Der Bildhauer Gregor Pokorny floh in den achtziger Jahren aus der geistigen Enge seiner Osttiroler Heimat nach „draußen“, erst in die Großstadt, dann in die Weite des Burgenlands. Jetzt zieht es ihn immer öfter zurück ins Gebirge, nach Lienz, auch deshalb, weil er hier begeisterte Sammler und kongeniale Partner gefunden hat, darunter den Grafiker und Fotografen Klaus Dapra. Der hat in einem alten Speicher viele Skulpturen Pokornys zwischengelagert und will diese Räume demnächst auch für Kunstinteressierte öffnen, als „Pokornys Depot“. Wir baten den Bildhauer zum Interview.
Gregor, du bist in Osttirol aufgewachsen, im „Heiligen Land“, wie im Intro zu deinem Katalog steht. Man hat den Eindruck, dass die Religion, vielleicht besser die Kirche, eine starke Rolle am Beginn deiner künstlerischen Karriere spielte. Stimmt das?
Ja, das ist, wie man inzwischen weiß, eine mächtige Prägung. Dem Katholischen war ja nicht zu entkommen. Ich wuchs bis zur dritten Volksschulklasse in Sillian und dann in Dölsach auf. Es gab keine relativierende Alternative. Hinzu kam die Tätigkeit meines Vaters, der als Restaurator mit der sakralen Kunst verwoben war und in mir auch das Interesse vor allem an mittelalterlichen Kunstwerken weckte, die mich schon als Kind in ihrer klaren Kraft berührten und auch heute noch vereinzelt berühren. Der nachreformatorisch schwülstige Trostschwindel interessierte mich dagegen nie wirklich. Vollgestopft mit dieser Bilderwelt – diesem Märchenstoff – habe ich das natürlich unbewusst in mein eigenes Gestalten mitgenommen, als latenten Versuch einer anderen Betrachtungsweise oder Interpretation dieses Themenmaterials.
Deine frühen Arbeiten wirken für mich nicht nur sakral, sondern auch sehr körperlich. Sie sind, wenn man die religiöse Befindlichkeit im Osttirol der achtziger Jahre kennt, auch provokant. Wolltest du provozieren? Oder protestieren?
Provozieren wollte ich nicht. Ich habe einfach pubertiert. Da kam natürlich der Konflikt mit dem verlogenen, verklemmten Umgang mit der Sexualität hinzu. Die entsexualisierte Heiligenwelt wurde zum Thema, das mich selbst betraf. Heute nenne ich das meine Befreiungsversuche aus katholischer Gefangenschaft. Damals erschreckte mich die Aufgebrachtheit der meisten Betrachter. Für mich war’s einfach ehrliche Arbeit. Sie entsprach meinem Empfinden, war ein Psychogramm, wenn man so will. Meine erste Ausstellung 1989 in der Städtischen Galerie Lienz unter der Leitung von Gerhard Wassnig wurde beinahe zum Eklat, den man im Osttiroler Bote nachlesen kann. Ich zeigte eine archaische, ungefasste, nackte Dreiergruppe. Die Figuren selbst, ohne christliche Ikonografie, bildeten ein Kreuz.
Bei einer Ausstellung in Dölsach, Kunstboden 1992, zeigte ich eine große, bunt gefasste Kreuzigungsgruppe mit nackter Mittelfigur sowie eine phallische Kapelle, ohne je einen Gedanken an Provokation zu verlieren. Ich wollte bloß Anerkennung für meine ernsthafte Auseinandersetzung mit existenziellen Grundfragen wie Sexualität und Tod.
Die verkitschten Gruselkabinette der Traditionalisten waren mir inhaltsleeres Handwerk. Einige Besucher fühlten sich in ihrem religiösen Empfinden beleidigt. Es gab einen Gemeinderatsbeschluss, „dass sie keine erigierten Penisse wollen“. Ich fragte mich natürlich, warum es dann noch Tiroler gibt. Der katholische Familienverband wollte die Ausstellung der Volksschulkinder wegen sperren lassen und die Arbeiten entfernt wissen. Den Kindern gefielen die Objekte, diese hatten kein Problem damit.
Mir kommt vor, dass du dich im Laufe der Zeit und mit der Distanz zu Osttirol emanzipiert und gelockert hast – vom Sakralen zum Abstrakten – und wohl auch in deiner persönlichen Befindlichkeit. Stimmt das?
Ja, so war’s und ist’s noch immer. Auf die selben Arbeiten reagierten Besucher im Burgenland, der Steiermark und in Wien berührt und amüsiert. Die „Bekenntnislosen“ stießen sich am Katholischen meiner Arbeit, die „Gläubigen“ verstörte der vermeintliche Ketzer.
Daneben wurde mein Interesse für Geschichte erst langsam und sehr spät, geweckt. Die geistige Wüste im „Heiligen Land“ erlaubte damals keine kritische Auseinandersetzung mit den Gedanken der Aufklärung. Die „Tiroler Taliban“ werden noch immer unreflektiert gefeiert und von den Nazi-Verbrechen war damals schulisch und privat nichts zu hören. Die erst späten zahlreichen Begegnungen mit Werken der Moderne, mit anders denkenden Zeitgenossen erzwang die Überprüfung des eigenen Standorts. Das „konzentriert Abstrakte“ öffnet den geistigen Raum, erzwingt eine klare einfache Sprache.
