Schon der Stimmzettel war eine Lüge: „Soll die Verfassung so verändert werden, dass PräsidentIn und VizepräsidentIn zweimal wiedergewählt werden dürfen?“ In Wirklichkeit ging es um die Ermöglichung einer dritten Wiederwahl von Evo Morales und seinem Vizepräsidenten Alvaro Garcia Linera. Zählen wir nach: Morales wurde 2005 zum Präsidenten Boliviens gewählt; die erste Wiederwahl erfolgte 2009, die zweite 2014. Doch Evo Morales argumentiert, dass er unter der aktuellen Verfassung Boliviens, 2009 in Kraft getreten, erst einmal wiedergewählt wurde.
Evo Morales wurde von seinen Anhängern zum gottgleichen Anführer der Bolivianer gemacht – seinen Amtsantritt und seine Wiederwahlen hat er, in inkaisch anmutenden Gewändern und mit goldenem Zepter in der Hand, in den Ruinen des Inkatempels „Tiwanaku“ zelebriert. Nun kann man leider ein Idol nicht so einfach durch einen anderen Anführer austauschen. Darum das Bestreben, eine weitere Wiederwahl des Präsidenten zu ermöglichen. Man muss Morales zugutehalten, dass er mit einer Volksabstimmung einen relativ legalen Weg eingeschlagen hat – aber alle anderen Mittel wären auf zu großen Widerstand gestoßen.
Das Referendum fand am Sonntag, 21. Februar 2016 statt. Der Propagandakrieg vorher dauerte Monate. Zuerst sah es so aus, als würde die Propagandamaschinerie der Regierung keine Gegner kennen: Seit Anfang November bewarb die Regierung in allen Fernseh- und Radiokanälen die großen Taten, die im von Morales ausgerufenen „Prozess des Wandels“ (Proceso de Cambio) erbracht worden waren. Mehr Straßen! Neue Wasserkraftwerke! Ein Bonus für Schulkinder! Nahrungsergänzungsmittel für die ältere Generation! Wir werden wohl nie wissen, welche Mengen an Steuergeldern für minutenlange Werbeeinschaltungen zur Hauptsendezeit ausgegeben wurden.
Die Regierungskritiker mussten ihren Wahlkampf effizienter gestalten – ein paar gut gezielte Angriffe gegen die Regierung mussten reichen. Anfang Februar legte ein regierungskritischer Journalist seine besten Karten auf den Tisch: Er veröffentlichte, dass eine ehemalige Geliebte des Präsidenten nun Geschäftsführerin der bolivianischen Niederlassung einer großen chinesischen Firma ist. Dieses Unternehmen hat Staatsverträge in Millionenhöhe erhalten. Ein Foto zeigt den Präsidenten und seine Geliebte beim Karneval von Oruro. Der Präsident meinte: „Ja, sie kommt mir irgendwie bekannt vor.“ Ein zweiter Angriff wurde geliefert: Es wurde aufgedeckt, dass der Vizepräsident keinen akademischen Titel besitzt – auf seiner Website allerdings mit seinem Abschluss wirbt und auch Vorlesungen an Universitäten gibt.
Die regierungskritischen Journalisten lieferten das Material, und die sozialen Netzwerke machten es bekannt: Jede Neuigkeit wurde in Windeseile auf facebook verbreitet, und tausende von Memes, Audios, Videos und Kommentaren waren im Umlauf. In meinem Freundeskreis waren es Nachrichten, die die Regierung lächerlich machten – doch auf der Seite der Regierungstreuen wird wohl Ähnliches geschehen sein, mit umgekehrtem Vorzeichen. Es war eine hochemotionale Schlammschlacht, die die letzten Wochen vor der Volksabstimmung bestimmte. Am Wahltag selbst waren es auch die sozialen Medien, die als Erste über die Geschehnisse berichteten – während im Fernsehen Spielfilme liefen. Es gab einige Pannen. In einer regierungskritischen Gegend waren die Wahlzettel gar nicht angekommen, und die Menschen verbrannten Wahlurnen. Journalisten fotografierten gefälschte Auszählungsergebnisse, in denen die Stimmen für das „Ja“ zur Verfassungsänderung und für das „Nein“ umgekehrt worden waren. Meine Familie begab sich einige Stunden nach der Stimmabgabe zum Wahllokal, um sich persönlich über die Auszählungsergebnisse zu informieren. Ohne diese Kontrolle der Bevölkerung wäre es wohl zu einer beträchtlichen Wahlfälschung gekommen.
Und wer weiß, vielleicht arbeitet das regierungstreue „Wahltribunal“ ja an einer statistischen Bereinigung des Wahlergebnisses. Es wird eine Woche dauern, bis das offizielle Ergebnis feststeht. Exit polls, von regierungsnahen Meinungsforschungsinstituten durchgeführt, zeigen, dass 51 % für ein „Nein“ und 49 % für das „Ja“ zur Verfassungsänderung gestimmt haben. Die regierungskritischen Bolivianer lassen sich davon nicht einbremsen. Sie glauben an den Sieg des „Nein“ – am Abend des Wahlsonntags wurde auf den Straßen gefeiert. Am Tag darauf verkündete der Vizepräsident: „Passt auf, dass sich eure Freude nicht in ein Weinen verwandelt. Das Wahlergebnis kann sich noch erheblich ändern.“ Das sind besorgniserregende Worte aus dem Mund eines „Demokraten“, der allerdings klein beigeben wird müssen: Die neuesten Ergebnisse der Auszählung bestätigen einen Sieg des „Nein“ zur Verfassungsänderung.
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