„Wir haben unser erstes Mal ganz gut gemeistert“
Christian Altenweisl über grüne Kernkompetenzen und koalitionäre Kompromisse.
Mit ihrer Niederlage bei der Nationalratswahl sind die Grünen an einem Tiefpunkt angelangt, auch in Niederösterreich hat man Stimmen verloren. Warum glauben Sie haben die Grünen so massiv an Zuspruch verloren?
Was wir auf bundespolitischer Ebene erlebt haben, war ein Zusammenspiel aus vielen Faktoren. Wir haben natürlich Fehler gemacht. Das hat bei den jungen Grünen angefangen und ging bis zur Abwahl und dem eigenen Antreten von Peter Pilz. Aber was uns am Ende das Genick gebrochen hat, war strategisches Wahlverhalten seitens linker WählerInnen, die die Sozialdemokratie stärken wollten, um Schwarz-Blau zu verhindern und damit das linke Lager eigentlich mehr geschwächt haben. In Niederösterreich haben wir im Verhältnis zur letzten Landtagwahl zwar verloren, bis vor kurzem haben aber noch viele gezittert, ob wir es überhaupt in den Landtag schaffen. Da waren die meisten erleichtert, dass wir es in den Landtag geschafft haben.
Welches ist für Sie das wichtigste Thema im Wahlkampf?
Wir haben ja unsere Mitglieder und SympathisantInnen befragt. Da war ganz klar, dass wir uns auf Themen unserer Kernkompetenz, Naturschutz und Transit zurückbesinnen sollten. Und das haben wir mit dem Wahlkampf gemacht. Wir sind die einzigen, die wirklich auf die Umwelt schauen und für ein solidarisches Miteinander eintreten.
Die Grünen schlagen eine Reihe von Maßnahmen vor, etwa im Bereich öffentlicher Verkehr, die sich im Budget niederschlagen würden. Woher wollen Sie da das Geld nehmen?
Wir haben in Tirol gezeigt, dass es mit guten Verhandlungen in eine Richtung geht, wo weniger Menschen aufs Auto angewiesen sind. Besser ausgelastete öffentliche Verkehrsmittel attraktivieren auch den ländlichen Raum. Wir haben keine großen Investitionssummen im Verhältnis zu denen, die wir brauchen würden, würden wir weiter in den Individualverkehr investieren. Die genaue Zahl kann ich nicht sagen. Ich finde aber, gute Verkehrspolitik schafft nicht nur Plätze in einem Bus, sondern mobilisiert Menschen, die vorher nicht am gesellschaftlichen Leben außerhalb der Gemeinde teilhaben konnten. Also die Investition geht viel weiter als die reine Investition in einen Bus oder in einen Zug.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist das Niveau der Mindestsicherung in Tirol noch relativ hoch. Weshalb setzen sich die Grünen so für eine Leistung ein, die auch Menschen bekommen, die noch nicht ins Sozialsystem eingezahlt haben?
Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass jedem Menschen mit Respekt begegnet wird. Dazu zählt auch, dass jeder Mensch das Mindeste zum Leben hat, unabhängig davon, woher er oder sie kommt. Wir wollen den Menschen ein Fundament schaffen, auf dem sie aufbauen können, um produktive Teile der Gesellschaft werden zu können oder wieder zu werden. Wenn wir dieser populistischen Maßnahme nachgehen würden, diesen Menschen auch noch das Mindeste zu nehmen, würden wir weitere Kosten produzieren, im Gesundheitssystem oder in der Kriminalitätsbekämpfung. Wir wollen die Menschen davor bewahren, ganz am Boden anzukommen. Das Mindestniveau, das wir jetzt aufrechterhalten haben, ist aus unserer Sicht nicht mehr verhandelbar.
Die Grünen wollen in der jetzigen Regierung noch eine kraftwerksfreie Zone am Inn durchsetzen. Auch in Osttirol ist man gegen ein Kraftwerk am Tauernbach. Wie passt diese ablehnende Haltung zur Wasserkraft zum grünen Ziel, aus fossilen Energien auszusteigen?
