Mit Hakims Hilfe durch die Nacht
Freiwillige Flüchtlingshilfe auf dem Hamburger Hauptbahnhof.
„Wir versuchen ihnen Sicherheit zu geben“, sagt Hakim. "Wenn sie nicht wissen, wie sie wohin kommen, helfen wir. Wenn sie nicht weiter können, dann suchen wir Schlafmöglichkeiten. Wenn sie hungrig sind, dann bekommen sie was zu essen.“ Sicherheit zu geben scheint wichtig zu sein. Für die Flüchtlinge, für die Helfer und für Hamburg.
Hakim ist selbst Flüchtling. Er kam 2011 nach Deutschland, vor drei Jahren nach Hamburg, ist 31 Jahre alt und gehört der arabischen Bevölkerung des Irans an, aus der Stadt Al Ahwaz. Er spricht Farsi, Arabisch, Englisch, ein wenig Französisch und sehr gut Deutsch mit einem leichten Akzent. „Ich will helfen, das ist eine Verpflichtung für mich“, betont er. Er ist einer von vielen freiwilligen Helfern, insgesamt etwa 150 Leute. Studenten, Flüchtlinge, Selbstständige, Pensionisten, von jung bis alt. Seit Ende des Sommers leisten sie Tag für Tag Flüchtlingen Hilfe, die mit dem Zug in Hamburg an- oder abreisen. Und nicht nur ihnen.
„Wir machen hier die Arbeit, die öffentliche Stellen nicht erledigen. Der Bahn helfen wir, weil wir den Flüchtlingen mit den Tickets und den Wegen helfen, dolmetschen und Ordnung in die Sache bringen“, sagt Hakim. Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz hat die Flüchtlinge, die nicht bleiben wollen, Reisende genannt. Neben dem Reisezentrum der Deutschen Bahn, unter einer Treppe in der Wandelhalle des Bahnhofs, haben die Helfer einen Informationsstand aus groben Pressspanplatten eingerichtet.
Dort laufen alle Fäden zusammen. Die Flüchtlinge bekommen Auskunft über abfahrende Züge, ob und wo noch Schlafplätze in ihrem nächsten Etappenziel verfügbar sind, wo ein Arzt ist. Man besorgt Schlafplätze, Essen, Tickets, und ist auf Spenden angewiesen. Als ich eintreffe bringt eine junge Frau, die nicht zu den Helfern gehört, einen Karton mit Kaffee für alle mit den Worten: “Für Euch und danke.“ Die Stimmung unter den Helfern ist gut. Fast alle tragen Signalwesten, auf denen ihr Vorname geschrieben steht. In Lateinischen Lettern oder in arabischen Schriftzeichen, manchmal beides.
Dadurch sind sie für die Flüchtlinge leicht erkennbar. „Gelb tragen die Helfer, Orange die Dolmetscher, Grün diejenigen, die die Flüchtlinge zu den Schlafplätzen führen und Blau die, die Erfahrung in der Organisation haben“, sagt Hakim. Unter den Helfern sind viele junge Frauen und Mädchen. Ob das ein Problem sei? „Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, dadurch fällt vieles leichter und die Kommunikation ist viel besser, als wenn nur Männer hier wären“, sagt Hakim. Neben dem Stand steht eine junge Frau in oranger Weste. Sie hält die Griffe eines Rollstuhls, darin eine uralt wirkende Frau, eingehüllt in Wolldecken, die Augen fast geschlossen. Sie warten auf den nächsten Zug.
Auf dem Weg durch den Bahnhof zeigt Hakim, wo die Flüchtlinge an den Bahnsteigen in Empfang genommen werden. „Refugees Assistance“, darunter arabische Schriftzeichen, steht auf einem laminierten Schild, das die Helfer hochhalten, wenn ein Zug einfährt. Hakim spricht immer wieder Leute an, die aussehen, als ob sie seine Hilfe brauchen könnten. Drei jugendlichen Afghanen sagt er, dass sie besser über Flensburg nach Dänemark kommen, anstatt es über Kiel zu versuchen. Eine Familie – Großeltern, ein Mann um die 40 im Rollstuhl, einer der ihn schiebt und ein paar Kinder - fragt er, ob er ihnen helfen kann. Die Angesprochenen lächeln und scheinen froh zu sein, dass da einer ist, der sie versteht. Sie bedanken sich. Sie wissen wo sie hin wollen. Sie sind in Bremen registriert.
