Wohin geht der Wintersport? Brauchen wir neue Lifte? Und wieviel Pistenkilometer braucht eigentlich der Mensch, um glücklich zu sein? Seit im Schnee gewedelt wird, stellen sich Touristiker immer wieder solche und ähnliche Fragen. Und lange lautete die Antwort: wir müssen größer, höher, schneller sein als die anderen, noch mehr Pisten haben und noch mehr Lifte, noch komfortablere Gondeln und natürlich Halligalli bis zum Abwinken, samt Superstars an der Schneebar und permanentem Hinterseer-Sound. Kann man machen, muss man aber nicht.
Das beweist ein Megatrend, der seit 15 Jahren daherrollt wie eine gigantische Pistenraupe, aber abseits präparierter Hänge: der Tourenboom. Früher hatten das Vergnügen wenige "echte Bergfexe", die mit dem Hauswürstl im Rucksack durch den Winter stapften, heute ist ein Massensport daraus geworden, der längst auch die Kassen der Industrie klingeln lässt und kompensiert, was andere Wintersportsegmente in den letzten Jahren an Terrain verloren haben.
Rund 50.000 Paar Tourenski werden in Österreich pro Jahr verkauft. Verglichen mit 300.000 Paar Alpinskiern und 22.000 Snowboards eine beachtliche Zahl, vor allem wenn man bedenkt, dass die Zuwachsraten Jahr für Jahr im zweistelligen Bereich liegen und das Ende des Trends noch lange nicht in Sicht ist. Die Gmundner Consultingfirma "Runnersfun" vergleicht die Situation mit jener des Mountainbike-Sports vor einigen Jahren und zeigt auf, welch beachtliches wirtschaftliches Potenzial in der neuen Lust am Aufstieg aus eigener Kraft liegt. Angeblich liegen satte 250 Millionen Wertschöpfung jährlich in diesem Segment noch brach. Doch viele sind auf dem Weg, um diesen Schatz zu heben. Der alpine Tourensport wird als touristisches Chancenfeld gesehen, was nicht verwundert, ist er doch das einzig konstant stark wachsende Segment im Wintergeschäft.
"Der Tourenskisport wird auch dem alpinen Skilauf nützen, er schafft ein zusätzliches Wintererlebnis und wird viele Menschen wieder in die Berge zurückbringen", sind die Runnersfun-Experten überzeugt. "Tourengehen bedeutet Naturerlebnis, Fitness und Entschleunigung, das sind nicht nur Trends, sondern auch Lifestyle."
Diesen Eindruck bestätigt auch Rudi Mair, Leiter des Lawinenwarndienstes in Tirol: "In den vergangenen Jahren hat diese fast schon totgeglaubte Sportart einen ungeahnten Höhenflug erlebt. Nach vorsichtigen Schätzungen unseres Warndienstes hat sich die Zahl der Wintersportler abseits der gesicherten Pisten in den vergangenen Jahren mehr als verzehnfacht." Mair zählt zu den Experten, die beim "1. Austria Skitourenskifestival" von 12. bis 15. Dezember in Lienz aufgeboten werden. Der TVB Osttirol als Organisator will das Kompetenzfeld Skitouren besetzen und dabei möglichst breit angelegt für Osttirol als Topdestination rund um den Trend-sport werben. Das Programm des Events haben wir in einer Infobox auf Seite 99 aufgelistet, über Details informiert die Website dolomitensport.at.
Kein Zufall ist, dass im Rahmen der Veranstaltung auch eine Art Messe mit Produktvorführungen und Modenschau über die Bühne gehen soll. Wer selbst Skitourengeher ist, kennt die "Material-schlacht", die den nur auf den ersten Blick genügsam erscheinenden Sport begleitet. Jüngste Erhebungen zeigen, dass der durchschnittliche Tourengeher rund 70 Prozent mehr in seine Ausrüstung investiert, als vergleichbare Alpinskifahrer. Die Bewegung im freien Gelände erfordert allein schon aus Gründen der Sicherheit und des Wetterschutzes mehr Equipment. Wie bei anderen Ausdauer-Sportarten in-vestieren ambitionierte Hobbysportler und Athleten auch in die Reduktion von Gewicht. Jedes Gramm, das man nicht nach oben tragen muss, zählt. Das bedeutet für die Ausstattung, von der Bindung bis zum Ski: je leichter, umso teurer.
