Kurt Glänzer „läuft“ nicht einfach Krampus. Der gelernte Maschinenschlosser ist ein in der Wolle gefärbter Vertreter jenes Brauches, der in Osttirol auch hunderte Jahre nach seiner „Erfindung“ die Gemüter erregt, wie kein anderes Ereignis im Jahreskreis. Krampus, oder Klaubauf, wie die wilden Kerle in ihrer Matreier Wiege genannt werden, das ist eine Philosophie oder wird zumindest zu einer gemacht, von Männern wie Glänzer, der die Larvenrituale von klein auf inhaliert hat.
Schon sein Vater schnitzte hölzerne Masken und lief im Zottelfell durch Oberdrauburg, der kleine Kurt rannte im zarten Alter von drei Jahren hinterher. Heute ist der 49-Jährige selbst Häuptling einer wilden Horde aus dem Norden von Lienz, genauer gesagt aus Patriasdorf, wo dieser Stamm seinen Ursprung hat. Vor 20 Jahren gründete Glänzer mit Gleichgesinnten den Verein „Nikramo“, was soviel heißt wie „Nikolaus und Krampusgruppe Moarfeld“, und begann, das wilde Treiben in geordnete Bahnen zu lenken. „Damals waren wir 18 Krampusse und 15 Zuschauer“. Heute zählt Nikramo rund 300 Mitglieder, von denen etwa 250 als Krampusse ausrücken, vor Tausenden von Zuschauern an mehreren Terminen in der Lienzer Innenstadt und auf dem Patriasdorfer Platzl. Damals wie heute ist die Gretchenfrage für die mehr oder weniger tollkühnen Passanten am Straßenrand: „Darf er mir etwas tun?“ Ein heikles Thema, bei dem sich nicht nur die Geister der Krampusse, sondern auch jene der Ordnungshüter scheiden. In den Dörfern Osttirols klumpern (so heißt das Geräusch, das heftig geschüttelte Kuhglocken machen) die Krampusse von Haus zu Haus, dringen in die guten Stuben ein, rütteln am Sinnbild der heilen Welt, dem Esstisch und machen das so überzeugend, dass eines niemals ausbleibt: die Angst. Sie wurde bis vor wenigen Jahren nicht selten von ihrer klassischen Begründung begleitet: dem Schmerz.
Früher hatten die Krampusse noch eine Birkenrute in den rußschwarzen Händen und dieses Utensil „brazzelt“ selbst auf jeansgeschützten Beinen, dass einem die Tränen hochkommen. Glänzer und die anderen Nikramo-Gründerväter warfen ab Mitte der Neunziger die Rute ins Höllenfeuer und herumstehende Schaulustige lieber mit bloßen Händen auf den Boden. Heute lebt die Choreografie einer perfekt inszenierten Krampusnacht von diesem Moment, in dem der Zottelige auf den Zivilisten trifft, sich dessen Klamotten greift und in einer fast tänzerischen Drehbewegung den Gegner zu Boden wirft.
Und das darf er – sagt zumindest der Brauch und dessen ungeschriebenes Gesetz. Vor dem echten Gesetz musste sich 2013 ein Matreier Klaubauf verantworten. Er stand unter Tatverdacht, einen Jugendlichen zu Boden geworfen zu haben, der reglos liegen blieb und mit schweren Kopfverletzungen in die Klagenfurter Klinik geflogen werden musste. Der Fall wirbelte nicht nur in Osttirol viel Staub auf, die Boulevardpresse witterte Vorsatz, die Gerüchteküche brodelte. Am Ende wurde der Mann, mangels Beweisen, freigesprochen.
Die Grundsatzfrage blieb offen: Wie kontrolliert man etwas, das letztlich immer unberechenbar sein muss, um jene Adrenalinschübe zu provozieren, die Tausende an den Straßenrand und auf die Dorfplätze locken? Kurt Glänzer und sein Stellvertreter Romed Brugger haben für die Krampusnächte in Lienz einen Modus gefunden und ziehen eine Grenze.
Straßen und Plätze, auf denen die Horde tobt, sind abgesperrt. Wer diese Grenze überschreitet, macht das auf eigenes Risiko. Einem Strafrechtler mag das „die Gänsehaut aufziehen“, doch das Gros der Osttiroler Krampusse plagt sich nicht mit juristischen Spitzfindigkeiten und gehört auch nicht zur tendenziell eher wort- als muskelstarken Anwaltszunft.
Gehst du in den Kreis, dann fliegst du durch die Luft, das ist das Prinzip der Show und die Zuschauer fiebern jenem Augenblick entgegen, in dem die Raufer auf die Pelzträger treffen. Der typische „Rafer“ ist ein junger Mann in alten Klamotten, der innerhalb der Absperrung so tut, als ob ihn nichts aus der Ruhe bringen könnte. Meist treibt aber nicht nur die Kälte den Jungs die Röte ins Gesicht und am Ende geht es ihnen im wahrsten Sinn des Wortes an den Kragen, der dem Gezerre der Krampusse auch nicht immer standhält.
