Mitten im Ortszentrum von Hopfgarten befindet sich die Deferegger Machlkammer. Tritt man durch die Tür, wartet ein heller, freundlicher Raum, liebevoll bestückt mit handgemachten Unikaten in allen Formen und Farben. Doch zuallererst ist es der unverkennbare Duft nach frischem Zirbenholz, der dem Besucher gleich in die neugierige Nase strömt. „Wir riechen das selbst schon gar nicht mehr“, lachen Elisabeth und Reinhold Köfele, seit 2016 Geschäftsführer des kleinen Ladens. Viermal in der Woche trifft man die beiden hier hinter der Kassa an, gut gelaunt und zu einem Schwätzchen bereit.
Die Machlkammer gibt es inzwischen seit zehn Jahren, die Grundidee existiert aber schon viel länger, erzählt Obmann Richard Schneider. Schon Mitte der Neunzigerjahre fand sich ein Grüppchen begeisterter Handwerker zusammen, die gemeinsam aktiv werden wollten. Ihre Motivation: Altes handwerkliches Wissen nicht nur erhalten, sondern diesem Wissen zugleich einen Platz in der Gegenwart verschaffen. Wie das geht? „Man nimmt ein traditionelles Produkt – zum Beispiel eine Zirbenholzschüssel, in die die Bauern früher Milch füllten – und gibt ihm eine neue Funktion, die in die heutige Zeit passt. Heute ist dieselbe Schüssel etwa ein beliebter Dekorationsgegenstand“, erklärt Schneider.
Anfangs organisierte die Kreativgruppe Defereggental vor allem Ausstellungen, bis im Jahr 2008 beschlossen wurde, sich mit einem Geschäft professionell aufzustellen. Die Gemeinde Hopfgarten stellte die Räumlichkeiten mitten im Dorf, die bis zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger leergestanden hatten, zur Verfügung, benannt wurde der Laden nach dem Raum in alten Bauernhöfen, in dem Gebrauchsgegenstände, wie man sie heutzutage ohne viel Federlesens kaufen würde, früher in alter Tradition selbst hergestellt – „gemachelt“ – wurden.
„Dass sich das Geschäft so gut entwickelt, war damals noch nicht abzusehen“, meinen die Betreiber heute. Die Produkte, die in der Machlkammer verkauft werden, sind allesamt in Handarbeit hergestellt und müssen strikte Kriterien erfüllen: Die Qualität muss passen, in dieser Form darf es sie sonst nirgends geben und entweder der Rohstoff, die Art der Herstellung oder der Hersteller selbst müssen mit dem Defereggental verbunden sein. Die strengen Lieferkriterien und die genaue Linie sieht die neunköpfige Kreativgruppe als Erfolgsfaktor, das System habe sich bewährt. „Es braucht schon eine gewisse Form der Überheblichkeit“, grinst Schneider. „Oft geht so ein Unternehmen auf lange Sicht schief, weil es keine klaren Regeln gibt, oder diese Regeln nicht klar kommuniziert oder eingehalten werden.“ Auch im Zeitgeist erkennt er einen Erfolgsfaktor. „Als wir angefangen haben, wendeten sich gerade viele Menschen von der Massenproduktion ab, Einzelstücke und Handgemachtes wurden wieder interessanter.“ Ein Trend, der anhält. Reinhold Köfele stimmt zu: „Zwanzig Jahre früher wäre das nicht gegangen.“
Typisch für das Defereggental sind Gegenstände aus Zirbenholz. „Was aus Zirbenholz ist, das mögen die Leut’. Und Material haben wir hier genug“, meint Reinhold Köfele. Tatsächlich befindet sich im Defereggental der größte geschlossene Zirbenwald der Ostalpen und die Verarbeitung des Holzes hat hier eine lange Tradition. Die Kundschaft setzt sich zu einem großen Teil aus Gästen zusammen, aber auch Einheimische und sogar Leute aus anderen Teilen Osttirols kaufen hier gern ein. „Viele Urlauber suchen etwas, das es sonst nirgends gibt, das sie mit nach Hause nehmen können“, erzählt Schneider. Bei den einheimischen Kunden sind vor allem Geschenkskörbe zu allen Anlässen und die Lebensmittel – etwa selbstgebackenes Brot – sehr beliebt.
Tradition und Gegenwart werden aber nicht nur in den Produkten der Machlkammer vereint: Nur einen Raum weiter, verbunden durch eine Tür, gelangt man in die „Galerie in der Mitte“. „Wenn du von der Machlkammer in die Galerie kommst, siehst du erst einmal etwas, womit du nichts anfangen kannst“, lacht Schneider. „Der Gegensatz zwischen der Machlkammer und der Galerie bringt die Leute zum Nachdenken.“ Gerade hat der Osttiroler Künstler Fritz Ruprechter in der „Galerie in der Mitte“ ausgestellt, ab 23. November hängen hier Bilder von autodidakten Malerinnen aus dem Defereggental. Ausstellungen renommierter Künstler ins Tal zu bringen ist der Kreativgruppe ebenso ein Anliegen, wie den Neuen und noch Unbekannteren Raum zu geben.
