Das Archiv der Lavanter Chronistin
Alltägliches, Vergessenes, Fotos und Aktuelles – alles erzählt Geschichten über den Ort.
Früher war es selbstverständlich, dass jemand im Ort die Ereignisse und Geschichten sammelte, niederschrieb und einer Nachwelt hinterließ. Viel Überliefertes verirrte sich nur so in unser geschichtliches Bewusstsein. Irgendwann ging diese Idee verloren. Es schien im Alltag nicht mehr notwendig, alles zu notieren. Jeder machte seine eigenen Bilder, hatte seine eigene Schachtel mit Erinnerungen. Bis diese durch Kriegswirren, Brände, Überschwemmungen oder einfach durch einen Umzug verloren gingen.
Das Bewusstsein für das Notieren und Sammeln ist in Osttirol inzwischen wieder gewachsen. Fast jede Gemeinde hat eine Person, die sich darum kümmert. Manche Orte, wie Kals, können auf ein reiches Depot zurückgreifen, andere Orte müssen immer wieder von vorne anfangen, weil Material verloren geht, oder wie im Falle Lavants, irgendwann ausgemistet wurde. Die Lavanter Chronistin, Andrea Schett, hat es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viel Verlorenes wiederzufinden und dabei das Aktuelle nicht zu übersehen: „Ich sammle praktisch alles, wo Lavant draufsteht, und das Alte arbeite ich auf“, sagt sie. Dass sie hinzufügt, sie habe eine Vollzeitbeschäftigung im Bezirkskrankenhaus Lienz und mache das alles nur in ihrer Freizeit, verwundert fast, wenn man hört, was sie schon alles zu Lavant gefunden hat. Lachend erwähnt die junge Frau, dass unter den Chronisten nicht zufällig sehr viele Pensionisten seien und fügt hinzu: „Man macht halt, was geht und wie man Lust darauf hat.“ Ohne die Hilfe des Vaters ginge es allerdings nicht.
Die liebste Quelle der studierten Historikerin ist das Internet. Nicht nur, dass sie über Stichwortsuchen alles Neue findet, sondern sie kann in historischen Archiven recherchieren und alte Zeitungen anschauen. Stundenlang könnte man ihr zuhören, wenn sie davon berichtet, wie sie sammelt, welche Software sich als geeignet erwiesen hat, welches Fotoarchiv sie angelegt hat, um von den namenlosen Kisten wegzukommen, hin zu einem Archiv, das so bestichwortet ist, dass sich tatsächlich etwas finden lässt.
Hilfreich und inspirierend seien die Chronistentreffen, bei denen man sich austauschen könne. Schließlich stünden ja alle vor den gleichen Herausforderungen, was das Recherchieren und die Vielfalt an Material betreffe. Gänzlich unterschiedlich seien allerdings die Herangehensweisen, erzählt Andrea Schett. Während es für sie selbstverständlich sei, jede kleine Einladung, jeden Folder, jede aktuelle Veranstaltung zu sammeln, würden sich andere eher um das Aufarbeiten des alten Materials kümmern. Ein wenig scheint sie daran zu verzweifeln: „Das Alte habe ich ja schon! Ich muss das Neue sammeln, sonst ist es für immer weg!“
Ob sie selbst Historisches niederschreibt? Manchmal, für einen Artikel. Zum Erzählen der Geschichten bleibt keine Zeit neben der Arbeit. Es geht eher um das Sammeln, mehr ist nicht möglich, sagt Andrea Schett: „Ich habe immer im Hinterkopf, welche Geschichten die alten Leute in Lavant zu erzählen hätten. Ich würde sie gerne befragen, aber wann?“ Pläne dazu hat sie allerdings, deshalb ist ihr Herzensprojekt das Fotoarchiv. Die Fotos dann vor die Menschen zu legen und sich dazu die Geschichten erzählen zu lassen, das wäre eines der Projekte, irgendwann, wenn mehr Zeit ist. Gerade dieses Fotoarchiv hat sich schon als hilfreich erwiesen, etwa beim 80sten Geburtstag des Lavanters Raimund Anether, für dessen Feier die Gemeinde Kinderfotos gebraucht hatte. Nicht einmal der Jubilar hatte sich an die Bilder erinnert – die Chronistin aber hatte sie bereit.
Das Wissen von Andrea Schett endet nicht bei dem Ersammelten. Wenn sie erst einmal zu erzählen begonnen hat, tut sich ein Detail nach dem anderen auf. Plötzlich findet man sich in einem Gespräch über die Römer wieder, sie erzählt vom alten Friedhof, der wahrscheinlich unter dem Dorf liegt, von den ungelösten Rätseln der Görzer Grafen in Lavant, von Reisenden aus dem Mittelalter oder von der Besonderheit, dass der Lavanter Kreuzweg aus 17 statt 14 Bildstöcken besteht. Auch diesem Mythos möchte sie irgendwann noch nachgehen. Wenn man ihr zuhört, scheint es, als hätte sie das Rätsel längst gelöst. Wenn man Glück hat, erzählt sie einem in einer Führung durch Lavant davon, aber das wäre ihr fast schon zu öffentlich. Lieber spricht sie im kleinen Rahmen von den Schätzen ihres Archivs. Vielleicht können wir sie überreden, auch solch eine Führung zu machen, irgendwann, wenn mehr Zeit ist.
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