Dein Brotberuf ist Restaurator. Übst du den nach wie vor aus?
Nein, Gott sei Dank! Im wahrsten Sinn. Diesen Irrtum habe ich vor drei Jahren überwunden. Für mich ist das inzwischen eine Krankheit, die sich gegen ein Lebensprinzip stellt, den unabwendbaren Wandel.
Die ganze Fraglichkeit einer Wiederherstellung, die trügerische Ausschaltung von Zeit, durch die Wegnahme von Patina. Inzwischen wird durch Restauriermaßnahmen mehr historische Substanz vernichtet, als konserviert. Man sollte manche Dinge lieber in Schönheit sterben lassen, obwohl auch ich Vieles nicht missen möchte.
In deiner Bio im Katalog steht: 2004, Krankheit, Zäsur. Kann man das näher beschreiben oder willst du darüber nicht sprechen?
Ich hatte schwere, wohl psychosomatisch begründbare Schwindelattacken, die medizinisch nie abgeklärt werden konnten. Ich arbeitete als Restaurator um zu „überleben“. Die Anmaßung, als selbst Kreativer in andere, eigenständige Werke einzugreifen, das Sitzen auf zwei Stühlen, das war der eigentliche Schwindel. Seine Überwindung führte abrupt zu einer neuen Formensprache. Mein steter Wandel überrascht mich immer wieder.
Wenn man im Depot deiner Arbeiten steht, spürt man sehr plastisch deine Rückkehr nach Osttirol. Du arbeitest hier bei oder mit heimischen Unternehmen zusammen. Wie schaut diese Zusammenarbeit aus?
Als Gastarbeiter bin ich gerne hier, umgeben von dieser großartigen Bergwelt und lieben Freunden, die auch meine Arbeit wertschätzen, mich unterstützen und meine Werke sammeln. Bei zwei Betrieben in Lavant und beim „Kålsa Seppele“ in Leisach finde ich immer wieder verständnisvolle Aufnahme und tatkräftige Hilfe. Ich erledige hier Auftragsarbeiten, da auch die geeigneten Lärchen vorhanden sind. In diesen Freiluftateliers kommt es immer wieder zu interessanten Begegnungen, zu inspirierenden Gesprächen und natürlich zur Auseinandersetzung mit meiner Arbeit.
Du arbeitest vorwiegend, aber nicht nur mit Holz. Welchen Bezug hast du zum Material?
Ich verwende jedes Material, mit dem ich meine Vorstellung verwirklichen kann. Holz ist stimmig, weil Vergänglichkeit mein Thema ist. Holzskulpturen werden im Freien aufgestellt und haben somit ein absehbares Ablaufdatum, mit all den unberechenbaren Veränderungen durch Witterungseinflüsse und diverse biologische Inbesitznahmen. Sie leben – transformierend – nach der Fertigstellung weiter.
Wirst du aus dem Burgenland zurück nach Osttirol ziehen? Was sagt deine Familie dazu? Wird es auch eine künstlerische Heimkehr? Oder anders gefragt, wirkt sich der Ort auf deine Kreativität und den Charakter deiner Arbeiten aus? Immerhin kommst du aus der – topografisch gesprochen – Weite der Ebene in die Enge der Berge zurück.
Meine beiden Söhne sind erwachsen, führen ihr eigenes Leben. Die Ehe habe ich hinter mir. Meine Mutter lebt in Dölsach. Sie freut sich, wenn ich, nicht nur berufsbedingt, vermehrt hier bin. Diese Option, Osttirol als Arbeitsplatz, bleibt erhalten. Der schroffe Kontrast im Wechsel der Jahreszeiten zwischen Berg und Tal, oben und unten, die nach wie vor vorhandenen „Widerstandsnester“ gegen das Erstarrte – das fasziniert mich und regt mich an. Am Gipfel liegt die enge Welt unter mir.
Klaus Dapra hat deinen Kunstwerken in Lienz einen ersten Unterschlupf geboten. Kann aus dem Provisorium, aus „Pokornys Depot“, eine permanente Ausstellung oder Galerie werden?
Ich bin dem Klaus für das großzügige Raumangebot außerordentlich dankbar. Es war nicht absehbar, welch’ bestechende Wirkung die zunächst zufällig abgestellten Arbeiten in diesen Räumen entfalten. Einen geeigneteren Ausstellungsplatz kann ich mir nicht mehr vorstellen, diese völlig unkonventionelle Präsentation, diese entstehungszeitlich durcheinandergewürfelten Arbeiten fügen sich genial in das vorgefundene Ambiente ein, vertragen sich und entfalten eine große Kraft. Ich kehre gerne, immer wieder, zu diesen Kindern zurück. Wie lange mir der Klaus das ermöglicht, darüber haben wir noch nicht konkret gesprochen. Na ja, einen Zugang für alle Interessierten würde ich mir schon wünschen. Diese Sammlung wird weiter wachsen. Es ist erst ein Teil der Werke angeliefert. Diese unbeabsichtigte Galerie ist ein Geschenk!
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