Für die meisten Menschen ist ein "Vorschuss" das, worum man den Chef gegen Monatsende bittet. Nicht für Friedl Webhofer und Seinesgleichen. Der Obstbauer aus Gaimberg ist Mitglied des Vereins der Osttiroler Preglerbauern und vermittelt uns ahnungslosen Dolomitenstadtlern im Schnellsiedeverfahren, worauf es beim Schnapsbrennen ankommt. Webhofer ist der richtige Mann für diesen Job, seine Schaubrennerei ist längst kein Geheimtipp mehr und der ideale Ort für einen Einstieg in die Welt der edlen Brände, die übrigens – zumindest in der heißen Phase – etwas Meditatives hat. Während im Kessel stundenlang der Rauch aufsteigt, spitzen wir die Ohren und schärfen den Geruchssinn. Die Nase braucht man, um herauszufinden, wo der Vorschuss aufhört und das kommt, worum es beim Schnapsbrennen geht: das unvergleichliche, in einem alkoholischen Destillat gebundene Aroma bester Früchte. Diesen Moment kann man riechen und in diesem Moment entscheidet sich alles.
Der Vorschuss oder Vorlauf riecht nach Klebstoff, nach UHU. Er ist ungenießbar, genauso wie der "Nachlauf", der Fuselöle enthält. Wir werden später noch erfahren, wie man diese Phase am besten erkennt. Wer Schnaps brennt, egal ob mit Webhofers hypermodernem Brennkessel, der als einziger in Osttirol mit Pellets befeuert wird, oder auf die alte Methode, muss vor allem die Kunst beherrschen, Vor- und Nachlauf von der kostbaren Mitte zu unterscheiden und sich zudem auf ein paar Qualitätskriterien besinnen. "Das Wichtigste überhaupt ist das Obst", schwört Webhofer, der selbst fünf Hektar mit Äpfeln und Birnen auf den sonnigen Gaimberger Hängen bewirtschaftet. "Es gibt allein 20 Sorten Jonagold, aus jeder entsteht ein anderer Apfelbrand und Kenner erschmecken sogar die Sorte".
Nur was in der Frucht als Geschmack und Aroma bereits angelegt ist, findet sich später in der Flasche wieder. Die Qualitätsbrenner unserer Tage verpassen auch bei der Maische nicht den richtigen Zeitpunkt zur Weiterverarbeitung. Früher wurde im Herbst "eingemaischt". Wenn der Bauer über die kalten Wintermonate Zeit fand, wurde Schnaps gebrannt. Die durchwegs preisgekrönten Brenner des illustren Preglerbauern-Zirkels nutzen dagegen den optimalen Zeitpunkt der Vergärung, nach 14 Tagen bis drei Wochen. Sie bringen nur perfekt eingemaischte Früchte in den Brennkessel. Was dann bei 78 Grad zu destillieren beginnt, ist aber noch lange nicht die kostbare Spirituose, die später in den hübsch gestalteten Flaschen verkauft wird. Dazwischen liegen weitere Arbeitsgänge, teilweise wird doppelt gebrannt und auch die Lagerung ist ein Thema für sich.
Wir nehmen das bei Friedl Webhofer erworbene Grundwissen mit und begeben uns auf eine Runde um das Lienzer Becken, um noch mehr Geheimnisse zu erfahren. In Glanz, schon abseits der Häuser, folgen wir in einem tiefen Waldstück einem Sackgassenschild und stehen plötzlich überrascht vor dem wunderschön gepflegten Hof des Waldhäusl-Bauern. Als die Familie den Hof 1930 kaufte, sei es nur ein richtiges „Waldhäusl“ gewesen, berichtet uns die Altbäuerin Antonia. Sie und ihr Gatte sind gerade dabei, mit der Sense das Gras unter den Obstbäumen zu mähen, während Schwiegertochter Andrea eine Harpfe ablegt. Hier wird auf traditionelle Arbeit noch viel Wert gelegt. Sogar das Brennrecht geht noch auf Kaiserin Maria Theresia zurück, die es im 18. Jahrhundert an rechtschaffene Bauern verlieh. Stolz zeigen uns Antonia und Sepp ihren Brennkessel und die Fässer, die sich im Nebenraum türmen.
Das Schnapsbrennen gehört zu ihrer beider Arbeit. Aber das Kosten, das liegt fest in Antonias Hand. „Da darf man koan Mann zuawe lassen, de ham koa Geduld!“ Während des langen Brennvorgangs verreibt Antonia den Brand immer wieder auf ihren Handballen, riecht und schmeckt daran, damit sich ja keine Fuselöle in das Herzstück verirren. Aha! So erkennt man den "Nachlauf"! Das Schnapsbrennen bedeute viel Arbeit, aber, Antonia's Augen beginnen zu leuchten: "Es ist einfach fein." Auch die Nebenprodukte finden übrigens Verwendung. So wird Kühen, die noch geschwächt vom Abkalben sind, Nachlauf zur Stärkung verabreicht und mit dem hochprozentigen Gebräu der Rücken eingerieben. Lachend erinnert sich Sepp daran, dass es früher beim Brennen recht gesellig zuging beim Waldhäusl: "So mancher ist vorbeigekommen, um warmen Schnaps zu trinken." Und warmer Schnaps sei nicht besonders bekömmlich...
