Schon vor dem vereinbarten Treffpunkt, einer kleinen Konditorei im Wiener Servitenviertel, winkt sie durch das Fenster, lacht entschuldigend und deutet auf ihr Handy. Es ist eine hektische Zeit für Heidrun Holzfeind.
Denn ehe sie in drei Tagen nach Mexiko fliegt, muss ihre Arbeit für die Ausstellung El Teatro del Mundo (Das Welttheater) noch rasch fertiggestellt werden. In diesem Sommer warten noch einige Arbeiten, etwa ein Projekt für den Steirischen Herbst oder die Fertigstellung eines Films über die Werkbundsiedlung in Wien. Wenn man in künstlerisch-dokumentarischen Arbeiten die Geschichten der Menschen in den Mittelpunkt stellt, ist Zeit nicht exakt planbar.
So lacht die Künstlerin auch bei der Frage nach der Vorbereitung ihrer Projekte. Ein Skript? Nein, nie! Eher ein Fragenkatalog, der den Befragten Raum bietet, die Geschichten hinter dem Offensichtlichen zu erzählen.
Zeit zum Hinhören
Genau darin liegt ihre Stärke: Orte zu finden, deren Geschichte sich mit den Bewohnern verknüpft. Architektur ist der Rahmen, die Menschen stehen im Vordergrund, gerade dort, wo sie in der Bauweise zu verschwinden drohen: „Für mich funktioniert ein Gebäude(-komplex) als eine Art Mikrokosmos. Hier bekommt man einen Eindruck, wie Gesellschaften innerhalb einer Gemeinschaft funktionieren.“
Genau das verbindet ihre so vielfältigen Arbeiten, die Video, Film, Skulpturen aber auch Kuratorisches umfassen: Der Blick darauf, ob und wie Menschen miteinander agieren, etwa im Film Colonnade Park (2011), in dem sie die Bewohner von drei modernistischen Wohnbauten von Mies van der Rohe in New Jersey porträtiert. Es ist ein Ertasten von menschlichen Beziehungen und Lebensgeschichten entlang der funktionellen Gebäudestrukturen. Die Architektur wird damit ebenso neu interpretiert, wie die Geschichten der Menschen ihre Bedeutung erst im Zusammenhang mit dem Wohnort entwickeln. Es sind eben nicht die Berühmtheiten anderer Filme, die uns begegnen, sondern die Dramen, Besonderheiten und Hoffnungen des täglichen Lebens.
Heidrun Holzfeind versteht es, genau hinzuschauen und zuzuhören. Sie nimmt sich Zeit. Das scheint in der Geschwindigkeit des Heute so ungewöhnlich, dass man es fast umformulieren muss: Die Filmemacherin gibt ihren Protagonisten Zeit, über sich selbst und ihr Umfeld nachzudenken. Kein Wunder, dass sie selten auf Ablehnung stößt: Die Leute schätzen es, wenn ihnen endlich jemand zuhört.
„Die Wahrheit ist immer gefiltert durch die Kamera.“
Heidrun Holzfeind
Der feine Blick und das soziale Gespür der Künstlerin ziehen sich durch all ihre Arbeiten. Die Kamera nimmt nicht, sie gibt Raum und die Protagonisten selbst scheinen zu entscheiden, wieviel sie offenbaren möchten. Das Gesamtbild zeigt jenen Mikrokosmos, der durchaus auch von Spannungen getragen wird, etwa in Za Zelazna Brama (Hinter dem Eisernen Tor, 2009). Wo einst ein lebendiges jüdisches Zentrum stand, das später als Warschauer Ghetto tragische Berühmtheit erlangte, wurde ab 1965 ein architektonisches Vorzeigemodell an Wohnblöcken gebaut.
