Im Jahr 2007 kam der damals acht Jahre alte Michael John Lema zum ersten Mal nach Osttirol — der Grund für diese Reise war ein Familienurlaub. Michael war sofort angetan von Lienz und der imposanten Bergkulisse, die die Dolomitenstadt umschließt. Seine Familie hatte sich damals für Lienz als Urlaubsort entschieden, weil eine Bekannte von Michaels Mutter, Elisabeth Girstmair, seit Jahren hier lebt.
Nach dem Urlaub ging es für Michael und seine Familie zunächst wieder zurück in ihre rund 6.000 Kilometer entfernte Heimat — Tansania. Zu diesem Zeitpunkt stand für den Nachwuchskicker bereits fest: „Ich will nach Österreich“. In den darauffolgenden Monaten setzte sich Michael einige Male in den Flieger Richtung Alpenrepublik, ehe er 2009 endgültig seine Zelte in Osttirol aufschlug — für den zu diesem Zeitpunkt Zehnjährigen eine Entscheidung, die ihm schwer fiel. „Meine Familie unterstützte mich in allen Belangen, aber sie wollten nicht mitkommen. Ich musste alleine gehen, das war nicht einfach“, erklärt Michael. Elisabeth, die Bekannte seiner Mutter, nahm ihn bei sich auf, für Michael begann ein neues Kapitel in seinem noch jungen Leben.
Fortan besuchte er zunächst die Volksschule Lienz Süd und später für mehrere Jahre das Lienzer Gymnasium. Seine Familie in Tansania besuchte er während dieser Zeit regelmäßig, das macht der bodenständige Kicker auch heute noch so. Nachdem es ihn 2009 endgültig nach Osttirol verschlagen hatte, fassten Elisabeth und Michael den Entschluss, ihn bei einem lokalen Fußballverein anzumelden — rückblickend zweifellos eine Entscheidung von großer Tragweite. Bereits als kleiner Junge hatte Michael mit seinen Freunden auf den Straßen Tansanias gebolzt und träumte von einer Karriere als Fußballer: „Ich wollte dann in Osttirol unbedingt bei einem Verein spielen“.
Da eine Anmeldung des Nachwuchskickers bei Rapid Lienz mit bürokratischen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, entschieden sich Michael und Elisabeth für die Sportunion Tristach. Dort ging der Jungkicker mehrere Jahre auf Torjagd, bevor er im Sommer 2012 in die Jugend von Rapid Lienz wechselte. Michael wurde wegen seiner enormen Schnelligkeit und seinen technischen Fähigkeiten schon damals im Mittelfeld, vorwiegend auf den Flügeln, eingesetzt.
Ein Jahr später, 2013, war er dann an einem enorm wichtigen Punkt in seiner jungen Fußballerkarriere angelangt — der SK Sturm Graz, einer der „Branchenführer“ im Österreichischen Vereinsfußball, hatte bei Michael angeklopft und wollte ihn an die Mur lotsen. „Ich hab mich wahnsinnig gefreut, natürlich nimmst du als Jugendspieler ein Angebot von so einem Verein an“, erklärt der heute 18-Jährige. Dabei wäre er doch beinahe bei einem Ligakonkurrenten der Grazer gelandet — bei den „Bullen“ des FC Red Bull Salzburg. „Ich hab vorher schon für Salzburg unterschrieben, aber als dann Sturm Graz anfragte, hab ich mich für Sturm entschieden“, so Michael, der seine Entscheidung damit begründet, dass „die Jugendteams der Grazer damals erfolgreicher waren. Ich sah meine Zukunft dort.“
Seine Entscheidung bereut er bis heute nicht, schaffte er bei den „Blackys“ doch bereits früh den Durchbruch in Richtung Profikader. Nach nur drei Saisonen in den Jugendteams der Grazer, gehört der 18-Jährige seit 2016 dem Stammpersonal für die zweite Mannschaft von Sturm Graz an. Doch dank seiner Zielstrebigkeit und seinem Ehrgeiz kam es, dass er in dieser Saison bereits vier Mal in den Profikader berufen wurde und seither als einziger Spieler der zweiten Mannschaft mit dem Profikader unter der Leitung von Franco Foda trainieren darf — unter anderem auch mit seinem Osttiroler Kollegen Sandi Lovric.
Das erste Mal stand Michael beim Auftakt der aktuellen Bundesligasaison gegen den SKN St.Pölten im Kader der Grazer. „Als mir der Trainer sagte ‚Du bist im Kader‘, da ging bei mir natürlich der Puls hoch“, erzählt der Flügelflitzer mit einem Leuchten in seinen Augen. Auch wenn es bislang noch nicht für einen Einsatz bei den Profis gereicht hat, freut sich Michael jedes Mal, wenn er im Kader steht. „Ich gebe momentan alles im Training, um so bald wie möglich zu einem Einsatz zu kommen.“
Da er nun mit den Profikader trainiert, bedeutet das auch einen strengeren Trainingsplan für den Jungspund. Nahezu über die gesamte Saison hinweg steht er sieben Mal pro Woche, von Montag bis Sonntag, auf dem Trainingsplatz in Graz. Das kann anstrengend sein. „Wir trainieren jeden Tag, da sind auch manchmal intensive Einheiten dabei — aber das gehört dazu, ich will hart arbeiten, um immer besser zu werden“, zeigt sich Michael motiviert. Im Team fühlt er sich voll angenommen, mit den Spielern verstehe er sich super, besonders mit dem griechischen Linksverteidiger Charalampos Lykogiannis.
