Dürfte man Osttirol mit nur einem Wort beschreiben, würden die meisten Menschen wohl „gebirgig“ wählen. „Bergtirol“ texten die Tourismuswerber und wenn Grafiker oder Fotografen ein Bild des Bezirkes zeichnen, beginnen sie mit einem Berg. Ist es nicht der Glockner, dann sind es die Lienzer Dolomiten, die „Signature Mountains“ der Stadt Lienz und Namensgeber unseres Magazins. Lisi Steurer kennt die Dolomiten wie ihre Westentasche, nicht nur jene südlich von Lienz, sondern auch die richtigen, die Südtiroler. Steurer klettert auf Weltklasseniveau, ohne daraus eine große Sache zu machen. Leise, liebevoll und nachdenklich nähert sie sich dem Berg.
Lisi zählt zu den Botschaftern einer neuen Bergsportkultur, die für Osttirol, den Bergbezirk, zur Chance werden könnte. Der Konjunktiv passt, weil die Balance zwischen Vermarktung und Nachhaltigkeit so schwer zu halten ist, wie das Gleichgewicht im Steilhang. Da wie dort sind Professionalität und Konzentration auf die eigene Kraft entscheidend. Berge zu vermarkten birgt das Risiko, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Karawanen trotten in der Hochsaison auf den Everest und den Großglockner. Klettern mutiert zum Red Bull-Event im Fels.
Lisi Steurer und mit ihr eine neue Generation von Berg- und Klettersportlern beobachten diese Entwicklung mit Skepsis und setzen auf das, was eigentlich den Kern des Kletterns ausmacht: sich einen Weg nach oben zu suchen, einzuschätzen, ob man ihn schaffen kann, ohne Aufstiegshilfe, mit eigener Kraft, alleine oder mit Seilpartnern, die ähnlich denken und handeln. Es gibt einen Ausdruck dafür: „by fair means“, mit fairen Mitteln.
Der Weg nach oben ist eine Metapher für das Leben. Das macht den Reiz aus. Das macht den Berg zum Magneten für alle, die suchen – nach Kraft, nach Werten, nach Balance, im Grunde nach Sinn. Lisi Steurer klettert und sucht. Nicht immer ist sie sicher, ob es um den Weg geht, oder um das Ziel. Auch darüber wird in der neuen Bergsportelite philosophiert. Über eines ist man sich einig, von Steve House bis Reinhold Messner: die An-näherung an die Gipfel muss mehr sein, als Technik und Muskelkraft.
Lisi Steurer, Jahrgang 1979, hat 2005 mit Martin Berner die „Bergstatt“ gegründet, später ein Managementstudium abgeschlossen und ist nun zum heiligen Gral der Bergsportler aufgestiegen, dem „Piolet d'Or“ in Chamonix. Dieser Preis wird einmal pro Jahr vergeben, ein Oscar des Bergsports, aber auch ein Aufruf zur Nachhaltigkeit. Wer ihn bekommt, hat Großes am Berg geleistet und das „by fair means“. Die Jury des Piolet d'Or ist eine Instanz und Lisi Steurer ist Mitglied dieses ausgewählten Kreises. In ihrer Welt ist Osttirol übrigens nicht entlegen, sondern ein Hotspot, ein ganz zentraler Ort, das Ziel mancher Bergsteigersehnsucht. „How is life in the dolomites?“ fragen die Kletterfreunde, wenn Lisi in Chamonix oder in Pakistan, in Kanada oder in den Anden ihre Wege kreuzt. Die Dolomiten sind eine Weltmarke, ein Bergmassiv der Superlative, direkt vor unserer Haustüre. Werden sie auch gut vermarktet?
Lisi Steurer klettert in der Weltspitze und bleibt doch am Boden.
Steurer ist skeptisch. Wirbel liegt ihr nicht, genauso wenig wie fixe Haken, Stahlseile und Ketterhilfen. Sie nennt Klettersteige wie jene in der Galitzenklamm „Blitzableiter“ und deren Inszenierung „Disneypark“. Das macht vielleicht touristisch Sinn, aber die meisten Kunden, die Lisi als Begleiterin am Berg engagieren, suchen etwas anderes: ihren eigenen Weg und damit Exklusivität im Sinn des Wortes, Bergsport pur, wie er nur in Regionen möglich ist, die noch nicht total „erschlossen“ sind. Zum Beispiel in Osttirol.
Zu Lisi Steurers Freundeskreis zählt DOLOMITENSTADT-Fotografin Ramona Waldner, selbst eine exzellente Kraxlerin und deshalb berufen, die Fotostrecke über Lisi zu gestalten. Die beiden hatten von der Redaktion freie Wahl für eine geeignete Location und machten das Shooting zum Ausflug in die Nachbarschaft, in die Sextener Dolomiten.
Das Ergebnis ist eine kleine Reisedoku samt Impressionen aus dem Lokalzug und der Nachbarstadt Innichen. Und auf den folgenden Seiten lesen Sie einen Gastbeitrag von Lisi Steurer, in dem sie für uns die Geschichte des Kletterns in den Lienzer Dolomiten Revue passieren lässt, uns einige der besten Osttiroler Bergsteiger vorstellt und sich am Ende fragt, wohin die Reise im Bergsport wohl geht.
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