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Alle Fotos: Martin Lugger

Alle Fotos: Martin Lugger

Eine Stadt steht Kopf

„Mach' mir eine Skulptur" sagte einst Klaus Ott zu Hannes Neuhold. Was dann kam, ist eine Realsatire auf das kulturelle Provinzdasein und seine politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Hannes Neuhold und Klaus Otto sind gute Freunde. Der eine ist Künstler, der andere Szenegastronom und Society-Original mit einem Hang zur großen Geste. Als der umtriebige Ott 2005 am Südtiroler Platz seine kleine, aber feine Tapasbar „Spice“ eröffnete, stand das, was sich in der Dolomitenstadt „Szene“ nennt, allabendlich auf der Matte und war glücklich. Endlich ein Hauch von Urbanität in der Osttiroler Provinz und obendrein auch noch ein gutes Essen auf dem kleinen Tapasteller.

Der Maler Hannes Neuhold prägte das Design des mittlerweile längst wieder geschlossenen Lokals durch seine Bilder und Ideen mit und war mit Feuer und Flamme dabei, als Ott nach einem dreidimensionalen Blickfang für das „Spice“ anfragte: „Mach' mir eine Skulptur!“ Was dann kam, ist eine Realsatire auf das kulturelle Provinzdasein und seine politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Neuhold entwarf für Ott nicht eine, sondern gleich drei Skulpturen, weiße, ein wenig an die Osterinseln erinnernde Köpfe, die wie Totems aus Gips ursprünglich im Vorgartl des winzigen Spice zum visuellen Hingucker werden sollten. „So um die zwei Meter“ waren als Höhe angedacht, aber irgendwie hatten Neuhold und Ott Lust auf Monumentales und im Hof hinter der Duregger-Schmiede entstanden Zug um Zug drei wahrlich raumfüllende Skulpturen für den Parkplatz vor der damals noch eingeschossigen „Vergeinerzeile“, die zum Glück Vergangenheit ist.

Die Nutzung „parken“ definierte und definiert noch heute den Stellenwert des Platzes, dessen stadträumliche Qualität Jahrzehnte bestenfalls ein theoretisches Thema war. Drei Gipsköpfe aufzustellen schien den Verantwortlichen jedenfalls passend, Hauptsache es geht kein Parkplatz verloren. Und so machten sich Neuhold und Ott mit Energie, unternehmerischem Spieltrieb und einem Augenzwinkern auf den Weg, um die Figuren wahr werden zu lassen.

Ein 1:10 Modell wurde geformt, der damalige Bürgermeister Hannes Hibler und der damalige Stadtbaumeister Jörg Maier damit konfrontiert. Ob dem Baubeamten klar war, wie groß das Zehnfache der präsentierten Figuren wirklich ist, ist Neuhold Jahre nach seiner künstlerischen Genehmigungsbitte noch ein Rätsel: „Maier hat mir jedenfalls, ohne mit der Wimper zu zucken, grünes Licht gegeben.“ Während Neuhold mit der Lizenz zur Veränderung eines hässlichen Nichtplatzes in der Tasche zur künstlerischen Tat schritt, machte sich Ott mit Charisma und Klingelbeutel auf den Weg. Es galt, finanzielle Mitstreiter für das skulpturale Großprojekt zu finden. „Ein täglicher Kampf um's Geld“ erinnert sich Neuhold. Zwar zahlten praktisch alle rund um den Platz, die Banken, die meisten anrainenden Unternehmen, die Stadt und auch der TVB beteiligte sich.

Aber die aus Lehm geformten Kinder von Neuhold und Ott wuchsen im Hinterhof der Schmiede innerhalb weniger Wochen dermaßen kräftig heran, dass allein ihr Materialhunger den Künstler an seine finanziellen Grenzen brachte. Ott ließ nicht locker und kratzte das Geld tatsächlich zusammen, auch deshalb, weil ihm in der beschaulichen Kleinstadt ein fast legendärer Ruf vorauseilte. Der Ott, das ist der Liebling der Society, der kennt jeden, der bringt sie alle her, der macht uns zur Szene! Längst war abgemacht, dass die Figuren nicht vor dem Lokal, sondern mitten auf dem Platz stehen sollten, samt wahrlich archaischer Fundamentierung – ein Werk für die Ewigkeit.

Und so nahte der Abend der Enthüllung, von Neuhold und Ott mit Lust zur großen Geste inszeniert. Was sonst, als das Thema aus Carmina Burana passt zu so einem Moment? Wer sonst als Franz Theurl könnte die weltumspannenden Worte finden? Es war ein Ereignis wie aus dem Szenenbuch für Kleinstadtdramaturgen und gerade deshalb auch ein kultureller Moment, vielleicht authentischer und zu Lienz passender, als manche Vernissage von international bekannten – oder wenigstens registrierten – Kunstschaffenden.

So sah der Südtirolerplatz in Lienz aus, als Hannes Neuholds Köpfe noch die parkenden Autos bewachten.

Hannes Neuhold hat heute noch seinen Spaß an der Geschichte: „Die Tragweite ist von den meisten Unterstützern nicht erkannt worden,“ erklärt er und setzt auch noch eine richtig lustige Pointe drauf. Schließlich will Kunst in unseren Breiten ja erklärt werden, muss nicht nur greifbar, sondern auch begreiflich sein. Neuhold war das klar und deshalb lieferte er zum Gips auch gleich etwas für den Kopf, sprich für die Fantasie der mehr oder weniger kunstinteressierten Parkplatzsucher auf dem Südtiroler Platz. Maria Neuhold, die Frau des Künstlers, schrieb ein Märchen, wunderbar erdacht und literarisch genau auf die drei Köpfe hingezaubert. Seither wissen wir, es handelt sich um zwei Männer und eine Frau, nämlich König, Königin und Hofnarr. „Irgendein Thema habe ich dem ja geben müssen“, meint der entspannte Künstler, der übrigens gute Bilder malt und davon auch leben kann. Und so stehen sie jetzt da, die Köpfe mit Geschichte und wären wohl auf eine Art wieder verschwunden, die gut zu ihrem Auftauchen gepasst hätte. Beiläufig erwähnte Bürgermeisterin Elisabeth Blanik bei einem Pressegespräch im Juli, dass beim Bau der Tiefgarage unter dem Südtiroler Platz die „Köpfe“ im Weg seien und vermutlich auch die fertige Garage kein Kunstwerk dieser Größe zieren könne. Zu schwer! Was soll man machen, die Statik. Blanik unterschätzte das mediale Sommerloch und flugs waren die eigenwilligen Skulpturen nach acht Jahren wieder Tagesgespräch in der Stadt. Dolomitenstadt wollte von den Lesern wissen, ob sie gehen oder bleiben sollen, der König, die Königin und der Hofnarr von Hannes Neuhold.

Das Urteil der kollektiven Internet-Kunstkritik fiel wenig schmeichelhaft aus. Zwei Drittel stimmten für den Abtransport. Doch gleichzeitig wurden auch Stimmen und Vorschläge laut, wo man die ehemals weißen und jetzt durch Bauschutt angestaubten Skulpturen auf's Neue und vielleicht noch besser inszenieren könnte. Zwei Orte hat Neuhold schon im Fokus, „darunter einen, der sicher noch mehr Staub aufwirbeln würde als damals.“ Wir dürfen gespannt sein und – falls jemand einen großen Garten hat – die Köpfe gern auch kaufen. 25.000 Euro nennt der Künstler als Prokopf-Preis und meint mit schelmischem Lächeln:

„Ich geb' sie auch einzeln her.“

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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