Die Lienzer Dolomiten haben neben reizenden Wandersteigen und interessanten Kletterrouten in einer beeindruckenden Landschaft auch in zoologischer und botanischer Hinsicht einiges zu bieten. Sie bilden zusammen mit den Karnischen Alpen die einzigen Karbonatgesteinsformationen Osttirols und gehören zu den Südlichen Kalkalpen. Ihre Fortsetzung finden sie in den Kalkgebirgen von Südtirol, Venetien und Friaul. Diese Verbindung zum italienischen Südalpenrand ist wohl mit eine der Ursachen für den beeindruckenden Artenreichtum der Lienzer Dolomiten.
Der basische Untergrund ermöglicht das Gedeihen zahlreicher kalkliebender Pflanzen, auch einiger Raritäten, die meist nur an eng begrenzten Standorten wachsen und in ihrem Bestand gefährdet sind. Intakte Pflanzengemeinschaften mit einer großen Vielfalt an verschiedenen Blumen, Kräutern und Gehölzen sind die Grundlage für ein reiches Insektenleben. Die Raupen der Schmetterlinge sind mitunter auf ganz spezielle Pflanzen als Nahrungssubstrat angewiesen, ihr Überleben hängt sozusagen vom Vorkommen dieser Nahrungspflanzen ab. Ebenso benötigen die fertig entwickelten Schmetterlinge ausreichend intakte Naturräume, vor allem blütenreiche Naturwiesen mit reichlichem Nektarangebot. Diese Faktoren treffen in den Bergen der „Unholden“ – wie die Lienzer Dolomiten früher genannt wurden – noch weitgehend zu. Einer land- und forstwirtschaftlichen wie auch touristischen Übernutzung entziehen sich die steilen, von Felsen und Geröllhalden dominierten Landschaften durch ihre Schroffheit und Unzugänglichkeit. Es gibt hier zahlreiche abgelegene Gräben, Halden und extensiv bewirtschaftete Almen, wo seltene Schmetterlinge noch Rückzugsgebiete finden. Der „öde“ Anblick einer scheinbar kahlen Geröllhalde oder einer wenig bewachsenen steinigen Felsflur darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es sich dabei um ausgesprochen artenreiche ökologische Nischen handelt, die eine Anzahl von hochspezialisierten Lebensformen beherbergen. Viele Kleinschmetterlinge und andere Kleininsekten sind auf das in solchen Habitaten herrschende Mikroklima zwingend angewiesen, sie haben sich über Jahrtausende an diese Lebensräume angepasst.
Die Schmetterlinge gelten als sensible Bioindikatoren in Bezug auf Veränderungen ihrer ökologischen Bedingungen und reagieren darauf oft innerhalb kürzester Zeit mit Individuenrückgang, Populationsabbau und manchmal mit gänzlichem Verschwinden aus einem bestimmten Gebiet. Für den Raum Osttirol sind bisher insgesamt 2140 Schmetterlingsarten nachgewiesen worden, davon etwa 1600 für die Lienzer Dolomiten. Die Tendenz ist steigend, alljährlich werden einige neue entdeckt.
Andererseits muss aber auch erwähnt werden, dass eine Reihe von Arten, die vor 30 Jahren noch häufig auftraten, inzwischen aus Osttirol verschwunden sind und mittlerweile als ausgestorben gelten, weil sie keine geeigneten Lebensbedingungen mehr vorfinden. Nachstehend sollen nun ein paar der Raritäten unter den Schmetterlinge, die in den Lienzer Dolomiten ihre Heimat haben, vorgestellt werden. Eine kleine Sensation war 1993 die Wiederentdeckung des Karawankenspanners (Euphyia mesembrina), der 1927 in Kärnten entdeckt und beschrieben wurde und danach jahrzehntelang verschollen war. Die Überraschung war groß, als 66 Jahre nach der Erstbeschreibung im Laserzgebiet einige Stücke dieser Rarität bei einer nächtlichen Kartierung an die Lampe flogen. Die Raupen dieses Spannerfalters fressen an Steinbrech-Leimkraut (Silene saxifraga), welches an besonnten felsigen Stellen wächst. Die Tiere teilen sich diese Nahrungspflanze mit den Raupen des Blütenspanners Eupithecia carpophagata, der ebenfalls als Seltenheit im selben Habitat vorkommt. Ein weiterer Blütenspanner von eleganter Schönheit ist Eupithecia venosata. Er fliegt an kräuterreichen Plätzen mit ausgedehnten Beständen des Blasen-Leimkrautes (Silene vulgaris). Als letzter Vertreter der Spannerfalter sei noch der Wiesenrauten-Kapselspanner (Gagitodes sagittata) erwähnt, der auf das Vorkommen von Wiesenraute (Thalictrum) angewiesen ist. In etwas tieferen Waldlagen, wo an feuchten Wegrändern von Forstwegen eine reiche Hochstaudenflur wächst und verschiedene Blütenstauden wie Wasserdost, Echter Dost, Kratzdistel und Doldengewächse im Sommer ihren Nektar anbieten, wird man mit etwas Glück einem prächtigen Bärenspinner begegnen, der eigentlich zu den Nachtfaltern zählt, meist jedoch auch am Tag aktiv ist. Es handelt sich dabei um die Spanische Fahne (Euplagia quadripunctaria). Meist kann man die Falter auf den Blüten der oben erwähnten Pflanzen antreffen. Dieser bunte Schmetterling genießt einen besonderen EU-Schutz und wurde als EU-Schutzgut nach den Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien ausgewiesen.
