„Wem fällt es schon leicht, eine neue Sprache zu lernen?“
Lienz: Nach 1254 Deutschstunden für Geflüchtete ziehen 14 Lehrpersonen Resümee.
Die Frage der Flüchtlingszuwanderung und ihre Tragweite für die Osttiroler Bevölkerung lässt sich gut mit einer Erkenntnis von Franz Kafka beantworten: „Verbringe die Zeit nicht mit der Suche nach einem Hindernis, vielleicht ist keines da.“ Im Umgang mit unseren Schülerinnen und Schülern vom Ende des Ramadan 2015 bis zum Beginn des Ramadan 2018 erfuhren wir, welches Potential – menschlich und auch wirtschaftlich – in einer gelungenen Integration liegt. Wir nahmen aber auch besorgniserregende Zeichen der Überforderung auf beiden Seiten wahr. Wie in ganz Österreich meldeten sich auch in Osttirol und in unserer Pfarre zur Heiligen Familie in Lienz viele Freiwillige, um die Von-Weit-Hergekommenen beim Erwerb der deutschen Sprache zu unterstützen. Dekan Bernhard Kranebitter finanzierte das Projekt und stellte Räume im Pfarrhaus zur Verfügung. Eine Familie fand sogar im Pfarrhaus Obdach. Fritz Bachlechner organisierte und betreute den Unterricht. Beiden möchten wir sehr, sehr herzlich danken! Eine neue Sprache verstehen, sprechen, lesen und schreiben – wem von uns fällt das schon leicht? Menschen aus orientalischen Ländern oder aus Afrika auch nicht! Die Kunst der Kalligraphie kommt von dort, auch viele andere Künste und Wissenschaften. Bei uns scheint plötzlich alles falsch zu sein, was diese Menschen tun: wie sie schreiben, grüßen, leben … Einigen gelingt es gut und schnell, sich an die hiesige Lebensart anzupassen. Sie hatten wahrscheinlich ein aufgeschlossenes Elternhaus, gute Schulbildung, waren vielleicht schon im Ausland. Manche unserer Schützlinge wurden aber schon im Heimatland benachteiligt, konnten nie eine Schule besuchen, kamen als Analphabeten zu uns, oft auf der Flucht traumatisiert, ohne Perspektive, ohne Familie, ausgelaugt und überfordert durch das Kriegsgeschehen in ihrer Heimat. Mit größter Hochachtung begleiteten wir diese Menschen in ihrem Bemühen, sich trotz allem auf Laute, Buchstaben und Wörter zu konzentrieren, deren Sinn zu erfassen. Bestärkten sie bei ihren Versuchen, zu verstehen und sich verständlich auszudrücken. Viele dieser Menschen wurden aus dem Leben gerissen, sie hatten Berufe erlernt, gearbeitet, sich eine Existenz aufgebaut, Familien gegründet – all diese Dinge waren mit der Flucht ins ferne Europa weggewischt. Wir als Betreuer sind dankbar, dass wir diese Menschen kennenlernen durften. Sie haben uns beeindruckt, weil sie trotz oft harter Schicksalsschläge – Tod von Familienangehörigen, Verlust des Hauses und der Existenz, Trennungen, Heimweh, Frustration über die erzwungene Untätigkeit – eine unglaubliche Resilienz aufweisen und lerneifrig bleiben. Sie erstaunen uns durch ihre Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und ihren Humor! Wo immer wir unsere Schülerinnen und Schüler treffen, kommen sie uns mit Herzlichkeit und Vertrauen entgegen. Dann bemühen wir uns um eine Kommunikation in kurzen Sätzen, unkomplizierten Wörtern und mit deutlicher Aussprache. Keine von uns hat sich jemals bedroht oder als Frau diskriminiert gefühlt, nie gab es Respektlosigkeit! Wir erfuhren auch viel Neues über andere Mentalitäten, Religionen, Auffassungen und Gewohnheiten. Wir alle fühlen uns bereichert durch schöne Begegnungen mit diesen Menschen aus fremden Kulturen. Umso schmerzlicher empfanden wir es, als wir uns von einigen trennen mussten, die uns ans Herz gewachsen waren. Nun hoffen wir für alle, die unfreiwillig in unserer Welt wandern müssen, dass sie bald an einen Ort kommen, der ihnen zur Heimat wird. Wir hoffen auf ein gutes Leben für alle.
Die Lehrpersonen bieten, wenn Bedarf besteht, auch im Herbst gerne wieder Deutschstunden und lockere Konversations-Treffen an.
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