Längst hat sich das Bild vom Schnorrer, der sich keine Liftkarte leisten will, in ein Image gewandelt, das den Tourengeher als den modernen Ökohelden des Winters sieht, nachhaltig, naturverbunden, qualitätsbewusst und keineswegs geizig, wenn es um gutes Essen, ein vernünftiges Quartier, um Wellness und Rekreation nach dem Abenteuer geht. Eine spannende Zielgruppe.
Und doch fehlen bislang schlüssige Konzepte, um die Wertschöpfung aus dem Tourenboom auch tatsächlich zu erzielen. Jahrelang fiel den Wintersportregionen nur ein Ort ein, an dem man verlässlich an das Geld des Wintersportlers kommt: die Kassa der Bergbahnen. Mit dem Tourensport ändert sich das. Liftkarten werden nur bedingt gebraucht, Pisten aber beispielsweise doch. Viele Einsteiger in den Sport wollen zwar mit den Fellen nach oben, nicht aber durch den Tiefschnee auf ungesicherten Hängen ins Tal abfahren. Für sie zählt der Workout in freier Natur, nicht der Adrenalin-Kick, den Freerider suchen, oder das elegante Wedeln im Pulver-schnee. Dazu muss man allemal ein Könner sein und gefährlich ist das freie Gelände für Unkundige obendrein.
Mit diesen Rahmenbedingungen sind Konflikte vorprogrammiert, für die erst Lösungen gefunden werden müssen. Wer zahlt für die gut präparierten Pisten? Darf der Parkplatz etwas kosten? Machen eigene Skitouren-Tickets einen Sinn?
Experten raten dazu, die neuen Wintersportler ganzheitlich zu sehen. "Oft sind dieselben Personen ja auch Alpinskifahrer, Wanderer oder Langläufer", erklärt Erich Mayr von Runnersfun auf der Website des Beratungsunternehmens: "Von diesen Menschen ist eine gewisse Wertschöpfung zu erwarten – wenn auch über Umwege. Die Chance wenigstens auf Umwegrentabilität muss daher gegeben sein. Dazu müssen, neben der Topografie, gewisse Basisvoraussetzungen erfüllt werden, um zu einem System mit Wert-schöpfung zu kommen: die Infrastruktur, Information und Motivation sowie eine geschlossene Dienstleistungskette."
In dieses Horn bläst auch der TVBO-Obmann Franz Theurl: "In Osttirol war Skibergsteigen schon Volkssport, bevor der Trend überhaupt geboren wurde und zahlreiche Regionen damit begannen, den wachsenden Markt zu umwerben. Die Schneesicherheit auf der Alpensüdseite und die landschaftlichen Voraussetzungen mit unzähligen Traumtouren durch einsame Täler und zu markanten Gipfeln zeichnen die Heimat der Skibergsteiger ebenso aus, wie der Hang zum sanften Tourismus, den man hier schon lange pflegt."
Für Tirols obersten Lawinenwarner Rudi Mair hat der Boom natürlich auch eine gefährliche Seite: Lawinen. "Interessant ist, dass trotz mehr Bewegung im Gelände die absoluten Unfallzahlen in Tirol konstant bleiben. Im Vergleich zu den ständig steigenden Zahlen an 'Abseits-Fahrern' sinken die relativen Unfallzahlen." Mair führt das auf die deutlich verbesserte Ausrüstung moderner Skitourengeher – wieder ein Wirtschaftsfaktor – und auf verbesserte Warnsysteme zurück.
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