzählte Geschichte vom Tod eines kleinen Bauernbuben, gedruckt in einem vergangenen Dolomitenstadt-Magazin, diente mir als Referenzpunkt für diesen Besuch. Ein anderer Gast sagt aber mit offener Bewunderung, er habe „noch nie ein Buch so schnell ausgelesen“. Am leichten Stoff liegt das wohl nicht, mehr an der Wärme und dem Sinn für den unfreiwilligen Humor des Lebens, die Ebners Beobachtungen auch in der schwärzesten Nacht noch ausstrahlen.
Eine Lesung, keine Therapiestunde
Die Osttiroler Autorin hat in ihrem ersten Erzählband ihre persönlichen Begegnungen mit dem Tod verarbeitet – und dem, was wir ihm alles entgegensetzen können. Ein fast naturgewaltiger Prozess, zumindest hört es sich danach an: Nachts zwischen drei Uhr und sechs Uhr morgens saß die Englischlehrerin und Mutter von zwei Töchtern am Schreibtisch und schaute ihren Fingern dabei zu, wie sie Szenen und Menschen aus ihrem Leben auf den Bildschirm brachten.
Wie es da aus ihr herauskam, stehe es nun auch drin, denn das Buch sei im Nachhinein kaum redigiert worden. Ja, es wird gestorben in diesen Geschichten – aber kaum an diesem Abend. Ebner will keine öffentliche Therapiestunde abhalten und es würde ihrem Werk auch nicht gerecht, denn im Grunde sei es eine Liebeserklärung an Teil Zwei des Titels – das Leben. „Die Geschichten gehen zwar vom Sterben aus, aber führen alle zum Leben hin“, sagt Ebner.
So wie ihre Reisen sie auch schlussendlich zu sich geführt hätten. Aber Zeuge einer Nabelschau wird man deshalb nicht. Dazu beweist die Autorin zur viel Interesse für alles, was sich außerhalb ihres eigenen Kosmos abspielt.
Die Lust am Wesen der anderen
Begegnungen mit der Welt, mit dem Leben und den Menschen suchte sie zum Beispiel mit 21 Jahren in Amerika, als sie sich unsterblich fühlte und mit ihrem besten Freund San Francisco aufsog. „Wir liebten es, durch die Straßen und die Nacht zu streunen, auf ständiger Suche nach neuen Abenteuern.“
Auf ihrer langen Suche stieß Ebner unter anderem auf ein Haus voll Satanisten, eine kleine englische Dame in einem afrikanischen Luxuscamp oder ein einsames Mädchen inmitten opium-rauchender Spieler. Die Lust, das wahre Wesen dieser anderen zum Leuchten zu bringen, erkennt man in den Zeilen, die Ebner liest. Sie schreibt sie mit viel Sinn für Farben, Geräusche und Gerüche.
Ein perfekter Findling für die musikalische Begleitung
Die Stille, wenn Ebner das Buch wieder zuschlägt, fällt darum erst auf, sobald alle Anwesenden diese Szenen im Kopf zu Ende gemalt haben. Und der Blick auf Uschi und Walter Hölbling von Findling fällt.
Die beiden wissen, mit diesen Momenten der wohligen Anspannung zu arbeiten. Eine Verstärkung von Gitarre oder Stimme sind hier nicht nötig, alle Ohren doch schon weit offen. Und es braucht eben auch in der Musik nicht viel, um Geschichten zu erzählen und Menschen zu berühren.
Lieder vom Ich und vom Du
In jedem ihrer Lieder singen die beiden mit ihrem unverstellten Dialekt von einem Du – oder einem Ich –, das wohl jeder von uns in sich trägt. Eines, das sehnt und will, scheitert und wieder aufsteht, die Hand ausstreckt und zur Faust ballt. Und das trauern darf, weil das die Geschichten des Lebens wachruft.
„I mecht mit dir red’n. Du bisch ewig weit weg, da glang i nit hin.
Es gibt koa Leb’n ohne di, weil eigentlich bisch alm no da. Jeder Winkl, jede Eck’n erzählt a G’schicht von dir. Du leichtesch nach, du gliasch weiter in mia,
i lass mi anfach einifalln, bis i unglang bei dir.“
(aus „Du leichtesch nach“ von Findling)
Dass unter der wahrnehmbaren Oberfläche eines Menschen noch ein ganzes Universum zu finden wäre, machen Findlings Songtexte ebenso begreifbar wie Ebners Erzählungen.
Ein Buch wie eine Begegnung
Diese versteht die einfache aber entscheidende Erkenntnis offenbar wie einen Auftrag: Wenn es den Berührungspunkt einer Geschichte gäbe, könnten sich Menschen nahekommen, die sich gar nicht unbedingt gut kennen, sagt sie. Dafür ist sie selbst bereit, Einiges von sich herzugeben.
Für ihr Buch wünsche sie sich, dass es wie eine Begegnung ist. Eine Begegnung auf dem höchsten Punkt der Rialtobrücke in Venedig zum Beispiel, bei Nacht und Nebel, wenn niemand stört. Hier sollen ihre Geschichten auf ihre Leser treffen, deren eigene Geschichten im Gepäck. „In solchen Bildern denke ich eben.“
Konservierte Bilder, immer noch frisch
Lange bevor Achtsamkeit Mode wurde, muss diese Frau sie schon gemeistert haben, anders hätte sie die kalte Marmorwand eines tibetischen Tempels oder das metallische Quaken der Frösche von Botswana wohl nicht über all die Jahre retten können. Über San Francisco um Vier schreibt sie:
„Die meisten Autos, die jetzt unterwegs waren, waren die langsamen Straßenkehrfahrzeuge, die sich wie behäbige Schnecken die Straßen hinauf und hinunter quälten. San Francisco schlief ein und wachte gleichzeitig auf. Ein pastellfarbenes, unschuldiges Licht leuchtete die Straßen aus. Es war still wie in einem Dorf und die Bedrohlichkeit einer Großstadt war nirgendwo zu spüren.“
Ihre Reisetagebücher, in denen sie solche Szenen wohl auch notiert hat, habe sie leider alle vernichtet. Nur einzelne Gedichte hob sie aus dieser Zeit auf – sie stehen in den Originalsprachen zum Teil im Buch. „Ich hatte einen Hang zu Tabula-Rasa-Momenten“, sagt Ebner und gibt zu, wie sehr sie das im Nachhinein ärgert. Schweben ihr doch schon Buch Zwei und Drei vor, in denen es ums Sehen und gesehen werden, aber auch ums Lieben und Wachsen gehen könnte. Um die fertig aufzuschreiben, bräuchte sie allerdings noch mal ein Jahr Bildungskarenz. Denn so lieb ihr die Nacht auch beim Schreiben ist. Der nächste Morgen kommt.
Fotos: Rebecca Sandbichler
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