Nun erschließt sich nicht auf den ersten Blick, wie all das zusammenhängt. Aber wenn man auf der Felbertauernstraße von Lienz in Richtung Huben fährt, kommt man der Sache näher. In Unterpeischlach, das zu Kals gehört, befindet sich der „Peischler Wirt“, der kein Gastronom sondern ein Bauer ist. Ein ganz besonderer Bauer allerdings.
Bleiben wir zunächst beim Holler, der Schriftdeutsch Holunder heißt. Achtung, er hat nur ein L in der Mitte, heißt also nicht Hollunder! Mit den Holländern hat die Staude, auf der ein Holler wächst, nämlich nichts zu tun, schon eher mit inneralpiner Medizin und ihren wunderbaren Volksweisheiten. Eine davon sagt: „Vor jeder Holunderstaude muss man den Hut ziehen“. So gesund ist diese Pflanze, von der zarten Blüte bis zur ausgereiften Beere. Das wusste auch einer, auf den die Mediziner noch heute schwören, nämlich der alte Hippokrates, der die Heilkraft des Holunders schon in der Antike anpries und ihn einen „Medizinschrank“ nannte. Solch einen Medizinschrank hat der Peischler Wirt in Unterpeischlach nahe Huben vor der Haustüre.
Ganz in der Nähe der „Harpfe“, auf die wir auch gleich zu sprechen kommen, wachsen prächtige Hollerstauden und sie sind der eigentliche Grund unserer Anreise. Immer wieder, wenn „Osttirol-Vordenker“ und andere Lokalphilosophen auf die Vorzüge des Bezirkes zu sprechen kommen, dann geht es auch um die Verarbeitung traditioneller Rohstoffe der Natur, um „alte“ Köstlichkeiten, die im Osttirol der Gegenwart nach wie vor kunstvoll und oft nach traditionellen Rezepten zubereitet werden. Die „Hollersulze“ steht bei solchen Betrachtungen ganz oben auf der Liste, weil sie zwei Eigenschaften in sich vereint, die das Leben schlechthin ausmachen: Gesundheit und Genuss.
Die schwarzen Hollerbeeren enthalten sehr viel Vitamin C, auch deshalb eignet sich Hollersulzentee hervorragend zur Vorbeugung gegen Erkältungen. Die Sulze – Flachländer gib acht, nicht „Sülze“!! – schmeckt auch köstlich als Brotaufstrich oder in diversen Süßspeisen. Vor dem Genuss steht aber auch bei dieser Köstlichkeit die Arbeit, das Hollerklauben, zu dem wir im Spätsommer mit der ganzen Familie des Peischler Wirts aufbrechen. Dabei erfahren wir auch gleich, dass hier weder aufgekocht noch ausgeschenkt wird. „Peischler Wirt“ ist ein Vulgoname.
Die meisten Höfe in Osttirol heißen nämlich anders als ihre Besitzer und nicht immer hat dieser Vulgoname mit der Gegenwart zu tun. Wirtshaus haben Vroni und Hannes Riepler jedenfalls keines, dafür einen hübschen Hofladen samt Cafe, in dem man auch selbstgebrannten Schnaps kaufen kann. Das ist doch was! Wir sind in der Zwischenzeit bei den Hollerstauden angelangt. Vroni, Hannes und Klein-Hemma machen sich an’s Pflücken, Fotografin Ramona dokumentiert das alles fleißig und wir erfahren einiges über die jungen Bauersleute.
Hannes hat den elterlichen Hof 2007 übernommen, seit 2013 ist der Hofladen geöffnet, immer mittwochnachmittags und den ganzen Samstag. Ein Besuch zahlt sich aus, nicht nur, weil das Platzl einfach schön ist. Sämtliche Produkte in diesem Laden sind hausgemacht, viele davon etwas Besonderes, nicht alle aus der Produktion des Peischler Wirts. Der Laden hat sich schnell zum Umschlagplatz entwickelt, ist einerseits zum Nahversorger geworden, bei dem auch die Nachbarn einkaufen und andererseits zu einer Absatzchance für ausgewählte Köstlichkeiten mehrerer Landwirte aus der Umgebung. Das herrlich duftende Brot backt Oma Regina, aber zur Abwechslung liefern auch die Bäuerinnen umliegender Höfe Selbstgebackenes, vom Wecken bis zum Kuchen.
