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Ein „Ort guten Lebens“ ohne Autobahn und Skischaukel

Alpenforscher Werner Bätzing hielt einen viel beachteten Vortrag in der RGO-Arena.

Werner Bätzing, emeritierter Professor für Kulturgeographie am Institut für Geographie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, gilt als „DER Alpenforscher“, ein Titel, den er sich über Jahrzehnte erarbeitet hat, unermüdlich unterwegs im ganzen Alpenbogen und an dessen Ausläufern. Am 14. März referierte der Fachmann in der Lienzer RGO-Arena vor rund 200 Besuchern. Flankiert von ein paar Strohballen, Palmen und einer Apfelkiste skizzierte Bätzing im Rahmen des "Schumbeta-Forums" und auf Einladung des Osttiroler Regionsmanagements RMO die aktuelle Entwicklung in der Alpenregion klar, verständlich und zunächst aus überregionaler Perspektive, die dem vorwiegend aus Osttirol stammenden Publikum auch einen Blick auf das große Ganze bot.

Werner Bätzing in seinem Element – der wissenschaftlichen Schilderung von wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen im Alpenraum. Fotos: Charly Schwarz.

So relativierte der Forscher zum Beispiel das Thema Abwanderung. Die Bevölkerung der 6124 Gemeinden im Alpenraum habe sich seit 1871 verdoppelt, allerdings wachsen die städtischen Zentren (etwa Innsbruck und Bozen) sehr stark, während inneralpine Regionen schrumpfen oder stagnieren. Zwei Drittel der Bevölkerung des Alpenraums lebt in den Städten, in denen sich auch drei Viertel aller Arbeitsplätze befinden. Osttirol schlägt sich laut Bätzing in diesem Kontext gar nicht so schlecht.



Spannend ist auch der Vergleich touristischer Potenziale. Bätzing ließ keine Zweifel aufkommen, dass auch hier eine starke Konzentration stattfindet. Die Hälfte aller Gästebetten im Alpenraum konzentrieren sich auf nur fünf Prozent der Gemeinden, sprich ca. 300 Tourismuszentren mit jeweils mehr als 5.000 Betten in einem Ort. In Osttirol liegt keines dieser Zentren. Ähnlich wuchtig verdichten sich  – befeuert aber nicht ausgelöst durch den Klimawandel – die Hotspots im Wintersport. Der Markt bereinigt sich. Übrig bleiben die ganz Großen, eine Handvoll Mega-Schigebiete mit 200 bis 600 Pistenkilometern.



Der „Verstädterung“ und Konzentration auf der einen Seite steht laut Bätzing andererseits eine „Verwilderung“ der Natur gegenüber. Sein Blick auf den Naturschutz ist differenziert, vor allem die jahrhundertealte Almwirtschaft prägt eine artenreiche Kulturlandschaft, deren Erhaltung von zentraler Bedeutung für die Lebensqualität werden könnte. Durch das Bauernsterben in den Alpen habe sich die landwirtschaftliche Nutzfläche halbiert und die Bewaldung verdoppelt. Der Forscher spannt auch hier den Bogen weit: „Das ist kein Problem der Alpen selbst, ihrer Natur, Geschichte und Kultur. Es ist ein Grundsatzproblem unserer modernen Welt, die an unendliches Wachstum glaubt, Natur als Material betrachtet und den Menschen als Ware.“

Wohin führt das? Bätzing malt mehrere, teils eher düstere Szenarien. Neoliberale Strömungen oder auch eine ganz Europa erfassende Wirtschaftskrise würden noch mehr zu einer Verdichtung in den großen, urbanen Zentralräumen und zu einer Ausdünnung der Bergregionen führen. Nur in einer „dezentralen Aufwertung“ liege die Hoffnung der Gebirgsregionen im Alpenraum, zu denen auch Osttirol zähle. Auf den Bezirk ging Bätzing am Ende seiner Ausführung ein und zeichnete ein recht klares und zumindest in der RGO-Arena auf überwiegende Zustimmung stoßendes Bild.

Einer stark ausgeprägten kulturellen Identität steht in Osttirol ein eher schwaches Selbstbewusstsein gegenüber, analysiert Werner Bätzing.