Ein Zug aus München ist angekommen, offenbar ohne Flüchtlinge. „Es kommen weniger als noch vor drei Wochen“, sagt er. Andere Helfer berichten, dass in München schon umverteilt werde, auch aus Sicherheitsgründen. Vor drei Wochen seien noch über 1.000 pro Tag angekommen, jetzt nicht mehr. Es gebe auch Rückläufer, die wieder zurück wollten, etwa in die Türkei. Auf welchen Wegen wisse man nicht. „Die meisten wollen nicht in Hamburg bleiben, sondern weiter nach Norden“, erklärt Hakim. Er zeigt mir den Weg, über den die ankommenden Flüchtlinge zu der Erstversorgungsstelle hinter dem Hauptbahnhof geführt, und auf welchem anderen sie zu den Zügen gebracht werden. Nicht nur die Wege scheinen gut organisiert zu sein.
Am Heidi-Kabel-Platz zwischen Deutschem Schauspielhaus, Europäischem Hof und Ohnesorgtheater stehen seit Anfang Oktober eine Reihe Zelte. Eines, in dem man essen und sich aufwärmen kann - Frauen und Kinder haben Vorrang -, ein Versorgungszelt mit Essensausgabe, eine Kleiderkammer, ein Sanitätscontainer und im letzten können Kinder spielen und malen. Es ist reserviert für Frauen und Kinder. Männer müssen draußen bleiben. Ich darf trotzdem rein.
Im Kinderzelt treffe ich auf Cynthia, eine junge Frau, die hauptberuflich für den Hamburger Verlag Gruner&Jahr arbeitet, der selbst aktiv in der Flüchtlingshilfe ist. Ich frage nach den Kindern, ob sie traurig seien. Sie sagt, den meisten ginge es gut, sie spielten und malten, seien gelöst und hätten vielleicht die Flucht nicht klar mitbekommen, jedenfalls die ganz Kleinen. Für die Größeren könne sie nicht sprechen. Im Zelt ist es warm. Ein Bub jagt einem Luftballon hinterher, eine erschöpfte Mutter sitzt auf einer Bank, an den Wänden hängen Kinderbilder, neben dem Eingang steht ein Desinfektionsspender. Ich mache Bilder, weiß um das Anliegen der Helfer, keine Gesichter der Flüchtlinge zu zeigen und halte mich daran.
Rund um die Zelte ist Absperrband gespannt, davor und dahinter patrollieren Sicherheitsbeamte. Der Hamburger Hauptbahnhof ist ein rauer Ort wie viele andere große Bahnhöfe auch. Reisende halten sich nicht lange auf, für Junkies und Unterstandslose ist er Anlaufpunkt und Treffpunkt. Betrunkene und Hooligans seien schon manchmal zum Problem geworden, sagt Hakim. „Die Zusammenarbeit mit den Behörden am Bahnhof selbst klappt gut. Wenn es Probleme gibt, dann können wir uns auf die Polizei und den Sicherheitsdienst der Bahn verlassen“, sagt er. Es passiere wenig, aber manchmal eben doch.
Hakim stellt mir Reza vor. Er sei ein Landsmann von ihm, aus der gleichen Stadt, ein arabischer Iraner, der seine Zukunft nicht in der alten Heimat sehe. Drei Wochen sei er unterwegs gewesen, erzählt Reza auf Englisch. Über die Türkei nach Griechenland, über Mazedonien nach Kroatien und über Serbien nach Österreich und von dort nach Deutschland. Mit Bahn, Bus, Auto und zu Fuß. „Austria, beautiful country“, sagt er. Sein Händedruck ist fest. Bodybuilding, sagt er, und auch, dass er 16 sei, was ihm aber keiner glaube, so groß und muskulös wie er sei. Hakim erzählt, man versuche zu erreichen, dass Rezas Vater den Pass seines Sohns nachsende, damit man ihm sein Alter glaube. Neben uns spielt ein Mann vor einer Gruppe von Leuten Blockflöte. Ein Mädchen filmt ihn mit dem Handy. Reza deutet auf die Männer, sagt, das seien Afghanen, er möge keine Afghanen. Sie seien schmutzig.