Die Geschichte hat auch diese eingeholt und heute werden ohne städtebauliches Konzept mehr und mehr Hotels und Luxuswohnungen dazwischen gesetzt. Heidrun Holzfeind hat zwei Monate in einem der Wohnblöcke gelebt, sie weiß, wovon sie spricht: „Genau diese Reibungen interessieren mich. Sie will ich einfangen.“
Raum für Zufälle
Am Beginn stand nicht die Architektur, sondern Rom – und die Faszination für Pier Paolo Pasolini. Über ihn wollte die junge Künstlerin arbeiten, als sie jemand auf den utopistischen Wohnblock Corviale am Rande Roms aufmerksam machte: „Es war ein Sonntag, aus vielen Fenstern hörte man ein Fußballspiel im Fernsehen. Da lag dieser brutalistische Bau und nebenan graste eine Schafherde. Die Spannung des Ortes fing mich sofort ein.“
Wenn Heidrun Holzfeind von der Arbeit an „Corviale“ (2001) erzählt, lacht sie: „Zu Beginn frage ich einen meiner Protagonisten im Film, ob es nicht wie im Ghetto sei, hier zu leben. Das ist eine dumme Frage, denn natürlich empfinden es die, die hier aufgewachsen sind, nicht so. Sie sind stolz auf diesen Ort. Hier haben sie ihr soziales Gefüge, ihre Freunde. Es kennen sich alle! Sie wussten immer, wenn ich kam.“
Sie lacht oft, während sie erzählt. In allem Tun scheint eine unbändige Lebensfreude zu stecken, begleitet von wachsamen Augen. Man komme mit bestimmten Vorstellungen an einen Ort, den man nicht kenne, und werde dann überrascht, sagt sie und setzt fort: „Das Schöne am dokumentarischen Filmen ist, dass viel durch Zufälle geschieht.“
Und dennoch tragen ihre Arbeiten einen unverwechselbaren Stil. Als Zuschauerin im Kino oder in ihren Ausstellungen hat man das erstaunliche Gefühl einer Nähe, die sich aus der Offenheit ergibt, mit der sich die Dokumentaristin ihren Protagonisten und Orten zuwendet. Und das, obwohl bei ihren vorwiegend im Ausland entstandenen Arbeiten Sprachbarrieren dazu gehören. Das galt für den Dreh in Warschau ebenso wie für „Tsunami Architecture“ (2012), einer Kollaboration mit ihrem Lebensgefährten Christoph Draeger über den Zustand der nach dem Tsunami von 2004 wieder aufgebauten südostasiatischen Dörfer.
In der Zusammenarbeit mit Übersetzern mag manche direkte Nachfrage entfallen, die Erzählungen der Bilder bleiben dennoch nahe an den Menschen.
Die Verantwortung danach
Und dann, wie geht es weiter mit einem Projekt? Es sei ihr wichtig, den Leuten etwas zurückzugeben, denn als Filmerin bekomme man viel von ihnen. Sie versuche, ihren Protagonistinnen stets das Ergebnis zu präsentieren, etwa den Film Corviale: „Die einen freuten sich, dass ‚uns endlich jemand versteht’, andere baten mich, den Film nie wieder zu zeigen, weil alles so schmutzig aussähe.“
Das Zurückführen eines Werks zu seiner Herkunft hat für die Künstlerin noch eine andere Bedeutung. Das zeigt EXPOSED (2005), ein Film über eine Frau mit Vielfacher Chemieunverträglichkeit, der bis heute immer wieder für Betroffene und deren Familien oder Freunde eingesetzt wird, um das Leben mit diesem Beschwerdebild zu erklären.
Heidrun Holzfeind ist die sozialpolitische Dimension ihrer Kunst ein Anliegen. Dass dies auch verstanden wird, zeigen Stipendien und Preise, wie der Anfang Mai dieses Jahres überreichte Förderpreis des Landes Tirol. Erst solche Anerkennungen ermöglichen die Arbeit; und es warten noch zahlreiche Projekte, in denen die gebürtige Lienzerin wieder eine Welt beschreiben und zugleich erschaffen wird.
Kurzbiografie
Heidrun Holzfeind (* 1972 in Lienz) studierte Kunstgeschichte an der Uni Wien, und Bildhauerei an der Akademie der bildenden Künste und in New York. Ihre Kunstprojekte entstehen großteils im internationalen Rahmen und werden in vielen Ländern ausgestellt, derzeit im Museum Tamayo in Mexico City.
Weitere Ausstellungsorte waren der Malediven Pavillon der Venedig Biennale 2013, BAWAG Contemporary Wien, Documentary Fortnight Exhibition im MoMA New York, Lentos Museum Linz; Manifesta 7 in Rovereto, Centre d'Art Santa Monica in Barcelona, Artists Space in New York etc. 2011 erhielt Heidrun Holzfeind den Camera Austria Preis der Stadt Graz für zeitgenössische Fotografie sowie den Gerhard und Birgit Gmoser-Preis für Gegenwartskunst der Secession Wien. Im Jahr 2012 folgte der outstanding artist award für künstlerische Fotografie des bmukk und 2014 der Förderpreis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol.
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