„Ich habe das fast ein wenig unterschätzt.“ Thomas Diemling, Geschäftsführer der Raiffeisengenossenschaft Osttirol, wundert sich. Er hat nach einer Anfrage von Dolomitenstadt den Rechenstift gespitzt und nachgeprüft, welche Bedeutung die Schafzucht in Osttirol als Wirtschaftsfaktor hat. Was steckt hinter den vollmundigen Slogans der Touristiker und des Tiroler Agrarmarketings? Hat die Schafhaltung eine Perspektive? Wie, wenn überhaupt, kann man mit Schafen Geld verdienen und werden Vermarktungschancen von den Schafhaltern auch optimal genutzt? Die Fragen drängen sich auf, angesichts einer „Vordenker-Studie“ des Grazer Joanneum Research, in der Osttirols Landwirtschaft nicht gut wegkommt.
Unproduktiv, zu wenig auf Wertschöpfung ausgerichtet und schlecht vermarktet sei ausgerechnet jenes einmalige Grundkapital eines bergbäuerlichen Bezirkes, das man besonders gut verkaufen könnte: Edle, gesunde Produkte, gewachsen auf Hochgebirgsalmen, gefüttert mit Heilkräutern, also der Fleisch und Käse gewordene Traum eines Großstädters auf der Suche nach dem essbaren Ursprung. Schafe sind fotogen, Almwandertage eine hübsche Inszenierung. Aber kann man mit den genügsamen Huftieren ein wirtschaftliches Auskommen finden?
Thomas Diemling hat nachgerechnet. Rund drei bis vier Millionen Euro erwirtschaften nach Schätzungen der RGO die Osttiroler Schafbauern im Jahr, mehr als der Genossenschafter dachte. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die Unternehmen kleinteilig sind und die Verwertungsschienen unterschiedlich. „Grundsätzlich liefert das Schaf drei Produkte: Milch, Wolle und Fleisch“, erklärt Diemling. Schafmilch spiele derzeit fast keine Rolle in der regionalen Landwirtschaft, nur eine Handvoll Betriebe veredeln sie zu diversen Käseprodukten, darunter zum Beispiel der Künstler Lois Fasching, der einen Bergbauernhof in Dölsach bewirtschaftet.
Schon anders sieht es mit der Wolle aus. Eineinhalb Kilo bleiben zurück, wenn das Schaf vom Friseur kommt. Klingt wenig, ist aber ein schöner Haufen Rohmaterial, mit dem die Altvorderen einiges anzufangen wussten. Heute ist Schafwolle – unromantisch gesehen – eigentlich eine Art Biomüll. Diemling: „Früher hat man 50 bis 60 Schilling pro Kilo bekommen, im Herbst kamen die Wollhändler, da wurde gefeilscht und mancher bezichtigt, dass er Steine unter die Wolle mischt, um das Gewicht zu heben.“
Heute ist trotz Retrotrend und Bioboom der Rohstoff Schafwolle nur noch 20 Cent pro Kilo wert und müsste eigentlich entsorgt werden, wenn es nicht einen – den einzigen – Verwerter gäbe: Sepp Schett. Kein anderer wird so mit dem Schaf assoziiert, keiner kann das Wollvieh so perfekt inszenieren wie der politisch aktive Bergbauer, den manche primär als genialen Selbstvermarkter sehen. Doch selbst die Kritiker des Villgraters sind sich in einem einig: sagst du Schaf, dann musst du – nicht nur in Osttirol – auch Schett sagen. Zigtausende Schafe lassen ihren Pelz beim rührigen Erfinder der Marken „Villgrater Natur“ und „Woolin“ zurück. Genauer gesagt landet der Rohstoff zunächst auf dem Gelände der Firma Rossbacher, wo die selben Pressen, die sonst den Müll verdichten, die Schafwolle zu Ballen formen. Sie wird in Nordtirol gewaschen und später in Osttirol von einem Dutzend Mitarbeitern Schetts verarbeitet.
Am Ende steht eine breite Palette von Schafwollprodukten, von der Polierscheibe für Bodenwachs über Dämmstoffe bis zu Bettwäsche. Schett ist weit und breit der einzige Wollverwerter größeren Stils und kann gerade deshalb von den Schafen leben. 75.000 von ihnen braucht er, um seine Märkte zu bedienen. Eine stolze Zahl. 16.500 der blökenden Rohstofflieferanten sind in Osttirol zu Hause. Das Gros der Wolle kauft Schett aus Nordtirol und anderen Regionen des Alpenraumes zu. „Wir haben ein Auskommen“, erklärt er und meint damit seinen Familienbetrieb und die Wirtschaft im 1550 Meter hoch gelegenen Hof.