„Anfangs haben wir geglaubt, wir sind zu klein und zu weit weg für so eine Galerie“, erzählt Schneider, „aber bald haben wir gemerkt, es gibt eigentlich sehr viel mehr Künstler als Möglichkeiten auszustellen.“ Und so wurde auch die „Galerie in der Mitte“ zu einem Erfolg. Nach den ersten gelungenen Ausstellungen waren die Schulden, die die Adaptierung der Räumlichkeiten eingebracht hatte, abbezahlt. Gerade die Wechselbeziehung zwischen Galerie und Machlkammer macht beide Projekte noch stärker, meinen die Betreiber. „Die Kombination ist von Haus aus nicht ungeschickt, beide Einrichtungen ziehen völlig unterschiedliche Menschen an. So generiert das Eine immer Aufmerksamkeit für das Andere.“
Förderung erhält die Deferegger Machlkammer übrigens keine. „Eine Förderung zu kassieren war auch nie unsere Motivation, wir wollten keine ‚Bettler’ sein.” Aufgebaut ist die Machlkammer genossenschaftlich. Gegründet wurde die Genossenschaft mit fünf bis sechs Mitgliedern, die das Geschäft gemeinsam nicht nur finanziell aus der Taufe hoben, sondern auch bei der Einrichtung der Räumlichkeiten ihre Talente einbrachten. Denn die Regale und Schränke wurden nicht etwa gekauft, sondern selbst gezimmert. „Gekostet hat uns die Machlkammer am Anfang ein paar tausend Euro. Wenn es schiefgegangen wäre hätten wir natürlich selbst draufgezahlt”, erzählt Schneider. „Und natürlich war es ein Risiko – es gab auch einige, die gemeint haben, das kann hier in Hopfgarten nicht funktionieren.” Doch der Erfolg gibt den Deferegger „Machlern” recht. Inzwischen ist die Genossenschaft auf 31 Mitglieder angewachsen – wer Mitglied ist, darf seine Produkte in der Machlkammer präsentieren und verdient am Verkauf des jeweiligen Produkts, der restliche Gewinn fließt ins Geschäft.
„Es war auch gar nicht schwierig, Leute zu finden, im Gegenteil”, erzählt Schneider weiter. Anfangs suchte die Gruppe selbst aktiv nach Mitgliedern und präsentierte ihre Ideen auf Treffen im gesamten Defereggental. „Man findet überall Menschen, die handwerklich begabt und interessiert sind. Und im Schutz einer Gruppe traut man sich auch leichter in die Öffentlichkeit.” Und seit sich die Machlkammer etabliert hat, kommt es auch nicht selten vor, dass die Köfeles im Geschäft Besuch von Leuten aus dem Dorf bekommen, die eigene Ideen haben. „Manches nehmen wir dann wirklich gleich ins Sortiment auf, anderes müssen wir vorher erst als Gruppe diskutieren. Es kommt auch vor, dass wir Produkte, die nicht unseren Kriterien entsprechen, ablehnen”, erzählt Reinhold Köfele.
Dieses Geschäftsmodell hat sich auf jeden Fall bewährt, finden die Betreiber. Und auch ohne Förderung läuft die Machlkammer gut. „Aus dieser einen Idee haben sich schlussendlich zwei Gewerbetreibende und fünf Kleingewerbebetriebe im Tal entwickelt – einige unserer Produzenten haben nämlich, auch motiviert durch den Erfolg ihrer Arbeiten in der Machlkammer, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Es vermittelt auch ein ganz neues Selbstwertgefühl, wenn du etwas, das du mit eigenen Händen hergestellt hast, nicht nur präsentieren, sondern auch verkaufen kannst und das dann sogar noch so gut ankommt. In der Machlkammer bekommen die Produzenten die Möglichkeit, sich zu erproben.”
Die Machlkammer ist aus Hopfgarten jedenfalls nicht mehr wegzudenken. Der einst unbenutzte Raum mitten im Dorf ist nun gut besucht, voller Aktivität. So entsteht Wertschöpfung und auch das Tal wird vermarktet. „Natürlich arbeiten wir sehr niederschwellig, aber wenn es uns nicht gegeben hätte, wäre jetzt gar nichts da“, meint Richard Schneider. Auf die Frage nach der Zukunft der Machlkammer wünscht er sich eigentlich nur eins: „Wenn es so weitergeht wie bisher und vor allem der gute Zusammenhalt bestehen bleibt, ist das schon viel wert.“ Denn: „Etwas zu erschaffen ist oft einfacher, als es auch zu erhalten.“
„Neue Wege“ ist eine Kurzserie auf dolomitenstadt.at im Rahmen des Prozesses „Vordenken für Osttirol“. Bis zum Herbst 2018 zeigen wir anhand von ausgewählten Beispielen aus ganz Österreich, wie durch verschiedene Modelle der Bürgerbeteiligung regionale Problemstellungen auf innovative Art gelöst werden. Abwanderungsstopp, Bildung, Digitalisierung, Wertschöpfung, soziale Integration – Ziele, die auch in Osttirol angesteuert werden, sind andernorts manchmal schon erreicht. Wir nehmen diese Lösungen unter die Lupe, recherchieren Hintergründe und bieten damit Anregungen für Bürgerprojekte vor Ort.
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