Dass unser Ochse semmelfarben ist, wie die behufte Variante eines Golden Retrievers, macht den gemeinsamen Gang zur Schlachtbank auch nicht leichter. Namen hat er keinen. Aus gutem Grund. Lois Niederegger, Bauer vom Mortnerhof in Zedlach und Besitzer einer empfehlenswerten Jausenstation auf der Wodenalm gibt „Tieren, die wegkommen“ keinen Namen. Bei den drei Milchkühen ist das was anderes, die heißen Hanna, Minka und Sulza.
Sie ist selten geworden, die enge Beziehung zwischen uns und jenen Lebewesen, von denen wir uns ernähren. „Ja natürlich“, wir wollen „zurück zum Ursprung“, wünschen uns „Bio vom Berg“, brauchen hübsche Labels, bärtige Gurus und sprechende Schweinchen für ein gutes Gewissen beim täglichen Einkauf. Wir wollen wissen, woher unser Steak kommt. Im Idealfall von einem Bauern aus der Region. Aber dabei sein, wenn ein gutmütiger, semmelfarbener Ochse stirb? Das ist kein Marketinggag, sondern ein Ausflug in die Wirklichkeit, in das echte Lebe, zu dem auch der echte Tod gehört.
Keine Ahnung, ob es im Jenseits ein Paradies für Tiere gibt. Im Diesseits gibt es eines und das ist das Gute an dieser auch ein bisschen traurigen Geschichte. Unser Ochse hat das Paradies schon kennengelernt. Er ist dort aufgewachsen, in einer Umgebung, von der tausende seiner Artgenossen irgendwo in den Mastställen dieser Welt nur träumen können. Selbst den guten Hirten hat er kennengelernt. Lois Niederegger ist nämlich einer, ser seine Tiere wirklich liebt. Er hat nur wenige: „So bleibt mir mehr Zeit, mich um sie zu kümmern.“ Da wären Hanna, Minka und Sulza, die auf dem Hof groß geworden sind, einige Kälber und sechs Ziegen, deren Milch köstlichen Käse liefert.
26 Monate lang gehörte der Held unserer Geschichte zu ihnen. So lange dauert es, bis ein Ochse schlachtreif ist. 26 Monate, zu denen zwei Sommer zählten, die für das Tier auch Sommerfrische waren, beglückende Monate in einer wunderbaren Almnatur und fast völliger Freiheit. Ortskundige werden es wissen. Man nennt die Weiden, auf denen diese Tiere grasten, auch das „Zedlacher Paradies“, eine Kulturlandschaft, geschaffen von Bergbauern in Jahrhunderten geduldigen „Auslichtens“. Man entfernte Büsche und Fichten, ließ aber Lärchen stehen und schuf so einen fast magischen Hain, der seinen Namen wirklich verdient.
Hier graste und spielte unser Ochse als Kalb mit andern Kälbchen im ersten Sommer seines Lebens. Später, als Halbstarker, durfte er zur Sommerfrische eine Etage höher klettern, mit dem Galtvieh hinauf auf die „Ochsenalm“ im wildromantischen Frosnitztal. Dort jausnen die Rindviecher Kräuter und Gräser auf mehr als 2.000 Metern Seehöhe in teilweise unwegsamen Gelände, das selbst für die Wanderer schnell zur Kletterei werden kann. Das sei gut für die Gesundheit der Rinder, erklärt uns Lois Niederergger: „Mit der Bewegung, dem Sauerstoff und den Kräutern kommt die Kraft hinein." Und stark war er tatsächlich, unser Todeskandidat, auch wenn ihm die Kraft seiner Lenden genommen wurde, was den Stier zum Ochsen macht. So durfte er gemeinsam mit den feschen Kühen im Zedlacher Paradies herumtollen, was schön war, aber recht platonisch.
Neben Gras frisst so ein Zedlacher Ochse nur Heu und Maiskorn. Nein, nicht Silomais, sondern echte Körner. Die Kinder von Urlaubsgästen hätten den Mais einmal mit Einstreu verwechselt und beim Mithelfen auf seinem Hof im Stall ausgestreut, erzählt uns Lois. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ein paar originale Matreier Flüche auszustoßen. „Mann, hat der Bauer geil geschimpft“, meinten daraufhin die Kids, die hier mehr fürs Leben lernen, als auf mancher Schulbank und jedenfalls erfahren, woher ihr Essen kommt.
