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Tunesien nach dem Terror: Zwischen Hoffnung und Apathie

Touristen bleiben aus. Doch es gibt auch Umdenken und neue Initiativen.

Es ist Vorsaison an der Küste Tunesiens. Gewöhnlich sind die Hotels um diese Jahreszeit nahezu voll. Vor allem ältere Briten und Deutsche verbringen hier gerne den Frühsommer. Doch heuer bleiben die Strände verlassen, besonders in Sousse, einem der bekanntesten Fremdenverkehrsorte des Landes. Die meisten Hotels beherbergen nur einzelne Gäste, dabei sind die Preise dermaßen gesunken, dass die Vermietung eines Hotelzimmers mit Frühstück eigentlich nicht mehr kostendeckend sein kann.
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Die meisten Hotels beherbergen nur einzelne Gäste. Die Kellner kennen sie mit Vornamen.

Die Kellner kennen die wenigen Gäste mit Vornamen und wer es möchte, hat bis zu drei Personen, die sich um das eigene Wohlbefinden kümmern, denn die Hotelangestellten haben nichts zu tun. Die Betreuung und Unterhaltung der Touristen ist schnell erledigt, es gibt weit mehr Personal als Kunden.

Derzeit sieht es nicht so aus, als würde sich daran in der Hauptsaison viel ändern. Der Plan der Terroristen scheint aufzugehen: Der Tourismus ist fast zum Stillstand gekommen – und das nicht nur in Sousse, wo am 26. Juni 2015 ein Anschlag des IS zahlreiche Todesopfer, vor allem unter Touristen, forderte.

Zwischen Hoffnung und Apathie

Letztes Jahr baute Mohammed sein kleines Bistro in der alten Medina von Sousse aus. Seine Frau bekochte die Gäste, während er sich um deren gute Laune kümmerte. Heute spielt seine Frau gelangweilt mit ihrem Handy und sieht nicht einmal auf, wenn jemand das Lokal betritt. Er sieht fern oder schläft. Wenn doch einmal Gäste kommen, erwacht er kurz aus seiner Apathie, aber die Leidenschaft für das Geschäft ist ihm abhanden gekommen. Was los sei, wird er gefragt: „Die Terroristen haben alles kaputt gemacht. Sie bestrafen die Falschen“, findet er und hofft auf die Solidarität der deutschsprachigen Stammkunden, die vielleicht trotz allem wieder kommen werden, wenn nicht heuer, dann nächstes Jahr.

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Gähnende Leere im Strandcafé. „Die Terroristen haben alles kaputt gemacht. Sie bestrafen die Falschen.“

Die Rechnung der Terroristen war einfach: Wer hat schon Lust, seinen Urlaub in einer Stadt zu verbringen, in der es zwei Terroranschläge gegeben hat? Was, wenn ein weiterer Anschlag folgt? Dabei ist genau dieser Gedanke fast absurd. Nirgendwo würde es sich weniger rechnen, heute ein Attentat zu verüben als hier. Um es zynisch zu formulieren: Es gäbe zu wenige Opfer für den Aufwand.

Sousse ist heute wahrscheinlich der sicherste Fremdenverkehrsort der Region. Es gibt nichts mehr zu attackieren. Die Wirtschaft liegt schon darnieder und der Schrecken des letzten Attentats ist noch immer allgegenwärtig. Die Terroristen scheinen – zumindest für den Moment – gewonnen zu haben. Nächstes Jahr wird es besser, hoffen die Touristiker und fügen hoffnungsvoll hinzu, dass die extrem niedrigen Preise die Touristen das blutige Attentat schließlich doch noch vergessen lassen werden.

Die Chance zum Umdenken

Manche sehen die Situation allerdings auch als Chance. Noch sind sie in der Minderheit, doch sie träumen davon, ein neues Sousse aufzubauen, eines in dem die Küste nicht mehr von hässlichen Betonbauten für 500 Gäste und mehr zugekleistert ist, sondern in der ein langsamerer, nachhaltiger und umweltfreundlicher Tourismus entwickelt wird.

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Kleine Hotels mit nicht mehr als zehn Zimmern entstehen in Sousse. Der Versuch, den Touristenort neu zu erfinden.

Die ersten Versuche gibt es bereits. Kleine Hotels mit nicht mehr als sieben bis zehn Zimmern, jedes individuell und liebevoll gestaltet, werden hergerichtet. Junge Menschen gründen Kunstgalerien, Hipster-Cafés und Coworking Spaces für innovative Leute, die Ideen haben und ihr eigenes kleines Unternehmen gründen wollen. Sie vergessen dabei auch nicht, Initiativen für die Einheimischen zu setzen. Vielmehr lautet die Devise: Nicht mehr alles für den Tourismus opfern, sondern einen Tourismus schaffen, der die Menschen berücksichtigt und der Region Raum für das Eigene lässt.

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Der Friedhof von Mahdia mit Meeresblick bleibt derzeit von lauten Touristenscharen verschont. Fotos: Daniela Ingruber

Derzeit sieht es so aus, als könnte das gelingen – in ein paar Jahren. Wenn nicht vorher die Billigstangebote dafür sorgen, dass der einst hübsche Ort erst recht verramscht wird. Dann hätte am Ende gar niemand gewonnen.

Daniela Ingruber stammt aus Lienz und arbeitet als Demokratie- und Kriegsforscherin am Institut für Strategieanalysen in Wien. 

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