Ein Chromosom mehr – als Extraportion Glück
Ein „Familientreffen“ der besonderen Art zum Welt-Down-Syndrom Tag. Videoreportage!
Samstagvormittag im Eltern-Kind Zentrum Lienz. Kinder und ihre Eltern treffen Freunde und Bekannte, Tische sind mit Kuchen und Snacks beladen, jeder begrüßt sich herzlich und scheint sich offensichtlich über das Wiedersehen wirklich zu freuen. Selbst Großeltern sind da, die stolz auf ihr Enkelkind zeigen. Man spürt eine besondere Atmosphäre der Wertschätzung und Achtsamkeit. Die Kleinen spielen schon mit ihren Bällen in einer Ecke, die Großen erkunden das Buffet und der 17-jährige Jonas Schlichenmaier kann es kaum erwarten, mit seinem Trommelsolo das Fest offiziell zu eröffnen. Gefeiert wird an diesem Tag aus mehreren Gründen.
Zum einen hat Pia Schlichenmaier, die Mama von Jonas und Obfrau des Vereins "Hand in Hand" Geburtstag, und zum anderen wird am 21. März der internationale Welt-Down-Syndrom- Tag gefeiert. Dieses Datum wurde 2012, als dieser Tag offiziell von den Vereinten Nationen anerkannt wurde, nicht zufällig ausgewählt. Es steht dafür, dass bei Menschen mit Down-Syndrom das 21. Chromosom 3-fach vorhanden ist und sie damit 47 statt der üblichen 46 Chromosomen in sich tragen. An diesem Vormittag im Eltern-Kind-Zentrum bekommt man fast den Eindruck, dass dieses zusätzliche Chromosom ein Glückschromosom sein muss. Das beweist auch unsere Dolomitenstadt-Videoreportage:
"Was ich an Kindern und Menschen mit DS so liebe, ist ihre Ehrlichkeit. Sie können ihre wahren Gefühle zeigen. Egal, ob sie nun fröhlich oder lustig, traurig, wütend oder verärgert sind, sie sind immer authentisch! Ich muss immer wieder staunen, welch sensible Antennen sie haben. Sie spüren genau, wie es einem geht und haben keine Scheu, das anzusprechen, einen zu umarmen oder einfach nur da zu sein. Das finde ich etwas ganz Besonderes und deshalb genieße ich diese Momente bei unseren Treffen so sehr", erzählt Sandra Lassnig, die 2012 zum ersten Mal bei einer Spielgruppe für Kinder mit Down-Syndrom in Klagenfurt war und diese Möglichkeit des gemeinsamen Austausches so großartig fand, dass sie diese Chance auch Eltern in Osttirol bieten wollte. Und Bärbl Ebner, die Leiterin des Eltern-Kind Zentrums Lienz hatte nicht nur ein offenes Ohr dafür, sondern "sogar zwei", wie sie lachend berichtigt.
So trafen sich 2013 die ersten vier Familien. Inzwischen sind es schon über zwanzig, die regelmäßig zu den viermal im Jahr stattfindenden Treffen kommen. "Und das Schöne daran ist, dass immer wieder neue Familien dazukommen", erzählt Sandra. Melanie, die Mama des kleinen, aufgeweckten Nelio, die mit ihrer Familie in der Schweiz lebt, plant ihre Heimatbesuche in Lienz inzwischen schon so, dass sie die Treffen "mit dem besonderen Extra" besuchen kann. "Es tut gut, gemeinsam Zeit zu verbringen, Spaß zu haben, in einer verständnisvollen Runde sowohl Glücks- als auch Sorgenmomente zu teilen. Die Eltern der Kleinen sehen hier die Entwicklungen der älteren Kinder, sie bekommen dadurch Perspektiven und stärken sich gegenseitig."
"Denn natürlich ist es nicht leicht. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schlimm es für mich als Jugendliche war, wenn mein Bruder und ich beim Spazierengehen angestarrt wurden", erzählt die 26-jährige Michaela, Schwester von Andreas, die nun als Kindergartenpädagogin in Innsbruck arbeitet. Vorgefertigte Meinungen zu Menschen mit Down-Syndrom und Reaktionen wie Mitleid, Unverständnis, Spott, Zurückweisung und Übergangenwerden gibt es immer noch mehr als genug, auch wenn laut Pia Schlichenmaier "die Gesellschaft inzwischen schon viel offener geworden ist."
Dazu beigetragen haben sicher auch die vielen großartigen Aktionen ihres Vereins "Hand in Hand". So wurde im Februar 2014 ein Fotoshooting mit 56 Personen für das Plakat "Lebensfreude" gemacht, das ein großes mediales Interesse auslöste. 2015 veranstaltete der Verein mit dem Aufruf "Behindert mich nicht" Vorträge für Schulklassen, organisierte Filmvorführungen von Kai Pflaumes "Zeig mir deine Welt" und war mit einem Info-Eck eine Woche lang in der Stadtbücherei Lienz präsent. 2016 stand ein großes Familienfest unter dem Motto "Eine extra Portion Glück" und 2017 wurden bei der Vernissage zu der Ausstellung "Glück kennt keine Behinderung" der deutschen Fotografin Jenny Klestil die Osttiroler Familien in der Liebburg nicht nur gefeiert, sondern auch gleich fotografiert.
Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit ist entscheidend, um Menschen mit Down-Syndrom von Anfang an eine Lebenschance zu geben. Statistiken besagen, dass immer noch 90 Prozent der Kinder mit einem Gendefekt abgetrieben werden. Weltweit wird etwa jedes 700. bis 800. Kind mit Trisomie 21 geboren. Diese freie Trisomie 21 entsteht durch reinen Zufall während der ersten Zellteilung und betrifft Eltern aller Altersstufen. Menschen mit dem Down-Syndrom weisen einige körperliche Besonderheiten auf, haben aber, wie wir alle, ihre unterschiedlichen Begabungen, ihr eigenes Entwicklungspotenzial und -tempo, ihr normales Anderssein und ihr anderes Normalsein. Nur etwas haben sie anscheinend, wie schon am Anfang gesagt, mehr als viele von uns: dieses ganz besondere Glücksgefühl, das sie verströmen, und das vielleicht tatsächlich etwas mit ihrem zusätzlichen Chromosom zu tun hat. Oder auch nicht. Egal, schön ist es auf jeden Fall.
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