Beim „Waldhäusl“ sind die Altbauern Antonia und Sepp für den Schnaps zuständig.
Wir wechseln die Talseite, hinüber zum Waldner vlg. Moarl in Oberdrum. Wir stehen vor einem prächtig mit Blumen geschmückten Bauernhaus, daneben das Stallgebäude, wo sich mitsamt den von der Alm zurückgekehrten "Sommerfrischlern" an die 30 Rinder tummeln, dahinter wachsen auf dem fruchtbaren Schuttkegel der Schleinitz verschiedenste Obstbäume und zwischen alldem lachen die zwei fröhlichen Gesichter von Maria und Michl. Willkommen beim Moarl!
Bei den legendären Oberdrumer Schnapsbrenner Tagen ging es auch hier immer lustig zu, drei Tage (und Nächte) ab dem "Speckpfingstig". Beim Moarl wird schon seit Generationen Schnaps gebrannt. Seit Jahrzehnten kümmern sich der Michl und seine Maria darum. Vor wenigen Jahren ist Michl beim Pflücken von Vogelbeeren vom Baum gefallen und hat sich das Becken gebrochen. Aber als echter Oberdrumer kraxelt der heute 77-Jährige natürlich immer noch selbst in den Vogelbeerbäumen herum. Das „Abbirnlen“ darf dann Maria übernehmen. Hier kommen wir auch zum ersten Mal auf eine Osttiroler Spezialität zu sprechen. Den Pregler.
Für diesen markenrechtlich geschützten regionalen Schnaps eignen sich am besten die Apfelsorten Boskoop und Kalterer, sagt uns Michl. Wir glauben ihm. Er hat schon viele Auszeichnungen eingeheimst und war selbst sogar Verkoster bei Schnapsprämierungen. „Bei einem guten Schnaps soll man die Frucht riechen können, der Abgang soll mild sein und am Ende ein breites Aroma entfalten“, lehrt uns Michl. Deshalb seien gut ausgelichtete Obstbäume und ein sonniger Herbst für das Aroma der Früchte und in Folge auch des Brandes ausschlaggebend. Und nur billiger Fusel werde aus dem Kühlschrank serviert!
Dann zeigt er uns den Brennraum – seinen Brennraum – wo er viele einsame Stunden verbringt. Er sei gerne alleine beim Brennen, hier komme er zur Ruhe. Früher war das ganz anders. Sobald beim Moarl mit dem Brennen begonnen wurde, gesellten sich rasch einige Nachbarn in die Brennkammer und die Ablenkung war dann natürlich groß. Überhaupt sei die Qualität der Brände in den letzten Jahrzehnten viel besser geworden, meint Michl, auch die Gründung des Vereins der Osttiroler Preglerbauern hätte dazu beigetragen.
Früher betrug der Alkoholgehalt meist 48 oder gar 50 Prozent und gebrannt wurde alles, was sich halbwegs eignete. Michl erinnert sich noch gut daran, wie nach Kriegsende Kosaken auf den Hof kamen, um Zuckerrübenschnaps zu kaufen. Die Maische wurde an die Hoftiere verfüttert. „Aber nit zuviel!“ Denn eines Tages sah er seine Schweine, wie sie betrunken und zufrieden im Stall vor sich hin schnarchten.
Von Oberdrum ist es nicht weit nach Gaimberg. Von dort blickt der Grissmannhof erhaben auf die Dolomitenstadt hinunter. Die Sonne mag in Lienz sitzen, aber hier in Gaimberg tut sie ihre Arbeit. Und die Menschen auch. „Es geht nur, weil alle zusammen helfen,“ bestätigt die fesche Bäuerin Angelika meine Gedanken. Im geschichtsträchtigen Stubenhaus, am Portal lese ich 1380, treffen wir die Altbäuerin Gretl. Die rüstige 82-Jährige fasziniert durch ihre Ausstrahlung. Ihr Geheimnis: „ Arbeiten.“ Das Schnapsbrennen hat Gretl in einem Kurs erlernt, es gehört seit 66 Jahren zu ihren Aufgaben. Seitdem hat sie, aus Hobby wie sie sagt, alles mögliche ausprobiert: Vogelbeer-, Enzianwurzen-, Meisterwurzen-, Kranebitten-, und natürlich Apfel- und Birnenbrände, die für ihren hervorragenden Pregler verantwortlich sind. „Aber man muass a Gefühl dafür haben, sonst nutzt der beschte Kurs nix!“
Noch vor ihrer Zeit als Schnapsbrennerin wurde in der Küche die Maische in einem großen Topf gesotten und sei natürlich oft angebrannt. Auch eine Eisenkette, auf den Topfboden gelegt, schaffte keine Abhilfe. Wohl konnte dann die Eisenkette samt Angebranntem herausgezogen werden, dafür hätte aber der Schnaps eine besondere Eisennote bekommen.... Der alte Kornkasten, gleich neben den über hundertjährigen Rosenstöcken von Gretls Schwiegermutter, dient zur Zeit als Waschraum. Aber schon bald werden hier hochprozentige Köstlichkeiten entstehen. Gretl schwört auf ihren alten Kupferkessel und sogar ein neugekauftes Kühlfass wurde wieder gegen ihr altes und liebgewonnenes aus Jugoslawien eingetauscht. Wenn das Feuer beim Erhitzen des Wassers nicht ständig kontrolliert werde, meint Gretl, könne das gefährlich werden: „Jedes Jahr erwischt's an Bauer und ana fliag in die Luft!“ Sie verrät uns auch ein tolles Rezept zum Einreiben bei Rheuma: Moortaxn (junge Fichtentriebe) werden in einem Gemisch aus Vorschuss und Nachlauf angesetzt und für einige Wochen in die Sonne gestellt. Ihre Schwiegermutter setzte Krenwurzen an. Soll brandsicher gegen Kreuzschmerzen helfen!
