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Raimund Abraham zum Achtziger

Er betrieb Architektur als Kunstdisziplin und wurde zu einem der wichtigsten – und freiesten – Architekturphilosophen der Gegenwart.

Am 23. Juli wäre Raimund Abraham 80 Jahre alt geworden. Vermutlich hätte er seinen Geburtstag in Mexiko gefeiert, in Mazunte, einem kleinen Dorf an den Abhängen der Sierra Madre del Sur. Dort, nicht in seiner Geburtsstadt Lienz, liegt der Architekt und Universitätslehrer begraben.

Er starb am 24. März 2010 bei einem Verkehrsunfall in Los Angeles. Wenige Stunden zuvor hatte er einen viel beachteten Vortrag am Southern Californian Institute of Architecture gehalten: „The Profanation of Solitude“ lautete das Thema,  – die Entweihung des Unangetasteten, könnte man übersetzen. Für Abraham war jede architektonische Schöpfung „ein Zusammenstoß mit dem jeweiligen Ort“, eine Kollision, die ihn zeitlebens beschäftigte.

„Dieser letzte Vortrag mutet an wie ein aufrüttelndes Vermächtnis“, erzählt Willi Bernard, Chirurg, vor Jahren ärztlicher Leiter des Lienzer Krankenhauses, ein Freund und Wegbegleiter Abrahams. Das Vermächtnis, von dem Bernard spricht, wurde in Abrahams Heimatstadt Lienz kaum diskutiert oder gar gewürdigt. Irritiert von Abrahams fast surreal anmutenden Zeichnungen, seiner poetischen, jedenfalls künstlerischen und vor allem theoretischen Herangehensweise an die Architektur, wird hierzulande etwas übersehen und wohl auch verdrängt: Auf der Suche nach der Identität des Bezirkes, sofern sie gebaut ist, sollte man auch bei Abraham nachschlagen und nachlesen. Etwa in einem schmalen Bildband aus dem Jahr 1963 mit dem Titel „Elementare Architektur“.

Abraham zählte in den Sechzigern zur Wiener Avantgarde. Er begann gerade, sich zu profilieren, gemeinsam mit später prominenten Kollegen wie Walter Pichler und Wolf D. Prix, der 1968 Coop Himmelb(l)au gründete. Pichler arbeitete als Grafiker beim Salzburger Residenz Verlag, als Abraham seine erste Publikation dort ablieferte, ein Büchlein mit  unglaublich ruhigen und schönen Schwarzweißbildern von bäuerlichen Zweckbauten aus Ost- und Südtirol, fotografiert von Josef Dapra.

Die alten Harpfen, Scheunen und Ställe faszinierten Abraham, weil sie ohne einen Gedanken an Architektur errichtet wurden, in einer zur Zeit ihrer Erbauung völlig isolierten Region. „Ohne Attribute einer bestimmten Epoche stehen sie schon ein halbes Jahrtausend und haben nichts von ihrer ursprünglichen Kraft eingebüßt. Es sind primitive Bauten, die keinen Anspruch auf Bedeutung erheben, aber sie sind 'wirklich gebaut'. Man kann jedes Detail betrachten und findet kein Element, das nicht dem Gesetz des Ganzen gehorcht.“

„Für uns war damals anonyme Architektur so wichtig, weil wir uns befreien wollten, vom Bauhaus und den anderen Architekturpropheten“ schrieb Walter Pichler  später in einem Nachruf. Er und Abraham wurden völlig überraschend 1967 gemeinsam mit Hans Hollein vom Museum of Modern Art in New York eingeladen, Zeichnungen auszustellen. Abrahams internationaler Ruf war begründet. Bauen wollte er dennoch nicht. Auch aus Respekt und aus der Überzeugung,  dass die Anfänge von Architektur nicht Gebäude, sondern Eingriffe in den Ort sind – die Entweihung des Unangetasteten.

Das Kulturforum in New York war für Abraham eher eine Skulptur, kein Haus. Foto: David Plakke Media NYC
Für ihn war Architektur die Entweihung des Unangetasteten. Raimund Abraham - Courtesy of SCI-Arc

Abraham zeichnete, er betrieb Architektur als Kunstdisziplin, löste sich von physikalischen Zwängen und wurde zu einem der wichtigsten – und freiesten – Architekturphilosophen der Gegenwart. „Er war eben kein Häuslbauer,“ schrieb Pichler über den Freund, „das Kulturforum in New York war für ihn eher eine Skulptur, kein Haus. Es war seine einzige Behauptung in der Welt der Architektur. Das war ihm genug.“ Fast genug – möchte man als Lienzer anfügen.

Beinahe zeitgleich mit Abrahams in Österreich umstrittenen, im „Rest der Welt“ umjubelten Kulturforum entstand ein viel kleineres, vor der Welt  recht gut verstecktes Gebäude am Hauptplatz von Lienz, sichtbar verwandt, wie manche finden. Beide Gebäude sind jedenfalls gleich breit: 7,5 Meter. Das Kulturforum hat allerdings 24 Stockwerke, damit ist es winzig für New Yorker Verhältnisse und doch reihte „Wallpaper“ dieses Haus unter die fünf wichtigsten der Weltmetropole.

„Seit Mies van der Rohes Seagram Building und Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum ist in New York nichts mehr von so hoher Qualität gebaut worden.“

Kenneth Frampton

„Seit 1959 wurde kein einziges erstklassiges Gebäude in dieser Stadt errichtet. Es wurde zwar enorm viel gebaut, aber seit Mies van der Rohes Seagram Building und Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum ist nichts mehr von so hoher Qualität gebaut worden“, schrieb der angesehene Architekturpublizist Kenneth Frampton über Abrahams schmales Haus an der 52nd Street. Und Stararchitekt Peter Eisenmann sprach gar von einem Wunder: „Dass die österreichische Regierung ihn beauftragt hat, dieses kleine Grundstück zu bebauen ist erstaunlich. Es ist ein Glücksfall, absolut genial für Österreich.“

Hypo Bank Lienz – perfekt abgestimmt auf die Gebäudelinien der Umgebung, biedert sich der Bau doch nicht an die bürgerliche Beliebigkeit der angrenzenden Häuser an. Foto: Wolfgang C. Retter

Und das Haus in Lienz? Das kleine Bankgebäude mit architekturverwandtschaftlicher Beziehung nach Amerika? Mit ähnlicher Materialwahl und maskenartiger Frontfassade, aber – wie bei Abraham unabdingbar – dem Ort geweiht. Es zitiert die topografischen Gegensätze von Urgestein und Dolomiten im Norden und Süden der Stadt, ist perfekt abgestimmt auf die Gebäudelinien der Umgebung und biedert sich doch nicht an die bürgerliche Beliebigkeit der angrenzenden Häuser an.

In den sonst eher verstaubten „Heimatblättern“ schrieb die Kunsterzieherin Andrea Kollnig 2011 einen exzellenten Aufsatz über Abraham und das Hypo Haus. Der Text sollte vielleicht unter Touristikern verteilt werden. Man stelle sich vor, der Pensionswirt oder die freundliche junge Dame im TVB-Büro würde demnächst sagen: „Schauen Sie sich unbedingt  das Gebäude der Hypo Bank auf dem Hauptplatz genauer an. Es ist eines der wenigen Bauwerke des berühmten Architekten Raimund Abraham. Er wurde in Lienz geboren und ist in Mexiko begraben.“

Ich würde das schön finden.

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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