„Manche haben einen ganzen Sack Kleider mit“, schmunzelt Glänzer und stellt klar, was nicht sein darf: „Einen Krampus darf man nicht angreifen, der wäre mit seiner eingeschränkten Sicht, dem schweren Fell und den Glocken immer im Nachteil.“ Wieder was gelernt. Es ist also keine Rauferei, sondern eigentlich ein Ritual, wiewohl nicht alle der jugendlichen Mut- und Muskelprotze das auch so sehen. Und mit noch einer Mutmaßung räumt Glänzer auf: „Wir wissen nicht, wer auf uns wartet und hoffen eigentlich nur, dass es viele sind.“
Über den geregelten Ablauf der Show wachen Ordner, die jeden Raufer aus dem Verkehr ziehen, der sich nicht an die Spielregeln hält. Dennoch fliegen nicht nur die Fetzen, sondern ab und zu krachen auch die Knochen und Blessuren sind sowieso einkalkuliert. Glänzer und Brugger zucken mit den Achseln: „Das ist halt so. Wenn du keine blauen Flecken hast, dann warst du nicht dabei.“
Genauso entspannt sehen die beiden die Weiterentwicklung des Brauches, der sich in seiner Geschichte mehrmals gravierend geändert hat und heute eigentlich nur noch wenig mit den ältesten Wurzeln zu tun hat. Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts datieren die ersten Erwähnungen von Perchten in der Region, „leedige Paurn Söhn in verstölten Claidern“, die sich Zoff mit den Gerichten einhandelten, weil sie im Dorf anderen einen Schrecken einjagten. Sie hatten dabei keine kunstvoll geschnitzten Larven, sondern lediglich ein paar Fetzen mit Augenlöchern vor dem Gesicht.
Kurt Glänzer und sein Sohn, der in Graz ein Grafikstudio betreibt, leisteten 2011 mit dem Buch „Entlarvt“ den vielleicht wichtigsten Beitrag zur Spurensuche in Sachen Krampus und zeigen sehr schön, wie sich nicht nur das Ritual, sondern auch dessen kunsthandwerkliche Ausprägung über die Jahre herauf änderte. Dabei wird vor allem sichtbar, dass die heute von Puristen beklagte Veränderung der Masken eigentlich immer schon ein Spiegel kultureller Entwicklung war.
Dolomitenstadt widmete diesem Thema bereits im Winterheft 2012 eine Reportage, doch Krampusweisheiten kann man in Osttirol nicht oft genug erzählen. Alles, was heute noch an Larven zu sehen ist, ist stilistisch keine hundert Jahre alt. Erst der Matreier Tobias Trost schuf den Krampus, wie wir ihn heute kennen und zwar in den dreißiger Jahren. Trost schnitzte eine Larve, die das ganze Genre über Jahrzehnte prägen sollte: eine Maske mit den Zügen eines Gorillas, inspiriert ausgerechnet von Hollywood. Damals flimmerte der erste King Kong Film in Schwarzweiß über die Leinwände.
Trotz dieser künstlerischen „Entlarvung“ im oben erwähnten Buch beklagen immer noch Puristen des Brauches seine angebliche Verwässerung exakt durch jene Traumfabrik, die schon Urvater Trost inspiriert hatte. Im November 2014 schrieb der Internet-Poster „Spitzefeder“ auf dolomitenstadt.at unter einen Bericht über die Nikramo-Larvenausstellung: „Als ich noch klein war, waren die Krampusse noch Klaubaufe. Irgendwie sind sie jetzt zu Zombie-Fratzen verkümmert. Amerika und der Filmindustrie sei Dank“. Und ein anderer Kommentator assistierte: „Ja, schade! Pirates of the Caribbean – mehr kann ich da auch nicht mehr heraussehen.“ Beide bringen unbewusst auf den Punkt, was seit vielen Jahrzehnten eigentlich die Lebendigkeit des Brauchtums belegt: Die Schnitzer aller Generationen lassen sich bei der Gestaltung von jenen Figuren des Schreckens inspirieren, die der jeweiligen Generation einen solchen einjagen. Wer würde angesichts der alten Larven eine Gänsehaut kriegen? Sie wirken heute eher belustigend und waren zu ihrer Zeit doch das Schrecklichste, das sich die Menschen vorstellen konnten.
Heute kriechen neue Monster über die Leinwände und natürlich inspirieren genau diese Gestalten jene Männer, die die Larven der Gegenwart schnitzen. Sie sind nicht weniger kunstvoll, als die Holzfratzen des vorigen Jahrhunderts. Kurt Glänzer fertigt zehn bis 15 Masken pro Jahr, aus Zirbenholz und handwerklich filigraner als frühere Masken. Tobias Trost und seine Zeitgenossen schnitzten wuchtige, mehrere Kilo schwere Holzgebilde, die den Träger – der durch die Nasenlöcher nach draußen blickte – deutlich größer erscheinen ließen. Heute schauen die Krampusse durch die Augen einer leichten Maske und wirken nicht unbedingt wie Hünen, es sei denn, sie sind es auch im richtigen Leben. Schaurig schrecklich sind sie dennoch. Weil die Larven leicht sind, können sie auch von Kindern getragen werden. Nikramo hat eine große Kindergruppe. „Das brachte eine komplett neue Dynamik“, erzählt Glänzer. Erst der Fokus auf die Kleinen ließ den Brauch wieder so richtig boomen. Wochen vor dem Ereignis reden die Knirpse über nichts Anderes und freuen sich auf ihren großen Auftritt. Keine Ängste, kein erhobener Zeigefinger, wie das mancher noch aus der eigenen Kindheit kennt. „Bist du nicht brav, holt dich der Krampus.“ Manches Trauma mag dadurch ausgelöst worden sein. Heute schlüpfen die Kinder mit den Larven und Fellen ihrer Väter selbst in die Rolle des Bösewichts und verlieren so auch ihre Angst vor ihm. Der Brauch ist im Umbruch. Und hat vielleicht gerade deshalb eine Zukunft.
Was braucht der Krampus?
- Die meisten Krampusse sind stolze Besitzer ihrer Larven, Nikramo hat aber auch ca. 30 Masken, die Jahr für Jahr an Mitglieder verliehen werden.
- Wer ein originaler Osttiroler Krampus sein möchte, muss für eine Zirbenholz-Larve, ein perfektes Outfit aus Ziegen- oder Schaffell und die speziellen, handgeschmiedeten Glocken rund 1500 Euro kalkulieren.
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