„Wir produzieren und verkaufen nur Lebensmittel, die wir selber gerne essen“.
Für die Auswahl des Sortiments hat Hannes eine einfache Regel: „Wir produzieren und verkaufen nur Lebensmittel, die wir selber gerne essen“. Und da steht im Herbst die Hollersulze ganz oben auf der Liste. Während wir plaudern, füllen sich die Körbe mit den schwarzen Beeren. Klein-Hemma hat ihren eigenen Korb und auch ihren eigenen Kopf, sie will ganz allein ein Hollergericht zubereiten, während man bei Vroni und Hannes spürt, wie gut die beiden auf das gemeinsame Landleben eingetaktet sind. Jeder Griff sitzt. Die beiden haben sich wirklich gefunden, haben das Leben und Arbeiten im Rhythmus der Natur im Blut und auch sonst einiges gemeinsam.
Zum Beispiel die Musikalität. Vroni kommt aus Kärnten, ist Tochter eines Musikschullehrers und spielt mehrere Instrumente, Hannes ist Mitglied der legendären „Schobergruppe“ und der „Hubener Gstanzlsänger“. Ungewöhnlich ist, dass beide den selben Beruf erlernt haben: Maschinenschlosser. Bei der Schrauberei hören für Vroni dann auch die Gemeinsamkeiten auf: „Hannes kann wirklich gut putzen, und in der Küche sind wir ein ausgezeichnetes Team. Nur gemeinsam in der Werkstatt schweißen, das geht überhaupt nicht!“ Vroni repariert die Maschinen deshalb lieber allein.
Wir sind aber ohnedies aus kulinarischen Gründen vor Ort und bleiben deshalb alle zusammen. Die Körbe sind jetzt voll, lang wird es nicht mehr dauern, bis wir erfahren, wie die köstliche Sulzenmedizin zubereitet wird. Beim Klauben ist uns die wunderschöne „Harpfe“ aufgefallen, ein Holzbauwerk, das früher in Osttirol allgegenwärtig war und heute nur noch auf wenigen Höfen zu finden ist. Die Harpfe des Peischler Wirts ist, wie wir erfahren, gar nicht alt, sondern „wahrscheinlich die jüngste Harpfe Osttirols“, erklärt Hannes. Sein Vater hat sie erst in den achtziger Jahren gebaut.
Weit älter ist der „Bindemäher“, mit dem Dinkel, Roggen und Weizen bodennah abgeschnitten und zu Garben gebunden werden. Fast 100 Jahre hat das Gerät auf dem Buckel, das der Traktor des Peischler Wirts noch heute hinter sich herzieht. Gut, dass die beiden Bauersleute Maschinenschlosser sind. Alle Garben werden nach der Ernte händisch in der Harpfe zum Trocknen aufgehängt. Das dauert in der Regel zwei Wochen, aber bei einem derart nassen Sauwetter wie heuer im Sommer kann sich die Trockenphase auch viel länger hinziehen.
Bevor es verarbeitet wird, muss das Korn staubtrocken sein. Die Backfähigkeit des Roggens hängt wesentlich davon ab. „Je trockener, desto besser“, heißt die Regel. In der Harpfe wird das Korn auch gedroschen. Außerhalb der Erntezeit wird das prächtige Holzbauwerk als Garage genutzt und für die feinen „Harpfenfestln“ beim Peischler Wirt.
Jetzt wissen wir also auch das und sind plaudernd in der Küche angelangt, mit Körben voller Holler und voller Erwartung, was Hannes und Vroni daraus zaubern werden. Hannes feuert den Schurherd an und während diese ultimative Kochstelle die perfekte Hitze aufbaut, erzählt er uns, was es mit den Franzosen beim Peischler Wirt auf sich hat.
