Über das Alter und seine Erscheinungen
In Hamburg-Poppenbüttel sind die Menschen älter als in Osttirol.
Eine typische Alterserscheinung ist das Schrumpfen. Egal ob Apfel oder Oma, mit der Zeit wird alles ein wenig schrumpeliger, fällt zusammen und wirft Falten. Auch Osttirol schrumpft. Das zumindest sagt ein Tiroler Landesrat in einer Anfragebeantwortung: “Die Region schrumpft, die Bevölkerung altert schneller als in anderen Regionen.“ Osttirol muss ein besonders alter Landstrich sein, der offenbar sogar an Naturgesetzen rüttelt. Eine physikalische Überprüfung der landesrätlichen Aussagen steht noch aus. Vielleicht hat man darauf vergessen.
Das Vergessen ist eine Alterserscheinung, mit der ich mich aus eigener Erfahrung auskenne. Ich habe schon unglaublich viel vergessen, was sicher auch am Fortschreiten der Zeit liegt, aber auch an der großartigen Fähigkeit des Gehirns, vieles in Vergessenheit geraten zu lassen. Jetzt hatte ich vergessen, wie alt denn die Osttiroler Bevölkerung im Durchschnitt ist, und weil ich ganz gerne überprüfe, ob ich was weiß oder nur glaube, was zu wissen, habe ich bei Statistik Austria nachgeschaut. 19% der Osttiroler waren Anfang 2014 über 65 Jahre alt, 2 % der Osttiroler – 961 Frauen und 421 Männer – waren damals älter als 84. In Innsbruck gibt es mehr alte Menschen. In Wien-Döbling auch. Und in Hamburg-Poppenbüttel erst recht.
Dort kam ich zu meiner ganz persönlichen Alterserscheinung. Bezeichnenderweise mussten wir letztes Jahr dorthin wegen Sanierungsarbeiten in unserer Altbauwohnung umziehen. In Poppenbüttel war ich mit meinen 45 einer der Jüngeren, also kein Mittelalter, nein, sondern ein Jungspund, der ganz offensichtlich wegen seines Alters auffiel. Weil mich der Grund für das allgemeine Erstaunen der vielen älteren Damen und Herren über meine nicht ganz taufrische Jugend interessierte, fragte ich bei einer Poppenbütteler Ärztin nach. In ihrem Wartezimmer war ich selbstredend - der Jüngste. Über 32 % seien in Poppenbüttel jenseits der 65, sagte sie mir, und außerdem sei es der Hamburger Stadtteil mit den ältesten Mitbürgern überhaupt. Es reihe sich Altersheim an Altersheim, Altersresidenz an Altersresidenz, Geriatriestation an Geriatriestation. Deren Bewohner seien im Schnitt um die 90 Jahre alt. Die ältesten seien sogar über 100 Jahre alt.
Das erinnerte mich an eine deutsche Studie, die besagt, in der Stadt und nicht am Land finde man besonders viel Hochbetagte. Das sei so, weil die medizinische Versorgung und die Lebensbedingungen in der Stadt besser seien als am Land. So sei die Stadt mit den ältesten Einwohnern Berlin. Dort kämen zum Beispiel auf 10.000 Einwohner 32 Überhundertjährige.
In Wien-Döbling, einem Stadtteil, in dem 27% der Bevölkerung über 65 und 5 % über 85 Jahre alt sind, hatte eine Verwandte mit einer ganz besonderen Alterserscheinung nicht gerade ihre helle Freude. Als sie die 65 überschritt, erhielt sie eine Broschüre von einem Verein, der den alteingesessenen Wienern unter seinem alten Namen „Die Flamme“ ein Begriff ist. Ihr wurde in einem persönlich gehaltenen Schreiben nahegelegt, doch an die Zukunft zu denken. „Die Flamme“ hat sich die Feuerbestattung auf die Fahnen geschrieben. Der Verein selbst nennt sich jetzt „Wiener-Verein“, und ist Teil der Wiener Städtischen Versicherung. Auch eine Art der Zukunftsvorsorge.
Alterserscheinungen gibt es viele, dazu gehören auch Gerüchte. So soll älteren Mitbürgern in Wahlzeiten immer wieder hilfreich die Hand geführt worden sein, damit das Kreuz auch wirklich an der richtigen Stelle sitzt. In Frankreich sollen zur Stimmenmaximierung sogar schon längst Verstorbene ihren Weg in die Wahlkabine gefunden haben. Dem deutschen Sender ZDF wird nachgesagt, er kümmere sich schon seit seinem Bestehen vor allem um die Zielgruppe der Betagten, was bei einer Überprüfung der im ZDF beworbenen Artikel als sehr wahrscheinlich angesehen werden kann. Und die Medikamentenabhängigkeit sei im Alter besonders groß, auch auf dem Land. Ein Zeichen dafür, dass die medizinische Versorgung am Land doch nicht hinter der der Städte zurückliegt? Man könnte einen Landesrat fragen. Falls man ihm Glauben schenkt.
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