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Alle Fotos: Ramona Waldner

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Kraftfutter

DOLOMITENSTADT begleitete die Prägratener Heuzieher bei ihrer Arbeit in der winterlichen Berglandschaft.

Osttirols Landwirtschaft wandelt sich. Bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts war sie primär auf Selbstversorgung ausgerichtet, auf die Verpflegung von bäuerlichen Großfamilien und Haushalten mit meist deutlich mehr als zehn Personen. Auf ackerfähigen Flächen im Tal wurde Getreide angebaut, das Vieh trieb man im Sommer auf die Alm. Um es durch den Winter zu bringen, wurde in steilsten Lagen bis knapp zur Felszone Heu gewonnen. Dort ist der Ertrag zwar gering, doch Bergheu ist gehaltvoll, buchstäblich Kraftnahrung für das Vieh. Mit dem „Wirtschaftswunder“ der fünfziger und sechsziger Jahre kamen die Sozialversicherung, der Nebenerwerb, „die Fremden“ und die moderne Landwirtschaft, ausgerichtet nicht auf den Eigenbedarf, sondern auf die überregionalen Märkte, auf den Verkauf von Milch und Fleisch. Das Grünland im Tal wird seither intensiver genutzt, mit höheren Erträgen. Heu und Kraftfutter kann man zukaufen. Die Bergmahd verlor durch diese Entwicklung ihren ursprünglichen Stellenwert und wurde ab dem Ende der sechziger Jahre vor allem dort aufgegeben, wo auf steilsten Mähdern nur mit der Sense gearbeitet werden kann. Gut erschlossene Bergwiesen werden aber noch gemäht, was sich im Landschaftsbild bemerkbar macht. Die Bergmahd drückt die Waldgrenze nach unten, von 2300 auf etwa 1800 Meter im Osttiroler Nationalparkgebiet. Wo nicht gemäht wird, erobern hochalpine Sträucher, Lärchen und Zirben ihr Terrain zurück. Heu wird zudem als Winterfutter immer noch gebraucht. Die Bergbauern im Virgental, die vielfach biologisch wirtschaften, kaufen kein Futter zu und manchmal ist zudem der Viehbestand so klein, dass sich der Futterkauf nicht rechnet. In diesem Fall zählen noch heute alte Tugenden und Techniken.

Die Männer sind im Morgengrau in Prägraten aufgebrochen. Jetzt ist das Ziel auf der Wunalm erreicht. Das Heuziehen im Winter braucht die Zusammenarbeit aller, spontan und unentgeltlich, wie früher. Die Arbeit ist gefährlich, man braucht Wissen, Geschick und viele Handgriffe. Sie werden in den Bergregionen Osttirols seit Jahrhunderten an die nächste Generation weitergegeben.

Die Technik, mit der die Männer die Heuballen schnüren, ist komplex. Erst werden zwei Stöcke in den Boden gesteckt, auf die kreuzweise Reisig gelegt wird. Dann wird kunstvoll ein kompakter Ballen aufgebaut, Schritt um Schritt wird das lockere „Molbheu“ verdichtet, mit dem „Bindseil“ und dem „Klempenseil“ fixiert und am Ende noch „gestrahlt“, mit einem kleinen Rechen gekämmt, damit möglichst kein Halm bei der rasanten Talfahrt verloren geht.

Den Prägratener Bauern ist klar, dass ihr Einsatz dem eigenen Lebensraum nützt. Die Mahd verhindert die Verfilzung der Böden, bremst Erosion und Lawinengefahr, sichert vor allem aber eine vielfältige Vegetation und damit den Bestand all der gehaltvollen Kräuter, die das Bergheu so wertvoll machen. Deshalb werden seit etwa zwei Jahrzehnten die Bergmähder wieder verstärkt genutzt und im Winter brechen die Burschen gemeinsam auf, um das Heu ins Tal zu ziehen.

Ist der Hang nicht zu steil, werden die breiten „Schloafn“ als Kufen unter das „Fuder“ gelegt.
Und ab geht's!

Ein „Fuder“ wiegt 200 bis 250 Kilogramm. An einem Arbeitstag schaffen 20 Männer 20 bis 24 Fuder, transportieren also zwischen fünf und sechs Tonnen Heu zu Tal.

An einem schon sehr frühlingshaften, wunderschönen Tag war Dolomitenstadt-Fotografin Ramona Waldner mit von der Partie. Ihre Bilder wollten wir unseren Lesern nicht bis zum nächsten Winter vorenthalten. Sie passen gut in ein Frühlingsheft, in dem es auch um „Vordenken für Osttirol“ geht (Bericht auf Seite 54 der Frühlingsausgabe 2013). Wenn vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit, Bioboom und Erhaltung von Kulturlandschaften über den Stellenwert und die Zukunft der traditionellen Almwirtschaft nachgedacht wird, dann sind die Heuzieher aus Prägraten ein aktiver, lebendiger Beitrag zur Identität Osttirols.

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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