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Fotos: Ramona Waldner

Fotos: Ramona Waldner

Hinter der Kamera ist man näher dran

Sie wollte Fotografin werden. Dann drückte ihr Professor Takacs im Lienzer BORG eine Videokamera in die Hand. Wenig später landete Judith Benedikt in einem Workshop des Kameramanns Robert Winkler.

„Mein Traum war, einmal im Nachspann eines Films zu stehen. Damals, von Lienz aus gesehen, kam mir das so weit weg vor.“ Dabei lacht sie dieses offene Lachen, das ihre Art wohl am besten beschreibt. Heute ist Judith Benedikt Kamerafrau und hat als Filmemacherin gerade ihren ersten Kinofilm fertiggestellt: „china reverse“, ein Dokumentarfilm über chinesische Einwanderer in Wien und Umgebung. Davor stand die Filmakademie, wo sie Kamera und Schnitt studierte; nebenbei die Arbeit als Beleuchterin und Kamerafrau. Immer schon hatte die Osttirolerin einen Hang zu außergewöhnlichen Orten in Afrika, Lateinamerika und vor allem in Asien.

Im Jaht 2003 begann das erste große Kinoprojekt, in dem Judith Benedikt als alleinige Kamerafrau agierte: „Hana dul sed“, ein Film über Fußballerinnen in Nordkorea. An der Kamera übernahm sie eine Art Co-Regie, denn für Regisseurin Brigitte Weich war es der erste Film. „Prinzipiell macht die Kamera bei Dokumentarfilmen viel Regiearbeit. Die Regie kann zuweilen gar nicht eingreifen. Hinter der Kamera ist man näher dran und sieht oft mehr.“

Bei Dokumentarfilmen bedeutet Kameraarbeit auch Regie.

So war es eine logische Folge, dass Judith Benedikt letztlich an ihrem eigenen Film zu arbeiten begann. Beide Filmprojekte verbinden Dreharbeiten mit fremdsprachigen Protagonisten. „Ich wusste über weite Strecken nicht, was gesprochen wurde, sodass es Intuitionssache war, auf wen ich die Kamera richtete.“ Das kleine Filmteam behalf sich damit, außerhalb der Dreharbeiten viel Kontakt zu den Protagonisten zu halten um sie besser einschätzen zu können.

Wie findet man chinesische Akteure in Wien? „Ich habe im Internet recherchiert und herausgefunden, dass es in Wien einen chinesischen Frauenverein gibt. Die Präsidentin war Kinobesitzerin in Mistelbach. Sie rief ich an. Es gab viele Vorbehalte, weil die Chinesen dachten, da wolle wieder eine Österreicherin einen Film darüber drehen, dass Chinesen schlecht, schmuddelig oder war auch immer seien. Ich schaffte es, ihr zu vermitteln, was ich machen wollte.“ Insgesamt führte die Filmemacherin fast 100 Vorgespräche und wählte daraus einen Querschnitt aus. Die Lebensgeschichten sind unterschiedlich, obwohl der Ausgangspunkt für alle ähnlich ist: Man kommt hierher, beginnt in der Küche eines Chinarestaurants zu arbeiten und daraus entwickeln sich die Lebenswege. Die Bewegung der Menschen interessiert Judith. Auf die Frage, wie sie zu diesem Filmthema gefunden habe, fallen ihr viele Antworten ein. Die schönste ist vielleicht diese: „Ich war in einem kleinen Dorf in China, wo selten Europäer hinkommen. So dachten alle, wir wären berühmte Schauspieler, denn wir hatten Haare wie im Film. Sie fragten uns, ob wir jemals chinesisch gegessen hätten. Ich erzählte, dass ich aus Lienz komme, einer kleinen Stadt in den Bergen Österreichs und dass es hier drei Chinarestaurants gäbe. Da bemerkte ich erst, wie absurd das ist.“ Der Film „china reverse“ ist fertig. Irgendwann werde er hoffentlich bei Monokel laufen, hofft Judith. Vorher gibt es den Kinostart im Jänner oder Feber - und natürlich die Filmfestivals, mit ein wenig Glück das größte chinesische Dokumentarfilmfestival.

Das wirft die Frage nach der Zensur auf. Damit hat Judith Benedikt bereits in Nordkorea Erfahrungen gemacht. So manche politische Szene sei damals durch die Zensur gerutscht, doch die Fußballspiele, die die Nordkoreanerinnen verloren hatten, mussten allesamt rausgeschnitten werden. Erst letztes Jahr konnten sie der Zensur nachträglich ein Schnippchen schlagen, als sie mit einer 35mm-Kopei von „Hana dul sed“ in Nordkorea ankamen, um den Fußballerinnen den unzensierten Film zu zeigen. „Wir hatten ein schönes Kino und wollten die Protagonistinnen filmen, während sie den Film schauen. Da sagten die Behörden, das gehe nicht, denn das Kino sei ja fast leer. Daher füllten sie das Kino mit Statisten in der Landestracht. Zuerst waren wir enttäuscht, doch dann bemerkten wir, dass sie noch nie einen Dokumentarfilm gesehen hatten und außer sich vor Freude waren.“

Ernst wird Judith, sobald man sie darauf anspricht, ob ihre Form des Dokumentarfilms einen Einschnitt im Leben der Protagonisten bedeutet. Das sei bei jedem Dokumentarfilm so, man würde eine Art Samen setzen, ganz egal, wie vorsichtig man mit den Betroffenen umgehe: „Mir ist gerade erst wieder bewusst geworden, welch große Verantwortung man gegenüber den Leuten hat, die man filmt. Man nimmt so viel von ihnen, man muss ihnen dafür auch etwas geben.“ Wie also stellt man die Fragen, die man als Filmemacherin hat? Darf man alles fragen? „Ja“, meint sie, schon wieder verschmitzt lächelnd.

Die Filmemacherin beim Urlaub auf dem Zettersfeld.

Bei „china reverse“ habe sie den Bonus der Österreicherin gehabt, die alles fragen könne, während die Übersetzerin in Schwierigkeiten geriet und zur Vorsicht bei vielen Fragen betonte, dass es Judith sei, die das wissen wolle, nicht sie selbst. Solch kulturellen Aspekte mache die Dreharbeiten, in einer anderen Kultur so spannend, beide Seiten seien immer wieder gefordert. Ob das der Grund sei, warum sie nicht in Lienz gedreht habe? Das habe sie bereits gemacht, erwidert sie: fürs Fernsehen, aber - und das solle eigentlich unter uns bleiben - es sei halt auch schön, nach Lienz zu kommen, und einmal nicht zu arbeiten!

Daniela Ingruber stammt aus Lienz und arbeitet als Demokratie- und Kriegsforscherin am Institut für Strategieanalysen in Wien. 

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