Wenn wir uns nun den Tagfaltern zuwenden, möchte ich zwei Arten herausnehmen, die zu den seltenen Spezies gehören und nur mit viel Glück und an bestimmten Stellen beobachtet werden können. Der eine ist ein Vertreter der Scheckenfalter und an das Vorkommen der Blauen Heckenkirsche (Lonicera caerulea) gebunden, welche die Nahrungspflanze der Raupen ist. Es ist der 4 bis 5 cm große Alpen-Maivogel (Euphydryas intermedia), der im Juni an buschreichen Waldrändern und auf sonnigen Lichtungen angetroffen werden kann.
Ein weiteres Juwel unter den Tagfaltern ist der Dukaten-Feuerfalter (Lycaena virgaureae), der wissenschaftlich zu den Bläulingen zählt. Er kommt sowohl auf subalpinen Almwiesen wie auch auf blumenreichen Kräuterfluren und Bergmähdern oberhalb der Waldgrenze vor. Seinen Namen hat er von der leuchtend feurig-golden glänzenden Flügelfarbe auf der Oberseite. Die Unterseite ist matt gelblich-orange mit schwarzen Punkten und weißen Flecken. In Sitzstellung zeigt er meist die Flügelunterseite, die leuchtende Oberseite wird nur im Flug sichtbar.
Die Gruppe der sog. „Kleinschmetterlinge“ macht mehr als die Hälfte (ca. 55 %) des gesamten Artenbestandes aus, die meisten von ihnen leben verborgen, sind nachtaktiv und werden oft übersehen. Viele von ihnen messen nur 10 mm oder noch weniger. Manche besitzen auffallende Leuchtfarben und bizarre Zeichnungen. Sie offenbaren ihre ganze Pracht nur unter dem Mikroskop oder im Makroobjektiv der Fotokamera.
Im Sommer 2012 gelang im Laserzgebiet ein Nachweis der Yuccamotte Lampronia stangei, einer sehr seltenen und wenig bekannten Art, die bisher nur aus den hohen Gebirgslagen der norditalienischen und slowenischen Alpen in wenigen Exemplaren bekannt war. Der Fund war ein Erstnachweis für Österreich. Ein flinker Tagflieger ist der Zünslerfalter Anania funebris, der im Sonnenschein Blüten besucht und durch seine tiefschwarze Grundfarbe mit acht weißen Flecken sofort auffällt und unverwechselbar ist. Er gehört mit ca. 20 mm Flügelspannweite zu den größeren Vertretern der „Kleinschmetterlinge“. Als weiteres und letztes Beispiel aus der nahezu unerschöpflichen Artenvielfalt der Lienzer Dolomiten möchte ich noch den Spreizflügelfalter Prochoreutis holotoxa vorstellen. Diese etwa 12 mm kleine Art ist tagaktiv und besucht mit Vorliebe Margeritenblüten, von denen sie im Sonnenschein den Nektar aufnimmt. Die Raupen leben zwischen zusammengesponnenen Blättern von Läusekraut (Pedicularis).
Hunderte von Schmetterlingsarten müssen hier unerwähnt bleiben, sie alle erfüllen ihre Aufgabe im sensiblen ökologischen Zusammenspiel und bilden die Vielfalt, die in den Lienzer Dolomiten so außergewöhnlich ist.
Ein Artikel von Helmut Deutsch
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