Neben seinem Werdegang bei Sturm Graz begleitet ihn mittlerweile ein weiteres wichtiges Thema in seinem Fußballerleben — das österreichische Nationalteam. Der Österreichische Fußballbund, kurz ÖFB, steht bereits seit längerer Zeit mit dem Nachwuchskicker in Kontakt, allerdings konnte er zunächst nicht für Österreich spielen, da ihm die Staatsbürgerschaft fehlte. Dieser Umstand änderte sich im Feber diesen Jahres und da dauerte es auch nicht lange, ehe er in die U19-Nationalmannschaft von Österreich einberufen wurde — für den Dribbelkünstler aus Tansania eine große Ehre. „Das war der Wahnsinn! Es ist mir eine Ehre, dieses Land im Fußball repräsentieren zu dürfen.“ Ob er nicht lieber für sein Heimatland Tansania spielen würde? - „Das würde ich natürlich auch sehr gerne, immerhin ist es meine Heimat. Aber ich lebe jetzt hier und das zählt für mich.“
Bei der U19 wird der Mittelfeldspieler von einem hierzulande gut bekannten Trainer gecoacht — Peter Schöttel, der erst vor wenigen Wochen zum Sportdirektor des ÖFB bestellt worden war und zuvor unter anderem bei Rapid Wien als Trainer an der Seitenlinie stand. Bei seinen bisher drei Auftritten in der U19-Nationalmannschaft gelang es Michael auf Anhieb, Eindruck zu hinterlassen. Vor allem für seinen Siegestreffer gegen Kosovo im Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft erntete der 18-Jährige viel Lob und Anerkennung von den heimischen Medien und ehemaligen Weggefährten. „Das fühlte sich unbeschreiblich an. Es war ein schöner Moment“, so Michael. Ein Einsatz für die A-Nationalmannschaft wäre für ihn natürlich das Maß aller Dinge.
In Graz habe er sich gut eingelebt und von Anfang an wohl gefühlt. Seit einiger Zeit lebt er in einer Wohnung in Altstadtnähe. Auch abseits des Fußballplatzes hat Michael einiges um die Ohren, da er nebenbei in Graz eine Handelsschule für Sport besucht. Bei all dem Trainingsstress bleibe manchmal die Freizeit etwas auf der Strecke — ein Kompromiss, den er gerne eingeht. Auf die Frage, woher er täglich seine Motivation nehme, meint Michael: „Ich treibe mich stets an, will immer eine Stufe besser werden. Klar, manchmal fehlt einem ein wenig die Motivation, aber wenn du dann auf dem Trainingsplatz stehst, ändert sich das schlagartig.“
Für die eine oder andere Partie mit Kumpels im virtuellen Sportspiel „FIFA 18“ nimmt er sich dennoch gerne Zeit. Seit September hat er sogar die Möglichkeit, sich selbst in „FIFA“ zu spielen, da die Entwickler von „EA Sports“ den Dribbelkünstler in diesem Jahr erstmals in ihr Spiel genommen haben. Stolz? „Ja klar! Ich denke es ist der Traum jedes Fußballfans und Spielers, sich selbst auf der PlayStation spielen zu können. Aber ich spiele eigentlich nie mit mir, weil meine Bewertung im Spiel noch ziemlich mies ist“, lacht Michael.
Wie es mit seiner Karriere künftig weitergehen soll, wird Michael demnächst entscheiden —spätestens im kommenden Sommer, da läuft nämlich sein Vertrag bei Sturm Graz aus. „Man weiß nie was passiert und es kann auch alles ganz schnell gehen, aber momentan fühle ich mich sehr wohl hier. Der Verein hat mir auch signalisiert, dass sie meinen Vertrag verlängern möchten. Ich werde in den kommenden Monaten über meine Zukunft entscheiden“, so Michael. Seiner Devise „Hopp oder Tropp“ werde er jedenfalls in sämtlichen weiteren Situationen treu bleiben, wie er mir versichert. Seine größten Ziele seien aktuell der erste Einsatz in der Kampfmannschaft von Sturm Graz und die Qualifikation für die Europamannschaft mit dem U19-Nationalteam. Der große Traum Michaels? „Irgendwann für den großen FC Barcelona zu spielen.“
In wenigen Wochen wird Michael Lema seine Familie in Tansania besuchen, um mit ihr gemeinsam Weihnachten zu feiern und den Fußball für wenige Augenblicke in den Hintergrund zu rücken.
3 Postings
PS: Wer sich für die Vorgeschichte interessiert: Elisabeth Girstmair hat diese in dem amüsanten und leicht zu lesenden Büchlein "Plötzlich Mutter eines afrikanischen Fußballtalents" verewigt.
Kann mich noch gut an einen Spruch des damals 9-jährigen Michael erinnern: Als er bei einer Talentesichtung des Kärntner Fußballverbands für das LAZ "vorspielen" durfte, waren die Herren Funktionäre so angetan von seinen technischen Künsten, dass sie ihm rieten: "Mach nur weiter so, dann spielst du in zehn Jahren in der Kärntenauswahl!" Worauf der Knirps wie selbstverständlich konterte: "Ha! In zehn Jahren spiel ich für den FC Barcelona!" Naja, das wird sich wohl nicht mehr ganz ausgehen, aber wer weiß, für welche Überraschungen Michael noch gut ist ...
Unser 2.Alaba unheimlich sympatischer Bursche.
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