In den vergangenen Jahren wurden hauptsächlich auffallende, bunte Tagfalter zum „Schmetterling des Jahres“ ausgerufen. Durch diese Auszeichnung für den Schönbär (Callimorpha dominula) und das Kleine Nachtpfauenauge (Saturnia pavonia) in den Jahren 2010 und 2012 haben sich die dafür Verantwortlichen auch auf unsere Nachtfalter besonnen, die nicht minder interessant und farbenprächtig sein können.
Welche Art jeweils „Schmetterling des Jahres“ wird, entscheidet ein Expertengremium des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland. In Österreich werden diese Nominierungen meist übernommen. Nachdem 2013 der Braunfleckige Perlmuttfalter, also ein Tagfalter, in die Öffentlichkeit gerückt wurde, hat man sich 2014 für den Wolfsmilchschwärmer (Hyles euphorbiae) entschieden. Das ist Grund genug, um uns mit der Biologie dieses interessanten Nachtfalters etwas näher zu befassen.
Der Name „Wolfsmilchschwärmer“ lässt eine geheimnisvolle Geschichte dahinter vermuten, dem ist aber nicht so. Die Bezeichnung ist lediglich ein Hinweis auf die Nahrungspflanze der Raupen, die an Wolfsmilch-Arten (Euphorbia spec.) leben. Auch der wissenschaftliche Artname „euphorbiae“ leitet sich von dieser Pflanze her. Die Entdeckung und Beschreibung erfolgte bereits im Jahr 1758 durch den berühmten schwedischen Naturforscher Carl von Linné in einem seiner Hauptwerke „Systema Naturae“. Er hat damals die sogenannte „binäre Nomenklatur“ festgelegt, die zweiteilige Namensgebung, bestehend aus Gattungs- und Artnamen und damit die Grundlage für die heute gültige moderne Taxonomie geschaffen.
Der Schwärmer hat eine Spannweite von sechs bis acht Zentimetern und ist wie die meisten seiner Verwandten nachtaktiv, das heißt, er ruht am Tage gut versteckt im Buschwerk oder in der Krautschicht seines Biotopes. Im Mittelmeerraum kann es vorkommen, dass er bei großer Hitze auch tagsüber umherfliegt und Nektarblumen besucht. Das ist aber die Ausnahme. Normalerweise beginnt seine Aktivität mit Einbruch der Dunkelheit: Blütenbesuch, Partnersuche, Paarung und Eiablage an der passenden Raupenpflanze. In Mitteleuropa ist dies die Zypressenwolfsmilch, deren weißer Milchsaft giftige Inhaltsstoffe hat. Gelegentlich kann man die Nachtfalter auch an Hauslampen und anderen Lichtquellen beobachten. Die Erscheinungszeiten sind die Monate Juni und Juli, in besonders warmen Sommern kann sich eine zweite Generation ausbilden, die dann von Ende August bis in den September hinein angetroffen wird.
Noch auffälliger sind die Raupen des Wolfsmilchschwärmers gezeichnet und gefärbt. Sie versuchen, sich nicht zu tarnen oder zu verstecken, sondern sitzen offen – weit sichtbar – oben auf den Wolfsmilchpflanzen. Dieses Phänomen nennt man Warnfärbung. Die Tiere machen dadurch auf ihre tatsächliche oder vermeintliche Ungenießbarkeit oder Giftigkeit aufmerksam und werden von ihren Fressfeinden gemieden – eine wirkungsvolle Strategie der Evolution! Der Hornfortsatz am Hinterende verrät die Zugehörigkeit zu den Schwärmern. Die Raupen entwickeln sich im Hochsommer, im Juli und August. Wenn sie ausgewachsen sind, begeben sie sich in die Erde und verwandeln sich in einer ovalen Erdhöhle zur Puppe, die den Winter überdauert.
Die Lebensräume unseres Schmetterlings des Jahres 2014 sind magere Trockenwiesen, sonnige Waldränder, naturbelassene Randbereiche von Straßen und Bahnstrecken, trockene Brachflächen und Lichtungen – kurzum helle, gut besonnte, magere Böden, wo die Wolfsmilchpflanzen gedeihen können, auf die der Schwärmer angewiesen ist. In Osttirol sind dies die sonnseitigen Wärmegebiete zwischen Nörsach und Matrei, aber auch klimatisch begünstigte Stellen im Virgental, Defereggental und Pustertal. Keine geeigneten Habitate für den Wolfsmilchschwärmer sind schattig-kühle nordexponierte Lebensräume, Nadelwälder und intensiv genutzte Landwirtschaftsflächen. Die Höhenverbreitung geht bis etwa 1500 Metern Seehöhe. In unserer Gegend ist der Falter weit verbreitet und nicht selten, er kann zur Zeit als „nicht gefährdet“ angesehen werden. Die Gesamtverbreitung verläuft durch die gesamte paläarktische Region, von den Kanarischen Inseln durch Europa und Asien bis China und Indien.
Artikel und Fotos von Helmut Deutsch
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