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Der Tiroler LK-Präsident Josef Hechenberger, Vizepräsidentin Helga Brunschmid und Bezirksstellenleiter Martin Diemling informierten in Lienz über Anliegen der Bauern. Foto: Dolomitenstadt/Pirkner

Der Tiroler LK-Präsident Josef Hechenberger, Vizepräsidentin Helga Brunschmid und Bezirksstellenleiter Martin Diemling informierten in Lienz über Anliegen der Bauern. Foto: Dolomitenstadt/Pirkner

Bauern fragen: Warum redet niemand über Mercosur?

Fallen demnächst die EU-Schranken für einen Mega-Fleischdeal mit Lateinamerika?

„Warum redet niemand über Mercosur?“, fragte der Tiroler Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Hechenberger in Lienz bei einem Pressegespräch. Während TTIP und CETA fast schon zu alltagssprachlichen Begriffen der politischen Stammtischdiskussionen wurden, sei ein Freihandelsabkommen ganz anderer Art noch nicht bis in die Köpfe der breiten Bevölkerung vorgedrungen. Hechenberger ist mit seiner Skepsis nicht allein. Hinter verschlossenen Türen und unter strenger Geheimhaltung findet derzeit in der paraguayanischen Hauptstadt Asunción die möglicherweise letzte Verhandlungsrunde zwischen der Europäischen Union und dem lateinamerikanischen Staatenbund MERCOSUR statt. Prinzipiell soll – wie bei TTIP – der freie Handel gefördert werden, durch den Abbau von diversen Schranken, vor allem Zöllen, aber auch gesetzlichen Rahmenbedingungen. Treiber dieser Verhandlungen ist die Industrie. Etwa die Autobauer. Brasilien will die eigenen Fabriken schützen, die EU will mehr Autos nach Lateinamerika liefern. An Bord ist auch die Pharmaindustrie. Die Europäer möchten mehr Originalmedikamente nach Lateinamerika liefern, dort werden primär kostengünstige Generika verkauft – eine Lizenzfrage. Was das mit den Bauern zu tun hat? Ganz einfach. Jedes Freihandelsabkommen ist eine Art Tauschgeschäft: Wir liefern euch möglichst schrankenlos Autos, Medikamente und andere Exportgüter und ihr liefert uns – ebenfalls mit niedrigen Schranken – wofür Lateinamerika heute schon berühmt ist: Rindfleisch! Nicht nur Hechenberger befürchtet die Flutung des europäischen und damit auch österreichischen Marktes mit billigem Fleisch aus argentinischen und brasilianischen Großbetrieben.
Tritt das EU-Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten in Kraft, profitieren vor allem die europäische Exportindustrie und die lateinamerikanischen Rinderbarone. Kleinbauern dies- und jenseits des Atlantiks hätten wohl das Nachsehen.  Foto: iStock/alffoto
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament, kommentierte auf seiner Website erst vor einigen Tagen: „Was die EU-Kommission im Auftrag der EU-Mitgliedsstaaten verhandelt, ist ein Skandal: Statt 70.000 Tonnen soll den Mercosur-Ländern jetzt ein sogar fast 100.000 Tonnen schweres zollfreies Importkontingent an Rindfleisch zugestanden werden.“ Verlierer wären die Kleinbauern und Viehhalter dies- und jenseits des Atlantiks, Gewinner die Großindustrie. Häusling zeichnet ein Horrorszenario: „Ein Abkommen mit solchen Inhalten tritt die Natur mit Füßen, missachtet die Rechte der Bauern hierzulande, aber auch die der indigenen Landwirte in Südamerika. Kommt das Handelsabkommen zustande, werden gegen den Willen der hiesigen Bevölkerung europäische Märkte für Gentech-Soja und andere mit Pestiziden hochbelastete Rohstoffe, 600.000 Tonnen Agro-Treibstoffe aus zweifelhaften Quellen sowie Tonnagen von Hormon- und Gammelfleisch geöffnet.“ Eine Kommission, die dies zulasse und sogar noch mit Verve betreibe, ignoriere den Willen der Mehrheit der Menschen in Europa und in Südamerika. Es gibt einzelne Initiativen von NGOs, etwa eine Petition von Foodwatch. In Frankreich gingen am vergangenen Mittwoch mehr als 20.000 Bauern in fast 90 Départements gegen das geplante Freihandelsabkommen auf die Straße. In Österreich feiert dagegen die Wirtschaftskammer die Verhandlungen als „neue Chance für Österreich“ und Widerstand regt sich bislang kaum. Ob die neue Regierung und allen voran die Landwirtschaftsministerin da nicht ein gewichtiges Wort einlegen werde, fragen wir den Agrarfunktionär aus Tirol. Hechenberger hat darauf keine konkrete Antwort parat. Dabei ist es noch nicht lange her, da war Elisabeth Köstinger noch EU-Parlamentarierin und in dieser Funktion auch „Lebensmittelsprecherin“ der ÖVP. Erst vor einem Jahr forderte die heutige Ministerin vor dem Hintergrund eines Gammelfleischskandals: „Was wir aus Brasilien hören, ist besorgniserregend und führt zu einem großen Vertrauensverlust. Es geht hier um die öffentliche Gesundheit. Auf dieser Basis können wir nicht über ein Freihandelsabkommen weiterverhandeln." Man darf gespannt sein, ob die neue Bundesregierung dem Abkommen zustimmen wird.
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

2 Postings

bergfex
vor 6 Jahren

„Warum redet niemand über Mercosur?“ Welch eine Frage von einem Tiroler Landwirtschaftskammer-Präsident. Weil hinter verschlossenen Türen geheim verhandelt wird.

 
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Sepp Brugger
vor 6 Jahren

Ich empfehle dazu die Aktion von foodwatch zu unterstützen: https://www.foodwatch.org/de/mitmachen/ Bauernbund und Landwirtschaftskammer könnten mobilisieren sepp brugger

 
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