Bevor der Ochse allerdings auf dem Teller landet, muss jemand seine Seele ins Jenseits entlassen und das macht in unserem Fall ein Bauer, der auch gelernter Metzger ist: Christof Warscher aus Unterpeischlach, einem Ortsteil von Kals. Es sind nur ein paar Kilometer vom Paradies bis zur Schlachtbank. Lois Niederegger hat viel Zeit mit seinem Ochsen verbracht, jetzt folgt ihm das Tier zutraulich wie ein Haushund auf die Laderampe des Anhängers. Ob er traurig ist, fragen wir den Bauern? Nein. „Wenn er auf einen Lkw verladen würde und hunderte Kilometer Leidensweg vor sich hätte, das wäre traurig.“ Niederegger weiß, dass sowohl sie Schlachtung als auch der weitere Weg seines Ochsen im Einklang mit jenen Werten sind, an die er glaubt.
Bei Christof Warscher angekommen, trottet das 800 Kilogramm schwere Tier ruhig und zufrieden vom Anhänger herunter, als ginge es nach Hause. Beide Männer tätscheln den Ochsen, streicheln fast liebevoll über sein Fell. Dann fällt der Schuss.
Christof Warscher hat vor 20 Jahren seine Traktorgarage zur behördlich genehmigten Schlachtstelle umgebaut. Der weiß verflieste Raum ist blitzsauber, obwohl hier Hektoliter Blut fließen, bei einem Handwerk, das Christof und seine Frau Margit so sachlich erledigen, wie andere Selbstverständlichkeiten auch. Die Schafe, Schweine und Rinder der Umgebung sterben hier in guten, kundigen Händen, als Lebewesen respektiert bis zum letzten Atemzug, der so plötzlich kommt, dass selbst sensible Tiere keine Vorahnung haben – also auch keine Angst.
Mit einer ruhigen Bewegung setzt Christof den Schussapparat an den Kopf unseres Ochsen. Sekundenbruchteile später ist das Tier betäubt. Warscher durchschneidet mit einem sehr scharfen Messer die Halsschlagader. Und jetzt fließt Blut. Viel Blut. Wir Landflüchtigen ohne Bodenhaftung müssen unweigerlich an Hermann Nitsch denken und dessen Schlachtungsrituale. Ausbluten. Hier ist dieses Wort keine Metapher, sondern archaisch anmutende Realität. Der Moment hat etwas Spirituelles. Und doch ist der ausblutende Ochse in der Garage in Unterpeischlach kein Kunstobjekt, sondern einfach ein Tier in unserer Nahrungskette, dessen Nutzen wir umgehend begreifen.
Christof und Margit Warscher zerlegen den mächtigen, noch warmen Körper mit chirurgischer Präzision. „Sie würde das alles auch ganz alleine schaffen“, lächelt Christof mit einem Blick zu seiner Frau. Kein Wunder, dass diese Zerteilung über Jahrtausende rituellen Charakter hatte. Jeder Schnitt zertrennt Wesentliches, legt Organe frei, unterteilt das Nutztier in unterschiedliche Kategorien der Verwertbarkeit. „Unbrauchbar“ ist an unserem Ochsen nur Weniges. Im Gegenteil.
Jetzt kommen nämlich zwei junge Männer ins Spiel, von denen die Initiative für die paradiesische Aufzucht unseres Almochsen ausging. Der eine ist Daniel Ganzer, Juniorchef des Hotels „Outside“ im Osttiroler Matrei. Das Haus ist als Naturhotel nach dem Motto „Mitten im Draußen“ positioniert. Ganzer verkörpert jene spannende Mischung aus Leidenschaft und Know-how, die ein neuer, selbstbewusster und qualitätvoller Tourismus gerade in entlegenen Regionen wie Osttirol braucht. Für ihn ist Qualität nicht teilbar und Nachhaltigkeit niemals ein Kompromiss. Lokale Baustoffe prägen die Ausstattung des Hauses. Die Gäste pflegen sich mit Bioprodukten, die in der Matreier Apotheke entwickelt wurden, das Brot für das Frühstücksbuffet wird frühmorgens frisch gebacken und zu hundert Prozent verwertet. Was übrig bleibt, wird getrocknet und klein gehackt als Snack an der Bar serviert! Klingt trocken, schmeckt köstlich und ist bekömmlich.