Wir haben nichts gegen Wasserkraft, die vernünftig dimensioniert und ökologisch vertretbar ist. Die Projekte, wogegen wir jetzt auftreten, sind aus unserer Sicht ökologisch nicht vertretbar und ökonomisch zumindest fragwürdig. In meiner Zeit als Osttiroler Bezirkskoordinator haben wir auch gegen das Projekt an der Isel opponiert. Und das stärkste Argument aus meiner Sicht war nicht nur der schützenswerte Lebensraum, sondern wir haben aufgezeigt, dass das Kraftwerk, wie es geplant war, wirtschaftlich nicht vernünftig war. Die Preisentwicklung für Strom, die da angenommen wurde, war einfach nicht mehr vernünftig darstellbar, wenn man sich die Preisentwicklung an der Strombörse in Leipzig angesehen hat.
Bei Natura 2000 wurde in Osttirol der Tauernbach nicht ausgewiesen, auch nur Teile des Kalserbachs und der Schwarzach. War man da zu kompromissbereit in der Regierung?
Einmal mehr hat sich da gezeigt, dass wir der Juniorpartner sind. Wir haben 13 Prozent gegenüber einer Partei, die jetzt auf die Absolute hinschielt. Wir haben gesagt, wenn wir nicht mindestens das ausweisen, steht uns ein Vertragsverletzungsverfahren bevor. Das ist mit ungeahnten Kosten verbunden und ist für die Menschen, die dort wirtschaften wollen, ein Unsicherheitsfaktor. Es sind nicht alle Gebiete ausgewiesen, die wir uns vorgestellt hätten. Es ist ab und zu eine unbefriedigende Situation, aber es gehört zum Regierungsgeschäft, dass man verhandelt. Und alle anderen Parteien hätten den Schutz noch weiter zurückgefahren.
Wünschen Sie sich eine Neuauflage der Regierung und sehen Sie dazu die Bereitschaft bei der Volkspartei?
Ich glaube, wir haben unser erstes Mal ganz gut gemeistert. Wir haben noch viel vor. Das fängt bei Natura 2000 an, geht weiter über Tarifreform und den öffentlichen Personennahverkehr, bis zur Transitverlagerung auf die rollende Landstraße. Zum Koalitionspartner, da gibt es solche und solche. Es gibt einen wirtschaftsliberalen Flügel, der uns gern los wäre und mit den Betonierern und Seilbahnern auch den letzten Quadratmeter zuzementieren möchte. Und es gibt auch bei den Schwarzen die, die sich im Geist einer christlich-sozialen Partei sehen. Mit denen können wir ganz gut. Und wenn die innerhalb ihrer Partei ihren Mann und ihre Frau stehen, und wenn uns die Tirolerinnen und Tiroler ihr Vertrauen erneut geben, spricht viel für eine erneute Wacker-Koalition.
In welchem Flügel der Volkspartei sehen Sie da den Landeshauptmann?
Die Zusammenarbeit zwischen Landeshauptmann Platter und Ingrid Felipe war eine konstruktive und wertschätzende. Ich würde mir nicht anmaßen, über die Position des Landeshauptmanns in der Volkspartei ein Urteil abzugeben. Aber die letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass man mit ihm in einer schwarz-grünen Koalition gut Politik machen kann.
Was müsste in einer Neuauflage anders sein, was in der letzten Regierung schlecht gelaufen ist?
Was nicht gut gelaufen ist, waren hauptsächlich Punkte wie die Mindestsicherung. Wir wurden da von der Zivilgesellschaft für die Kürzungen kritisiert, einfach weil wir immer die Ansprechpartner von ihnen waren und in ihren Augen haben wir sie da im Stich gelassen. Allerdings sieht man schnell, ohne uns wäre es sehr viel schlimmer gekommen. Also wo ich das Negative sehe, ist da, wo wir uns als kleinerer Partner nicht genug wehren konnten, weil wir da auch kein ausreichendes Mandat von der Bevölkerung gehabt haben.