Und dann wäre da noch das Fleisch, das eigentliche Geschäft mit dem Schaf, wie Genossenschaftsdirektor Diemling vorrechnet. „Eine bis eineinhalb Millionen Euro netto zahlen wir an die Bauern aus, das sind nach unseren Schätzungen ungefähr 40 Prozent des Osttiroler Gesamtmarktes, es könnten also um die dreieinhalb Millionen an Wertschöpfung im Bezirk erzielbar sein.“ Bei weitem nicht alle Bauern nutzen die Absatzkanäle der RGO, viele verkaufen ab Hof oder direkt an die Gastronomie, in der es einige Lamm-Hochburgen gibt, wie den Gannerhof in Außervillgraten, den Unterwöger in Obertilliach oder auch den Matreier Strumerhof.
In ihrem Umfeld können Schafbauern mit dem Direktverkauf „eine nette Wertschöpfung“ erzielen, wie es der RGO-Manager formuliert. Für Schafguru Schett sind es freilich noch zu wenige: „Unsere Gastronomie hat die Möglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft“, meint er zum Thema. Schett und der Gannerhof von Alois Mühlmann leben seit Jahrzehnten in enger „Schafsymbiose“ und zelebrieren die Qualitäten des blökenden Vierbeiners mit viel Marketinggeschick und auch mit Unterstützung der Touristiker.
Das „Osttiroler Berglamm“ als Produktmarke, die „Köstlichen Landschaften“ als touristische Vermarktungsschiene und diverse Events wie Almwandertage sollen den Absatz weiter fördern. Königsklasse der Schafvermarktung ist aber die Listung in den Sortimenten der großen Handelsketten. „Ein Viertel unserer Schafe geht über Markenfleischprogramme in den Handel“, erzählt Diemling, „das ist für uns und die Bauern das Interessanteste.“ In Osttirols Supermärkten wird allerdings relativ wenig Lammfleisch verkauft, selbst bei Züchterveranstaltungen, in deren Rahmen natürlich auch kräftig aufgekocht wird, bleibt das Schöpserne eher ein Ladenhüter: „Schaf ist wie Wild, ein Spezialprodukt, das man ab und zu konsumiert,“ erklärt der Genossenschafter. Dabei kann man aus Lamm ganz wunderbare Sachen zaubern, wie in diesem Magazin ab Seite 58 der haubengekrönte Chefkoch des Restaurants „Vincena“ in Lavant vorexerziert.
Das weiß auch eine andere Bevölkerungsgruppe, die Schaffleisch schätzt, aber in Osttirol unterrepräsentiert ist: Migranten mit islamischen Wurzeln. Der Pro-Kopf-Absatz von Lammfleisch ist deshalb in Nordtirol weit höher als in Osttirol, weil auch der Bevölkerungsanteil der Muslime deutlich höher ist. Eine einfache und dennoch verblüffende Erklärung für Absatzunterschiede bei einem so typisch älplerisch vermarkteten Produkt. Drei Viertel der in Osttirol aufgewachsenen Schafe reisen übrigens schon vor ihrer Schlachtung ins Ausland, vor allem nach Deutschland und Italien.
Für reichlich Nachwuchs ist gesorgt. Osttirols Almen sind ein Eldorado für Tiroler Berg- und Steinschafe, die an das Leben über der Baumgrenze gewöhnt sind und nicht unbedingt ins Schema vom willenlosen „Herdentier“ passen. „Im Gegenteil“, erklärt Sepp Schett, „unsere Rassen sind genau deshalb gut für die hochalpine Weidewirtschaft geeignet, weil sie keinen so ausgeprägten Herdentrieb haben und ganz gut alleine zurecht kommen.“ Riesige Flächen werden so nicht nur „gemäht“, sondern auch gedüngt. Die Schafwirtschaft prägt die Landschaft im Hochgebirge, ein Wertschöpfungsfaktor, den keine Studie erfasst und der dennoch nicht hoch genug bewertet werden kann. Ohne Almen kein Wandertourismus und keine Hüttenromantik, keine Prospekt-idylle und auch keine Almkräuter.
Anfang Juni werden die Tiere aufgetrieben, Mitte bis Ende September wandern sie zurück ins Tal. Osttirol ist einer der schafreichsten Bezirke Österreichs. Etwa fünf bis sechs Prozent aller Schafe der Alpenrepublik sind „Osttiroler“. Im Schnitt 40 Tiere kommen auf die gut 400 bäuerlichen Betriebe, die Schafzucht betreiben. 80 Züchter gibt es im Bezirk, zwei Mal pro Jahr finden in der RGO-Arena vor den Toren der Stadt Versteigerungen statt, bei denen ein Zuchtschaf im Schnitt um 400 Euro den Besitzer wechselt.
In Kals – wo unsere Fotoreportage von Hans Groder entstand – grasen tausende Schafe die steilen Hänge ab, zum Teil auch Tiere, die aus Kärnten und anderen Ecken zur Sommerfrische am Fuße des Großglockners anreisen. Sie werden mit Farbmarkern versehen, damit sie ihre Besitzer wiedererkennen. Apropos Besitz: „Es ist bei uns nach wie vor üblich, dass man als Bauernkind mit vier, fünf Jahren ein Schaf geschenkt bekommt, als erstes Tier, das man in eigener Verantwortung aufzieht“, erklärt Thomas Diemling. Auch ein Nutzen, den man nicht unterschätzen sollte.
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