Es gibt einfachere Interviews, als bei der Zahnärztin meines Vertrauens auf dem Behandlungsstuhl zu liegen. Ohne Frage, und das im wortwörtlichen Sinn. Gott sei Dank keine Wurzelbehandlung, nur eine Kontrolle, die doch möglich macht, die eine oder andere Frage zu stellen.
Hilke Diestel führt eine Zahnarztpraxis in Hamburg, in einem gediegenen Ambiente, mit knarrendem Parkett, Stuck an den meterhohen Decken und stilvoll renovierten alten Kachelöfen. Darin hochmodernes Gerät, eine Kinderspielecke gleich neben meinem Behandlungsstuhl und auf dem Flatscreen in den Behandlungspausen erscheint statt Zahnreihen eine strahlende Winterlandschaft.
Zu wievielt fahren Sie in den Urlaub?
Hilke Diestel: Meist sind wir sechzehn, manchmal achtzehn Leute. Je nach Skiort lassen wir die ganz Kleinen zu Hause. Das kommt immer auf die Kinderbetreuung vor Ort an. In Serfaus zum Beispiel – die haben sich ja die Kinderbetreuung auf die Fahnen geschrieben – da kümmert man sich schon um die Dreimonatigen. Überhaupt ist man in Serfaus-Fiss-Ladis in diesem Zusammenhang sehr gut organisiert. Das ist ganz toll dort. Mein Sohn war sehr früh mit dabei, der war mit dreieinhalb Jahren mit oben auf dem Berg. Je nach Skigebiet, auch abhängig von der früher teils sehr strengen Alterstrennung bei den Skischulen, wechseln wir uns ab bei der Aufsicht. Dann passt einer am Vormittag auf die Kleinsten auf, am Nachmittag ein anderer.
Die gelungene Betreuung ist also sehr von den Skischulen abhängig?
Ja, bei uns hat etwa keiner seinen Kindern selbst das Skifahren beigebracht. Obwohl wir zum Beispiel einen ausgebildeten Skilehrer mit in der Gruppe haben. Den zieht es aber immer mehr auf den nächsten Gletscher und auf die steilste Piste, wenn eine Weltcup-Abfahrt da ist, dann muss die gefahren werden. Er und seine Frau schlagen die Ziele für das nächste Jahr vor. Wenn’s uns dort gefällt, dann bleiben wir meist zwei bis drei Jahre dort.
Sehr groß scheint die Bindungswirkung dann nicht zu sein?
Das liegt daran, dass dem Auswählenden meist schnell langweilig in einem ihm schon bekannten Gebiet wird. Wohingegen wir mit den Kindern schon sehr froh sind, wenn wir den Zielort gut kennen. Als wir zum Beispiel das erste Mal in Wolkenstein waren, da war alles sehr kompliziert. Wir hätten da etwa ein Auto gebraucht, um von der Skischule zum Skiverleih und zum Lift und dann wieder ins Appartement zu kommen.
Skiverleih mit eigenem Depot erleichtert das alles?
Wenn das angeboten wird, nutzen wir das sehr gern. Geht in unserem letzten Skiort nur leider nicht. Wenn wir’s dann aber endlich bis ins Appartement geschafft haben, dann ist meist alles gut. Wir shutteln uns mit unseren eigenen Autos, was hilft. Insgesamt reist unsere Gruppe auf sehr unterschiedliche Weise an. Wir etwa fahren mit zwei anderen Familien mit der Bahn, andere reisen mit dem Auto an und wieder andere fliegen nach München und nehmen von dort einen Leihwagen.
Wie wichtig ist Ihnen eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln?
Wir würden ja auch mit dem Auto fahren. Aber das ist so ein wenig erlerntes Verhalten. Wir können in Hamburg abends in den Zug steigen und sind quasi am Morgen um Neun am Skiort. Wenn alles gut geht und wir das Gepäck unterstellen können, dann sind wir auch schon auf der Piste. Bei der Rückfahrt funktioniert das umgekehrt, das finde ich schon sehr luxuriös. Fliegen und Mietwagen zu nehmen wäre mir zu viel Aufwand, wäre zu verdreht. Die österreichische Bahn hat das ja ganz geschickt gemacht. Die hat die Nachtzüge von der Deutschen Bahn übernommen, die das Angebot aufgegeben hat. So müssen wir über Österreich buchen. Das geht zwar auch online, machen wir aber meist telefonisch über Salzburg, bevor alle Verbindungen ausverkauft sind. Meist fahren wir zu den Hamburger-Skiferien, aber Weihnachten fände ich auch schön, wenn alles schön weiß ist.