Link: Landtagswahl 2018
10 Postings
Ich möchte "gemeindeübergreifend" fragen, wo denn der Strom herkommen soll, der künftig für die prognostiziert vielen E-Autos gebraucht werden wird? Wir werden noch viele Wasser-Kraftwerke bauen müssen, um den Strombedarf decken zu können. Man wird dsher nicht "jeden " Baum schützen können. Hier gilt nur: entweder - oder!
Elektro-Autos sind trotz ihres Namens nicht die größten Verbraucher von Energie: knapp 50% des Energiebedarfs von Haushalten werden fürs Heizen, weitere ~8% für die Warmwasseraufbereitung verwendet.
Grundsätzlich ist die größte Ressource ein reduzierter Verbrauch, sei es durch besser gedämmte Gebäude, effizientere Geräte oder eben auch Motoren. Deshalb sehe ich keinen Grunz das Bild schwarz-weiß zu malen - es ist jedenfalls ein sowohl als auch!
PS: Platte Floskeln laden die Diskussion nur unnötig auf - jedes Argument klingt abwegig, wenn man es ins Lächerliche steigert.
Liebe Poster*innen: Sorry, dass meine Antworten so lange brauchten. Das Wahlkampf-Finale mit den vielen Hausbesuchen und Teilnahme an Festen (ich bin übrigens seit dem 13. Feber ein großer Fan von Stumm im Zillertal) lassen zeitlich wenig Luft. Und Zeit hab' ich grade auch nur, weil ich grade krank im Bett lieg', also bitte schreibt mir, wenn eine Frage ganz dringend unter den Nägeln brennt an alpi@gruene.at ! :-) Danke
Ja, angesichts der Möglichkeit, die Energie der Sonne zu nutzen und des eher Strompreise sind die Eingriffe in die Natur durch den Bau von Wasserkraftwerken kaum zu rechtfertigen. Die Grünen haben übrigens keine Einwände gegen den Kraftwerksbau im Winkeltal erhoben. Wir haben vorgeschlagen, dass sich daran Außer- und Innervillgraten beteiligen sollten und Innervillgraten auf sein KW verzichtet, das trotz negativem naturschutzrechtlichen GA errichtet wurde. Dies hätte auch die Belastung und Kostenrisiko für beide Gemeinden verringert. Aber leider sind Gemeindüberbgreifende Projekte immer noch sehr selten. Mit mehr Weitblick und breitere Zusammenarbeit könnten die Gemeinden viel sparen. Sepp Brugger
Ich schätze Ihre persönliche Meinung, Herr Altenweisl, dennoch würde ich gerne aus meiner Sicht ein paar Punkte ansprechen: 1. Mindestsicherung: Ich gebe ihnen vollkommen recht, dass durch das Zurückschrauben der Mindestsicherung evt. als Folge Mehrkosten im Gesundheitssystem anfallen würden usw..... dennoch ist es nicht die Aufgabe von Tirol/Österreich, ALLE MENSCHEN AUF DER ERDE zu versorgen. Ich bin bei Gott kein Rechtspopulist und ich stehe grundlegend zu den Menschenrechten. Dennoch muss man sich für uns ansehen was finanzier- und machbar ist...dann muss man entscheiden wer/wieviel Flüchtlinge wirklich in Österreich einreisen/bleiben dürfen --> nicht weil ich keine Flüchtlinge akzeptiere, aber weil es dabei nicht zuletzt um die Frage geht, ob wir uns das leisten können! 2. Wasserkraft: Die Grünen wollen verstärkt auf erneuerbare Energie setzen, blockieren aber den Bau von vielen Wasserkraftwerken. In dieser Hinsicht müsste man die Angelegenheit seitnes der Grünen kompromissbereit angehen --> man kann nicht alles haben, man muss auch in gewissen Punkte zurückstecken 3. Natura 2000: Natur- und Umweltschutz sind wichtige und richtige Themen. ABER alles sollte sich in einem gewissen Rahmen abspielen, von der Angstmache, das alles "zuzementiert" wird halte ich persönlich nicht viel. Schließlich sollte man sich auch auf die Wirtschaft besinnen, wozu die Bau-Branche einen Großteil beiträgt.