„Zuerscht sicht an die Arbeit an, aber wenn dann des Feuer knischtert...“ Gretl strahlt. Es herrsche eine ganz besondere Atmosphäre beim Schnapsbrennen, und am Abend sei man richtig müde. Durch die angenehme Wärme, das viele Kosten und natürlich durch den Dampf, der einen ständig umgibt.
Wir fahren weiter nach Dölsach, wo unsere "Schnapsrunde" endet. Alle 25 Preglerbauern zu besuchen, das schaffen nicht einmal hartgesottene Schnapsler, schließlich gibt es überall eine Kostprobe. Josef Mair ist seit mehr als zehn Jahren Obmann des Vereins der Preglerbauern und zudem Bürgermeister des – ich erlaube mir, es so zu nennen – Schnapsbrennerdorfes Dölsach. Er brennt in der Freizeit und mit Leidenschaft! Der Brennkeller ist rustikal eingerichtet und modern ausgestattet, hier hängen auch viele glitzernde Auszeichnungen von der "Destillata". Sepp winkt ab: „Die sind nit so wichtig.“ Qualität zu produzieren, das sei die Herausforderung, die ihn schon seit vielen Jahren fasziniere. Auch seine Frau hilft mit. „Frauen haben einen feineren Geschmackssinn,“ ist Sepp überzeugt.
Guter Schnaps muss sauber gebrannt sein, ca. 70 Prozent liege an der Qualität der Maische: „Die Kunst des Brennens ist, das Aroma des Obstes in den Schnaps zu bringen.“ Am Ende wird auch klar, warum das edle Getränk seinen Preis hat. Das hat uns schon Friedl Webhofer in seiner Schaubrennerei vorgerechnet. Immerhin sind 600 Kilo Äpfel nötig um sechs Liter Schnaps zu brennen, mit allem Risiko, das die Natur zu bieten hat, von Frost über Hagel bis zu den Hitzewellen vergangener Sommer. Ein Nachsatz noch zum "Pregler". So darf sich nur ein Schnaps nennen, der aus Äpfeln und Birnen gebrannt wurde, mit ganz seltenen, streng geregelten Ausnahmen für wenige Schnapsbrenner, die aus alter Tradition auch Zwetschken verwenden. Auf jeden Fall müssen die Früchte in Osttirol herangereift sein und auch dort verarbeitet werden. In jeder einzelnen Preglerflasche stecken also Osttiroler Früchte und viel harte, aber sinnliche Arbeit der Brenner, die durch ihre Leidenschaft ein markengeschütztes Kulturgetränk schaffen. Man schmeckt es. Zum Wohl!
Verein der „Osttiroler Preglerbauern“
- Josef Assmair - vlg. Mühlhäusl
- Adolf Berger - vlg. Oberbichler
- Josef Berger - vlg. Jörger
- Hermann Dellacher
- DI Josef Althaler
- Norbert Duregger - vlg. Grissmann
- Ilse Goller
- Robert Goller - vlg. Freund
- Franz Koller - vlg. Dörer
- Ernst Korber
- Kuenzhof
- Hans Mair
- Josef Mair
- Martin Mayerl - vlg. Blasl
- Alois Mühlburger - vlg. Kupferer
- Herbert Oberhauser - vlg. Waldner
- Elke Obkircher
- Christian Ortner - vlg. Draschlinger
- Josef Steinringer - vlg. Waldhäusl
- Michael Tiefnig - vlg. Zenzeler
- Johann Trutschnig
- Thomas Tschapeller - vlg. Moar
- Michael Waldner - Moarl
- Bernadette Webhofer - vlg. Sporer
- Friedl Webhofer - vlg Messner
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