Pura Vida, Fußball und fehlende Avocados
Costa Rica liebt die kleinen Skandale, wirklich schlimm ist hier gar nichts.
Während sich die Studenten des „Dschungelcamps“ von den Strapazen der ersten Trainingstage erholen (sie mussten sich im Rollenspiel ebenso um traumatisierte Flüchtlinge kümmern wie um korrupte Politiker, sie wurden abgehört, beobachtet, angegriffen), habe ich Zeit, noch einmal über Costa Rica nachzudenken. Dieses Land hat fast alles zu bieten, was man sich von einem Urlaub in den Tropen erwarten kann, doch es gibt auch einiges Kurioses hier. Etwa eine Kulturministerin, die in Schwierigkeiten ist, weil sie es nicht geschafft hat, das wichtigste jährliche Kulturfestival des Landes für dieses Jahr zu organisieren. Dieses Stolpern über politische Dinge ist hier fast Alltag: Vor eineinhalb Jahren hatte ein geschickter Parlamentsmitarbeiter in einer überarbeiteten Version des Familiengesetzes einen Paragraphen zur gleichgeschlechtlichen Ehe untergebracht. Insbesondere die konservativen Parteien verteidigten das Gesetz und stimmten dafür, ohne den Paragraphen zu bemerken. Es war das Ende so mancher politischer Karriere.
Natürlich fällt Costa Rica auch durch anderes auf, allem voran Gastfreundlichkeit und Beliebigkeit. Ersteres ist schön, Zweiteres kann zumindest im Arbeitsalltag ermüdend sein, hat aber auch eine heitere Seite, etwa wenn wir Essen für die Studenten bestellen und nach vielen Stunden die überraschte Frage kommt, ob das wirklich für heute gemeint war.
Ein wenig befindet sich Costa Rica noch immer im Taumel der letztjährigen Fußballweltmeisterschaft – warum sollte man auch einen Erfolg wie damals, als man völlig überraschend das Viertelfinale erreichte, nicht ein ganzes Jahr lang feiern? Der Jubel könnte andauern, denn derzeit sind auch die Frauen im Fußball so erfolgreich, dass sie erstmals an der WM teilnehmen.
Ein ganz anderes Ereignis wird dennoch wesentlich intensiver diskutiert: Avocados könnten in nächster Zeit deutlich teurer werden! In Costa Rica, wo die Früchte in Form der „Guacamole“ (mit einer Gabel zerkleinerte Avocados mit Limone und Gewürzen – keinesfalls mit Zwiebel, bitte!) zu vielen lokalen Speisen serviert werden, wird nur ein winziger Prozentsatz dessen angebaut, was konsumiert wird. Der Rest wird aus verschiedenen Ländern, vorwiegend aus Mexiko, importiert. Falls die Angaben der costaricanischen Regierung stimmen, wurden im Jahr 2014 12.563 Tonnen Avocados aus Mexiko importiert. Diese Zahl wird im heurigen Jahr dramatisch sinken, denn die Grenzen Costa Ricas wurden für Avodado-Importe aus neun Ländern gestrichen, darunter der Hauptimporteur. Schuld ist ein Virus namens „Sunblotch“, der viele Avocadobäume befallen hat.
Ach ja, erwähnenswert wäre unter Kuriosem noch der größte Geldwäscheskandal aller Zeiten, der 2013 im Nachbarort stattfand. Mindestens 6 Milliarden US-Dollar wurden in sieben Jahren gewaschen. Mindestens 55 Millionen illegale Transaktionen wurden dafür getätigt.
All das tangiert die Studenten im Dschungelcamp wenig. Sie müssen sich auf anderes konzentrieren. Ein mentales Training wird sie auf morgen vorbereiten, denn in wenigen Stunden geht die Übung auf ihren Höhepunkt zu: Feuerlöschen im Regenwald, danach Schießübungen (Friedensstudenten müssen lernen, wie unterschiedliche Waffen auf verschiedenen Distanzen klingen, um abschätzen zu lernen, wann man noch fliehen kann und wann nur noch das Verstecken hilft). Der morgige Tag wird mit einem fingierten Überfall plus Konsequenzen enden, mehr dazu demnächst auf dolomitenstadt.at.
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Dolomitenstadt-Redakteurin Daniela Ingruber war vor ihrer Rückkehr nach Osttirol als Kriegsforscherin mit den Schwerpunkten Kriegsberichterstattung, ethischer Journalismus, Kriegsfotografie und -film an der University for Peace (UPEACE) der UNO in Costa Rica tätig, wo sie nach wie vor einer Lehrverpflichtung nachkommt. Derzeit leitet sie – parallel zur redaktionellen Arbeit für Dolomitenstadt! – einen Kurs im Masterprogramm für Medien und Konfliktforschung.