Ich frage Hakim, ob es oft Reibereien zwischen den Flüchtlingen selbst gebe. Er denkt nach, sagt, hier nicht, hier bliebe man nur recht kurz, vielleicht eine Nacht, länger nicht, keine Zeit für Zank und Zwietracht. In den Lagern sei das wahrscheinlich anders. Viele kulturelle und soziale Unterschiede und keine Verständigung untereinander. „Wenn man sich nicht versteht, dann versteht man vieles falsch. Da kann schon gut gemeintes Schulterklopfen falsch aufgefasst werden. Deswegen ist es so wichtig, dass wir eine gemeinsame Sprache finden“, sagt Hakim mit seinem weichen Deutsch.
Sprache sei der Schlüssel. Und Integration. Er selbst sei gerade in den Integrationsbeirat Hamburgs gewählt worden und zeigt stolz die Bestätigungsmail seiner Aufnahme in den Beirat. Er plane Deutschkurse und wolle einen Verein gründen, damit die Integration gelinge. Das sei wichtig. Er sei in Deutschland schon sehr angekommen, fühle sich willkommen, möchte das Gefühl weitergeben. Als er in Serbien für zwei Wochen an der Grenze gewesen sei, um zu dolmetschen, habe er Heimweh nach Hamburg gehabt. „Das ist doch verrückt. Aber auch schön“, sagt er.
„Als wir hier angefangen haben, da habe ich mich nicht gewundert, dass viele Helfer selbst Flüchtlinge waren. Aber das so viele Deutsche uns helfen, das ist wunderbar, das macht so viel Mut.“ Ob Religion ein Problem darstelle? Man hatte mir erzählt, es habe teilweise recht plumpe Anwerbungsversuche durch konvertierte Salafisten gegeben. „Wir sind die schnell wieder los geworden. Die meisten, die hierher geflüchtet sind, sind Muslime, die den Koran schon von Kindesbeinen an kennen. Wenn die alleine schon die absurden Bärte sehen, dann lachen sie diese ahnungslosen Jungs aus, erst recht, wenn sie hören, was diese Leute ihnen über ihren Glauben erzählen wollen“, sagt Hakim.
Es wird spät. Hakim wird noch zu einer Plenarsitzung der Helfer-Gruppe gehen, die immer noch kein eingetragener Verein ist und keinen Namen hat, sondern sich frei gefunden hat, um zu helfen. Die Kindern Notoperationen und den Eltern ein Aufenthaltsrecht verschafft, mit Hartnäckigkeit, manchmal auch Penetranz, wie Jens, einer der Helfer, lachend und zufrieden sagt. Die Essen besorgt und verteilt, die auf sich und andere aufpasst. Die ihrerseits Hilfe erhalten hat, von Wohlfahrtsverbänden und Vereinen, von Geschäften und Restaurants und Privatleuten.
Die ein Netzwerk gesponnen hat, in der Stadt und zu anderen Städten, Lübeck, Flensburg, Kiel, Rostock. Die bis zu 500 Flüchtlinge in die Al-Nour-Moschee schicken kann, die neben den Gebetszeiten jedem Flüchtling unbenommen seiner Religion einen Schlafplatz anbietet, genauso wie die Caritas. Die Menschen sagen kann, dass sie einen Schlafplatz in der Kunsthalle, manchmal auch im Schauspielhaus haben. Die bis zur Erschöpfung arbeitet. Eine Gruppe Individualisten, von der Hakim sagt: “Schreib „Wir“, wenn Du davon erzählst.“
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