Sommer in Osttirol – Winter in Cochabamba
Den Wert einer guten Winterjacke lernt man zu schätzen, wenn es keine Heizung gibt.
Cochabamba hat ein stabiles Klima, in dem die Temperaturen während des Jahres kaum variieren. In dieser auf 2.500 Höhenmetern gelegenen Stadt hat es tagsüber meist über 20 Grad Celsius. Im Winter sinkt die Temperatur nachts auf knapp über null Grad. Im Juli erreichte allerdings auch Cochabamba ein „Surazo“ – die kalte Luft aus dem Süden. Unter den starken Regenfällen verwandelten sich die Straßen in Flüsse und die Temperatur sank auf unter zehn Grad.
Nun könnten Osttiroler einwenden, dass das ja gar nichts im Vergleich zum österreichischen Winter ist. Dabei vergessen wir aber, dass es in Osttirol Zentralheizungen gibt – ein Luxus in Bolivien. Das bedeutet, dass im bolivianischen Winter Innen- und Außentemperatur ungefähr gleich sind. Erst hier habe ich die Bedeutung einer guten Winterjacke oder eines dicken Schlafsacks kennengelernt. Als der Winter in Cochabamba ankam, saßen wir alle in dicken Jacken um den Esstisch herum.
Als ich zum ersten Mal in Bolivien war, arbeitete ich als Freiwillige in der Bergbaustadt Oruro, 3.800 Meter über dem Meeresspiegel. Auf dieser Höhe betragen die Temperaturen in der Nacht weit unter null Grad. Während ich in meinem Zimmer fror, hatten es meine Arbeitgeber gut: Die Ordensgemeinschaft, für die ich ohne Bezahlung arbeitete, hauste in einem der wenigen gut beheizten Häuser von Oruro, offener Kamin inklusive.
Ich habe allerdings auch gute Erinnerungen an die kalten Nächte von Oruro. Zur Wintersonnenwende, der Nacht vom 20. auf den 21. Juni, verbrachte ich eine lange Nacht im Freien, auf den Sonnenaufgang wartend. Diese Form der Sonnwendfeier ist ein althergebrachtes Ritual im bolivianischen Hochland. In dieser Nacht brachte ich den bolivianischen Kindern bei, Marshmallows am Lagerfeuer zu schmelzen, während eine Musikgruppe alte Weisen anstimmte. Winter oder Sommer, es ist dieses Aufeinandertreffen der Kulturen, das mich immer wieder nach Bolivien zieht.
Dabei geschieht dieses Treffen der Kulturen nie auf Augenhöhe. Seit der Kolonialisierung Boliviens im frühen 16. Jahrhundert wird die westliche Kultur als der indigenen Kultur überlegen präsentiert. Dieses Denken ist fest in den Köpfen der Menschen verankert. Ich kann nur den südamerikanischen Intellektuellen zustimmen, die argumentieren, dass Kolonialismus nicht mit dem Abzug der Kolonialmacht vorbei ist, sondern in Kultur, Politik und Wirtschaft weiterhin existiert.
Ein Posting
Ich finde die Bolivienberichte sehr spannend zu lesen. Neben den "sprechenden Fotos"ist immer etwas Wissenswertes über die dortigen Lebensumstände zu erfahren.
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