Am 4. November 1809, nachdem die Bezirkshauptstadt Lienz schon besetzt war, rückte die französische Armee in die Iselregion vor, um die Unterwerfung der dort angesiedelten Dorfbevölkerung entgegenzunehmen, die Bauern zu entwaffnen und für die Truppe Lebensmittel zu organisieren.
Bei Huben wurden die Franzosen allerdings von den Verteidigern aufgehalten. Jetzt war Diplomatie gefragt und die Lienzer Ratsherren vermittelten. Am 10. November kam es zu einer Unterredung zwischen Anton Wallner und dem Kommandanten des französischen Bataillons im Gasthaus „Peischlerwirt“! Das Ergebnis der Gespräche ging als „Friede von Unterpeischlach“ in die Geschichte ein, wenngleich sich bald herausstellte, dass das feierlich unterzeichnete Dokument eher psychologischen Wert hatte, da beide Seiten nicht berechtigt waren, einen „Friedensvertrag“ zu unterzeichnen. Immerhin blieb es nach diesen Verhandlungen den restlichen November ruhig im Iseltal. Anfang Dezember kam es dann zu den letzten, längst völlig sinnlosen Kampfhandlungen in Ainet, die eine grausame Rache der Franzosen nach sich zogen. Doch das ist eine andere Geschichte!
Im Schurherd prasselt nämlich jetzt das Feuer und Vroni verrät uns – endlich! – ein Geheimnis. Sie kocht die Sulze nicht nach altem Rezept: „Beim urprünglichen Hollersulzenrezept wird der Saft stundenlang leicht gekocht, bis sich die Menge auf ca. die Hälfte reduziert hat und dann wird das alles mit normalem Zucker versetzt“. Die Peischler Wirtin hat sich dagegen etwas richtig Fruchtiges einfallen lassen, eine Methode, die den Holler noch köstlicher und noch gesünder macht. Exklusiv für die Leser und Leserinnen von Dolomitenstadt haben wir das Rezept auch abgedruckt.
Hollersulzen Rezept
Die Dolden werden „abgebeerndlt“. Nur reife Beeren verwenden!
Im Topf mit wenig Wasser langsam auf ca. 50 – 70°C erwärmen, bis die Beeren so weich sind, dass bei leichtem Druck Saft herausrinnt. Alles in die „Flotte Lotte“ geben und auspressen.
Wer nicht weiß, was das ist, findet die Beschreibung zu diesem wunderbaren Küchengerät im Internet, auch wenn diese originelle Mischung aus Mühle und Sieb küchenhandwerklich in ein anderes Jahrhundert zurückreicht. Für die Verarbeitung von Holler gibt’s nichts Besseres!
Der Rückstand wird in einem Tuch ausgepresst. Den Saft mit Gelierzucker ca. 5 – 10 Minuten aufkochen (je nach Geschmack: 90 dkg Saft + ½kg Zucker oder 1kg Zucker).
Natürlich liest sich das alles einfacher, als es ist, wie so oft im Leben. Aber man bringt mit Vronis Methode eine tolle Sulze zusammen und macht am besten öfters Gelierproben. Einfach etwas Sulze auf einen gekühlten Teller geben und den Geliergrad prüfen.
Hier endet unser Ausflugsbericht über den Peischler Wirt. Aber wo ist eigentlich Klein-Hemma? Eben haben wir sie noch mit einem Körbchen Hollerbeeren im Hof gesehen. Wir machen uns auf die Suche und finden die kleine Köchin in ihrem eigenen Reich, bei der Zubereitung ihrer ganz persönlichen Hollerspeise, deren Rezept sie uns auf gar keinen Fall verraten möchte. Doch eines ist sicher:
Was Hemma in ihrem Töpfchen und kurz darauf auch im Gesicht hat, ist richtig gesund und schmeckt einfach herrlich! ENDE
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