Zu einer Köstlichkeit, einem kulinarischen Aha-Erlebnis soll auch unser Ochse verarbeitet werden, von einem, der die Philosophie von Daniel Ganzer im Herzen des Hotels umsetzt: in der Küche des Hotelrestaurants „Inside“. Dort macht Chefkoch Werner Wibmer die Ansagen, auch ein noch junger Mann aus der Region. Er ist weit gereist, wurde ausgebildet in diversen Gourmettempeln – etwa bei Martin Sieberer im Trofana Royal in Ischgl – und ist heimgekehrt zu seinen Wurzeln im Iseltal. Wie sein Arbeitgeber ist auch Werner Wibmer beseelt von dem Gedanken, zu zeigen, wie gut Regionalität ist – nicht nur im Geschmack, auch in einem weiter gedachten Kontext, als sinnstiftendes Konzept für ein gutes Leben.
Mit diesen Gedanken treffen wir in der Küche des „Inside“ ein und lernen von einem Kochvirtuosen, was so ein Ochse am Ende wirklich wert ist: „Das Tier hat viel mehr zu bieten als Filet und Rücken. Wir verkochen den kompletten Ochs“, doziert der junge Chefkoch und zählt auf: die „Backerl“ – sprich Wangen – sind eine Delikatesse. Knochen und Fleischabschnitte werden mit Gemüse und Gewürzen zu Jus eingedampft, quasi hochkonzentriertem Geschmack. Die Schulterteile sind gut für Braten und Gulasch, der Ochsenschwanz – wir wissen es – passt in die Suppe, wird aber auch zu „Pralinen“ verarbeitet! So nennt der Kenner geschmorte und ausgebackene Teile. Natürlich werden auch die Innereien verwertet und was dann an Fleisch noch übrig ist, wird zu Sulze und Würsten, in den kundigen Händen des weitum bekannten Matreier Fleischers Mühlstätter.
Läuft Ihnen auch schon das Wasser im Mund zusammen? Dann folgen Sie uns und Werner Wibmer an den Herd. Jetzt beginnt nämlich vor unseren Augen der letzte Akt dieser Ochsengeschichte. Jetzt kocht der Chef!
Zweierlei vom Osttiroler Almochs
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Kleines feines Gulasch & Rinderfilet im Brotmantel mit Heuschaum von der Edelweißwiese und Osttiroler Urweizen mit Minigemüse
Gulasch
Die jeweils gleiche Menge an Zwiebel und kleinwürfelig geschnittenem Fleisch anbraten. Knoblauch dazugeben und auch etwas Tomatenmark kurz mitbraten. Temperatur drosseln und mit Rotwein ablöschen, Paprikapulver dazugeben. Mit Gemüsefond aufgießen und alles aufkochen lassen. Wacholderbeeren in der Hand zerdrücken und mit Lorbeerblättern dazugeben. Eineinhalb Stunden schmoren lassen und am Schluss noch salzen.
Rinderfilet im Brotmantel
Putenfarce (Putenbrust, Rahm und Salz) auf Toastbrot streichen, das Filet darauf legen und alles unter Druck einrollen. In Alufolie einwickeln und vier bis fünf Stunden kühl ruhen lassen.
Heuschaum von der Edelweißwiese
Milch und Sahne mit Heu von der Edelweißwiese aufkochen und ziehen lassen. Abseihen und mit Salz, Pfeffer und etwas Zucker abschmecken, mit Crème fraîche vermischen.
Beilage: Urweizen mit Minigemüse
Zwiebel anschwitzen, mit Weißwein ablöschen, gekochten Urweizen aus Osttirol dazugeben, würzen und Parmesan untergeben. Gemüse kochen und in Butter schwenken.
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