Vielen Dank für`s Lesen, ich will mit meiner Meinung niemanden auf die Zehen steigen, wie gesagt, ist nur meine Meinung.
Liebe*r red_mit - sorry für die späte Antwort - im Wahlkampffinale ist Zeit einfach Mangelware.
Die Mindestsicherung ist das, was ein Mensch als Minimum braucht, um würdig leben zu können - das heißt nach meinem Verständnis auch, dass sich jemand am gesellschaftlichen Leben (Verein, Kultur, Sport...) beteiligen kann und nicht nur in einem Loch hartes Brot isst. Das beugt Isolation, Gesundheitsproblemen und weiterem negativen Verhaltensweisen vor, während es die Gesellschaft bereichert. Hier sehe ich jeden Euro wohl eingesetzt.
Was die Hilfe "für alle" angeht, darf ich einer Fehleinschätzung mit Zahlen entgegentreten und zwar, dass "alle zu uns" kommen. Am prominentesten Beispiel "Syrien" ist zu sehen, dass die lokalen Nachbarn den bei weitem größten Teil aufnehmen - Richtung EU kommen 18%. Der Libanon (sein BIP/Kopf vergleichbar mit Mexiko) nahm zum Beispiel eine Million, bei einer insgesamten Bevölkerung von geschätzten 6 Millionen und damit etwa gleich viel auf, wie die gesamte Europäische Union zusammen, wobei dort Deutschland und Schweden 2/3 der Unterbringung stemmen. ( Hier der Link zur UNHCR >> http://data.unhcr.org/syrianrefugees/regional.php )
Wasserkraft ist schließlich EIN Teil im erneuerbaren Energie-Mix und natürlich gibt's auch weitere (sinnvolle) Projekte - doch sehen wir extrem viel ungenutztes Potential in Solar- und Biomasse, das nun priorisiert werden soll.
Natura2000 ist auch oft mehr "Feigenblatt" als Hemmschuh für Projekte, da durchaus auch in Natura2000-Räumen gewirtschaftet und gebaut werden darf. Kurzum: Innovative Ideen werden sogar gefördert, doch wenn ich eine Bibliothek als Proberaum für meine Rock-Band verwenden will, wird's halt Probleme geben. ;-)
Sehr geehrter Herr Altenweisl,
vielen Dank für Ihre Antwort zu meinem Kommentar, Respekt dazu, dass Sie sich die Mühe antun und jedem Kommentar antworten!!
gibts eigentlich Beispiele für ein "Wasserkraft, die vernünftig dimensioniert und ökologisch vertretbar ist"? Also irgendein Kraftwerk - gebaut oder nicht - das aus sicht der Grünen ok ist?
wenn man wirklich alle faktoren und stakeholder miteinbezieht haben sie in der tat recht, dass es kaum ein ökologisch vertretbares wasserkraftwerk in einem fluss oder binnengewässer gibt.
http://www.klimaretter.info/umwelt/nachricht/17492-kritik-an-neuer-qwasserkraft-aeraq
Liebe*r F_Z, sorry für die späte Antwort - der "Finalsprint" lässt kaum Luft. In Kürze würd' ich sagen, dass die großen Eingriffe (ökologisch) die einen entsprechend großen Nutzen (ökonomisch) brachten, schon passiert, bzw. die Kraftwerke schon gebaut sind.
Was noch herumgeistert, ist die Wallnöfer'sche Haltung: "Auf 100 Jahr rechnet sich a jedes Kraftwerk." - Was pauschal sogar stimmen mag, aber halt weder für die Bilanzen der Betreiber, das Land und schon gar nicht in der Umwelt vernünftig ist.
Zur eigentlichen Frage: Mit der Revitalisierung in Kirchbichl was sogar der LUA einverstanden. Es ist also durchaus möglich! >> http://www.tt.com/wirtschaft/standorttirol/11613061-91/kraftwerk-kirchbichl-bald-gleich-stark-wie-langkampfen.csp
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