Ängstlich klammern wir uns an die Ordnung
Flughäfen sind Scheinwelten, in denen althergebrachte Normen dominieren.
Nun bin ich also wieder einmal auf dem Weg nach Bolivien. Das bedeutet: 36 Stunden in Flugzeugen und auf Flughäfen. Während des zehnstündigen Aufenthalts am Flughafen Guaralhos in Sao Paolo denke ich mir: Eigentlich sehen alle Flughäfen sehr ähnlich aus. Spiegelnde Fliesen, grell beleuchtete Auslagen, schöne Flugbegleiterinnen. Eine aalglatt durchgestylte Welt präsentiert sich hier. Umweltverschmutzung? Ist zum Glück unsichtbar. Armut? Hat keinen Zutritt. Krieg? Flüchtlingen wird auf Flugsteigen nicht geholfen.
Auf Flughäfen wird eine gesellschaftliche Ordnung bestätigt, der wir noch immer nachhängen. Erhascht man einen Blick in die VIP-Lounge, sieht man ergraute Männer im Anzug, in das Gespräch mit einem Businesspartner vertieft. Die Mittelklasse wartet auf an der Wand aufgereihten Bänken. Natürlich hat – wer überhaupt Zugang zum Flughafen hat – schon den ersten Test passiert: ein gültiger Pass, eine Staatsangehörigkeit, Geld für ein Visum. Wer nicht privilegiert ist, darf höchstens eines, im Flughafengebäude putzen. Und dabei bitte nicht die Augen heben oder gar mit den Fluggästen sprechen.
Auf dem Flughafen ist die Welt noch so, wie sie schon vor 100 Jahren war. Es ist klar, wer welche gesellschaftliche Position belegt und wir sind ungestört von der chaotischen, armen, leidenden Außenwelt. Die einzige Rebellion, die auf dem Flughafen stattfindet, wird einem verkauft: Ein Paar zerrissener Jeans oder eine Tätowierung gefällig? Neuerdings führen wir auch Bio-Kosmetik!
Flughäfen sind Anziehungspunkte. Wir berichten fasziniert von ihrer Architektur und davon, dass wir schon wieder von XY nach XYZ gejettet sind. Die Anthropologin Mary Douglas würde sagen, wir brauchen dieses Gefühl von Ordnung, das Orte wie Flughäfen vermitteln. Hier hat noch alles und jeder seinen Platz. Wenn gesellschaftliche Regeln eingehalten werden, empfinden wir einen Ort oder eine Handlung als sauber und ordentlich. Flughäfen sind solche Orte der Ordnung – Schmutz und Chaos bleiben draußen.
Ängstlich klammern wir uns an diese Ordnung: Wie oft haben mich meine bolivianischen Freunde davor gewarnt, mit den Menschen in den Dörfern zu essen. „Da wirst du krank davon“, sagen sie. Oder geht es ihnen doch eher darum, die althergebrachten Grenzen zwischen Landleuten und Stadtmenschen aufrechtzuerhalten? Die alte Ordnung zu bestätigen?
Wir empfinden soziale Ordnung, wenn althergebrachte gesellschaftliche Trennungen aufrechterhalten werden wie eben auf einem Flughafen. Diese Ideen sind tief in unsere Kultur eingeschrieben und es gilt, sie aufzuzeigen, um unsere Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung neu zu formulieren.
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