Auf den ersten Blick ist der Obersittnitzerhof mit sieben Hektar Grünland und elf Hektar Wald vielleicht ein typischer Bauernhof wie jeder andere am Zwickenberg – doch wie gesagt, hier entsteht gerade ein außergewöhnliches Projekt. Der komplett modernisierte Hof bietet nämlich nicht nur Platz für zehn Kühe, drei Pferde, drei Enten, einige Hühner, zwei Katzen und ein paar Fledermäuse – es werden auch noch menschliche Mitbewohner gesucht. Die oberen Stockwerke des Wohngebäudes – es sind drei Stöcke zu jeweils 180 Quadratmeter, ein Drittel davon ist ausgebaut, der Rest steht zum individuellen Ausbau zur Verfügung – bieten noch viel Platz. „Eigentlich könnten in jedem Stockwerk zwei kleine Familien wohnen.“
Das Konzept ist schnell erklärt: Auf einem Gemeinschaftshof leben mehrere Mitglieder, die den Hof und das Land gemeinschaftlich nutzen. Claudia und Helmut haben die Idee einer solchen „Solidarischen Landwirtschaft“ bereits vor einiger Zeit kennengelernt – beim „WWOOFen“, einem Programm, das freiwillige Helfer an Höfe vermittelt, auf denen sie dann im Austausch gegen Kost und Logis arbeiten. „Es gibt viele verschiedene Modelle – so wie wir es kennengelernt haben, war der Hof ein volles wirtschaftliches Projekt, für das die verschiedenen Mitglieder auch finanziell gehaftet haben“, erklärt Helmut. Ganz so strikt und als rein wirtschaftliches Projekt wollen er und Claudia den Hof aber nicht sehen. Im Moment betreiben sie und Bernadette den Hof im Nebenerwerb. „Wir schauen erst einmal, wer sich dafür interessiert und was dann daraus wird. Grundsätzlich stehen uns hier aber alle Möglichkeiten offen.“
Davon kann auch ich mich bei einem kleinen Rundgang überzeugen. Zunächst sind da natürlich die Tiere. Die Enten habe ich schon getroffen, nun soll ich auch die Hühner kennenlernen, die hinter dem Haus in einem eingezäunten Bereich zufrieden in der Erde scharren. Manche von ihnen hatten Glück. „Sie kommen eigentlich aus Hochleistungsbetrieben – die Hühner dort werden meistens schon nach eineinhalb Jahren, wenn sie ‚nur‘ noch eine Legeleistung von 85 Prozent haben, geschlachtet.“ Stattdessen leben sie nun auf dem Obersittnitzerhof. Der Laufstall für die Kühe und Pferde steht momentan leer. Diese Tiere verbringen den Sommer auf der Alm und werden erst im Herbst wieder auf den Hof zurückkehren.
Im Garten, der übrigens vollständig mit gesammeltem Regenwasser bewässert wird, wachsen Kürbisse, Gurken, Zucchini, Mohn, Stangenbohnen und noch allerlei anderes Gemüse, Obst und Kräuter. Doch damit nicht genug: „Wir wollen noch einen größeren Acker anlegen“, erklärt Helmut. Auch über eine kleine Wildbienenzucht wird nachgedacht und im Winter soll Schnaps aus eigenem Obst gebrannt werden. Besonders wichtig ist dem frischgebackenen Landwirt, der sich auch bei der Bank für Gemeinwohl engangiert, eine nachhaltige Lebensweise. Auch im Haus gibt es viel zu sehen. Im kühlen Keller, geschützt vor der sommerlichen Hitze, gärt gerade das erste hofgebraute Bier vor sich hin. „In ein paar Wochen können wir es verkosten“, freut sich Helmut und zeigt mir die nächsten Räume, in denen sich vor allem Kreative und Bastler nach Herzenslust austoben können: Zum Hof gehören nämlich auch eine Tischlerei und eine kleine Schlosserei.
Welche Leute werden nun eigentlich gesucht für den Gemeinschaftshof? „Mir ist vor allem wichtig, dass Leute herkommen, die den Hof zu schätzen wissen“, meint Bernadette. „Ginge es mir nur ums Geld, hätte ich ihn wahrscheinlich einfach verkauft.“ Bei der Vorstellung, wie der Hof in ein paar Jahren aussehen könnte, lächelt sie. „Ich sehe einen revitalisierten Hof, auf dem ganz verschiedene Leute, auch mit verschiedenen Sichtweisen, harmonisch zusammenleben. Voller Leben und vielleicht auch manchmal ein bisschen verrückt.“Etwas pragmatischer sieht Helmut die Sache: „Das Haus wird dann fertig ausgebaut sein. Alle Bewohner sollen einen eigenen Bereich bekommen, es soll aber auch einen Gemeinschaftsbereich geben. Im Mittelpunkt steht dann die gemeinsame Arbeit am Hof. Es hängt auch wirklich sehr viel davon ab, welche Leute schlussendlich herkommen.“ Bereits jetzt funktioniert der Hof in einer Art Gemeinschaft. Seit Bernadette ihn 2014, nach dem Tod ihres Vaters, allein übernommen hat, hat sich ein Netzwerk aus Nachbarn und Freunden entwickelt, die sie mit der Bewirtschaftung unterstützten. „Es waren auch immer wieder Leute da, die hier gewohnt haben, so wie jetzt Claudia und Helmut.“
Und wie läuft so ein Tag auf dem Gemeinschaftshof ab? „Das hängt vor allem von der Jahreszeit ab. Jetzt im Sommer haben wir es gerade am schönsten.“ Auf jeden Fall beginnen die Tage aber sehr früh am Morgen. „Kurz nach 5.00 Uhr wecken uns die Hennen. Seit neuestem kommt ihnen aber David zuvor“, erzählt Claudia. Dann wird gearbeitet. Im Sommer auf den Feldern und im Garten – Heuarbeit, Maschinenwartung und den Stall für den Winter vorbereiten, wenn das Vieh von der Alm zurückkommt, stehen an der Tagesordnung. Im Winter geht es dann vor allem um die Tiere, die übrigens auch in der kalten Jahreszeit Freilauf haben. „Ein Urlaub sollte aber irgendwann schon auch mal drinnen sein“, lacht Helmut.
Ein Donnergrollen unterbricht unser Gespräch. Es fängt an zu regnen und das letzte Heu muss noch schnell in Sicherheit gebracht werden. Auch für mich wird es langsam Zeit, mich auf den Rückweg zu machen. Und ich muss zugeben, gerne steige ich nicht ins Auto und lasse diesen ganz besonderen Hof wieder hinter mir – den Gemeinschaftshof, der noch in den Kinderschuhen steckt. „Momentan halten wir alles am Laufen, aber mit mehr Leuten könnten wir so viel daraus machen.“ – Das haben mir Claudia, Helmut und Bernadette erklärt. Interessenten gibt es schon einige, doch die jungen Hofbetreiber sind immer noch auf der Suche. Wer also selbst ein Teil dieses einzigartigen Projekts werden will, kann sich per Mail an gemeinschaftshof@hotmail.com dafür bewerben.
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