Weder Transitstraßen wie der Alemagna, noch der geplanten Skischaukel zwischen Sillian und Sexten kann Bätzing viel abgewinnen. Es seien „klassische Aufwertungsideen“. Bessere Erreichbarkeit erhöhe bestenfalls die Verstädterung im Drautal und jedenfalls die Außenabhängigkeit. Schlechte Erreichbarkeit habe auch Vorteile, nämlich „Distanzschutz“, sprich weniger Konkurrenz auf dem eigenen Markt. Bei Skigebieten gebe es bereits ein Überangebot und angesichts der Klimaerwärmung auch unsichere Perspektiven.

Die Aufwertungsidee à la Bätzing lautet: „Osttirol als Ort guten Lebens“. Einer stark ausgeprägten kulturellen Identität stehe vor Ort ein eher schwaches Selbstbewusstsein gegenüber, das Potenzial zur Aufwertung sei aber da. Osttirol könnte eine charakteristische und attraktive Alpenregion sein, die weder von Entsiedelung, noch von Verstädterung und Massentourismus geprägt sei. Das sei nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal, sondern auch nachgefragt, ebenso wie hochwertige landwirtschaftliche Qualitätsprodukte und touristische Angebote in einer Region, „die nicht für den Tourismus umgebaut wurde“. Als größtes „exogenes“ Potenzial sieht Bätzing die starke Osttiroler Industrie und ihr Potenzial an motivierten Mitarbeitern.

Im Detail wird Professor Werner Bätzing seine Ideen als Gastautor in unserem großen Dolomitenstadt-Sommermagazin darlegen, das Anfang Juni erscheint.

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

2 Postings

Zuckerpuppe
vor 8 Jahren

Der Mann spricht mir aus der Seele! was wir hier in Osttirol brauchen ist Mut und Selbstvertrauen in uns selber und die Überzeugung, dass das was wir hier haben, in Zukunft das ist, wonach Andere, Gestresste suchen und finden werden. Ich bin sehr stolz und überaus glücklich, hier in diesem wundervollen Fleckchen Erde zu Hause sein zu dürfen.

 
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    kritisch
    vor 8 Jahren

    Bin ganz bei Dir, süße Zuckerpuppe! Aber solange solche Politiker wie Blanik, Köll und Co. nur das Heil in weiteren Verbauungen und Angleichungen an Gebiete wie in Nordtirol anstreben, wird sich da nichts ändern. Man muss sich mal vergegenwärtigen, dass es tatsächlich noch Bgm. bei uns gibt, die eine Alemagna als Heilsbringer sehen. Alles was da bleiben würde, ist Verkehr und Gestank, NEIN DANKE!

    Schätzen wir unsere Heimat doch endlich mal und verkaufen wir sie dementsprechend. Man kann es nie besser sagen wie einst die Villgrater, "Wir haben NICHTS, kommen Sie zu uns"! Gerade dieses "Nichts", das eine Region von relativer Unberührtheit und gesunder Natur hat, wird DAS Kapital der Zukunft werden. Die Menschen werden sich danach sehnen, Ruhe und Abgeschiedenheit zu finden, um endlich vom immer mehr zunehmenden Stress Abstand zu bekommen. Die Zeit wird immer schnell lebiger und vergißt den einzelnen Menschen. Viele kommen mit dieser Geschwindigkeit gar nicht mehr mit, da brauch ich dann sicher nicht auch noch einen Urlaub, der ebenfalls nur mit Stress und TamTam à la Ballermann oder ewiger Hüttengaudi verbunden ist. Die Piefke Saga ist längst schon Realität, das brauchen wir hier nicht. Und die Gäste, mit denen man so spricht, bestätigen genau das.

    Aber solange dafür immer noch die ewig gestrigen Funktionäre wie z.B. Theurl das Ruder nicht aus der Hand geben, kann sich das nicht ändern. Es braucht endlich mal junge, der Zeit angepasste, Ideen und nicht Verantwortliche und Politiker, die einfach nie über den Tellerrand oder über die nächste Wahl hinaus schielen.

    Bin froh, dass zumindest Fachleute von "Außen" den Wert unserer Heimat erkennen und dies auch öffentlich verlautbaren. Leider interessiert das halt die gewissen Personen nicht, die eigentlich dafür gewählt wurden, etwas Gutes besser zu machen und nicht ewig schlecht zu reden, da wir ja soooo hinterwäldlerisch sind.

     
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