Bis jetzt war das Ziel meist in den Alpen?
Ja, wir waren bisher immer in Europa, wobei die beiden besten Skifahrer schon auch gerne in den Rockys wären. Wir waren einmal in Frankreich. Das hat aber nicht ansatzweise so viel Spaß gemacht wie in Österreich. Alleine schon das Skibussystem ist dort nicht so gut organisiert wie in Österreich, wo man einfach in den Bus steigen kann, selbst wenn man noch keinen Skipass hat. Schließlich ist man ja gerade auf dem Weg, einen zu lösen. Da ist man in Frankreich nicht so entspannt. Da zahlen Sie erst mal zehn Euro, um überhaupt erst zur Liftstation zu kommen. Dann sahen die Lifte dort auch nicht gewartet aus. Das ist in Österreich anders. Wenn man das gewohnt ist, dann ist Frankreich eher ein Schlag ins Gesicht, auch wenn die Gebiete von der Landschaft her eindrucksvoll sind. Wenn aber nur jeder zweite Sessellift benutzbar ist, dann ist das wenig reizvoll. In Österreich bekommt man da ja was für sein Geld, da gibt es große Lifte, Popo-Heizung auf den Sesseln, einen neuen Fun-Park jedes Jahr. Das ist schon schön.
Früher hat uns auch mehr das Après-Ski interessiert, aber jetzt bleiben wir meist in unseren Appartements, versorgen uns selbst, treffen uns nach dem Abendessen in einer Wohnung, trinken Schnaps und spielen. Wobei, je älter wir werden, desto weniger trinken wir. Als Gruppe fahren wir schon seit circa fünfzehn Jahren zusammen auf Skiurlaub.
Wie kamen Sie selbst zum Skifahren?
Über den Sportverein, bei mir in der Kleinstadt. Das mit den Sportvereinen im Norden ist ja so eine Sache. Für meine Mutter als alleinerziehende Grundschullehrerin war Skifahren schon eine ziemliche Investition. Der Sportverein half sehr, bei dem konnte man sich auch die Ausrüstung ausleihen. Da standen dann auf dem Sportplatz Schuhe, Ski und Stöcke, jeder probierte aus, was einem passt. Der Verein hatte auch Skilehrer, die uns selbst unterrichteten. Das war sehr kostengünstig, auch weil die Absprachen mit den Hütten hatten. Wir sind dann in den Schleswig-Holsteinischen Osterferien gefahren, also spät in der Saison.
Ohne den Verein hätten Sie also keinen Zugang zum Skifahren gehabt?
Es gab noch die Gelegenheit während des Studiums dank meines Freundeskreises, aber wenn man das nicht von Kindesbeinen an lernt, dann ist das schon was anderes. Wir nehmen jetzt auch noch regelmäßig Stunden, jeden Urlaub, meist für zwei, drei Tage. Richtig angefangen habe ich wieder in St. Anton. Das hat viel Spaß gemacht.
Wie wichtig ist Ihnen Ambiente?
Eher so mittel. Früher haben wir mit den Familien, als die Kinder noch sehr viel kleiner waren, auch weiter draußen gewohnt. Je älter sie werden, desto wichtiger wird aber auch das Ambiente, der Ort. Am wichtigsten ist aber die Skischule. Wir wollen ja auch, dass wir keine kleinen Pistensäue heranziehen, sondern dass die die Regeln beherrschen. In Wolkenstein hatten wir zum Beispiel eine Skilehrerin, die für das italienische Nationalteam gefahren ist. Das hat die kleinen Jungs schon sehr beeindruckt. „Oh, die hat bei Olympia teilgenommen.“ Die hatte dann natürlich sehr viel mehr Autorität als wir.
Haben Sie schon einmal an Osttirol als Urlaubsziel gedacht?
Was für Skigebiete gibt es denn dort? Ich bin da jetzt nicht unbedingt die aussagekräftigste Quelle, ich könnte Ihnen meist auch nicht sagen, auf welcher Seite des Berges unser aktueller Skiort liegt. Meine Freunde, die für uns die Gebiete auswählen, kennen da aber sicher den einen oder anderen Ort. Ich sage zu dem allen ja meist Westtirol.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieses Interview ist Teil einer kurzen Serie zum Thema: Was wünscht sich eigentlich der deutsche Wintergast? Dolomitenstadt-Autor Marcus G. Kiniger hört sich dazu in seiner derzeitigen Heimatstadt Hamburg um.
Winteransichten im Zahnarztsessel
Mit offenem Mund frage ich meine Zahnärztin nach den Wurzeln ihrer Skibegeisterung.
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