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1914 – 2014. Die ganze Welt erinnert sich. Die ganze?

Hat das offizielle Osttirol eine Weltkriegs-Erinnerungslücke? Ein Kommentar.

Sich zu erinnern, kann schwer fallen, ganz besonders dann, wenn wir uns an Unerfreuliches erinnern sollen. Sich an etwas zu erinnern, das weit vor der eigenen Wahrnehmung stattgefunden hat und noch dazu unerfreulich war, fällt wahrscheinlich besonders schwer. Erst recht, wenn das unerfreuliche Ereignis 100 Jahre zurückliegt. Dabei wäre es wichtig, sich zu erinnern, wie das war, damals vor 100 Jahren, als der erste globale Waffengang Europa in eine Katastrophe stürzte, die bis heute spürbar ist. Unter anderem in Tirol. Vor allem in Südtirol und damit erst recht in Osttirol. Deshalb dachte ich, der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird 2014 in Osttirol ein Thema sein, das stark beleuchtet werden wird. Weil 1914 etwas begann, das die Osttiroler Welt verändert hat, das den Bezirk Lienz zu einer Insel machte und familiäre wie wirtschaftliche Verbindungen kappte. Weil 1914 schon ein sehr hoher Blutzoll zu bezahlen war, auch von Osttirolern, die sich plötzlich in Galizien und in den Karpaten wiederfanden. Für Gott, Kaiser und Vaterland. Und weil am vorläufigen Ende des Gemetzels eine Grenze entstand, die lange noch nachwirkte, und die erst in den letzten Jahren durchlässig geworden ist. Weil ich dachte, das könnte von anderen auch so gesehen werden, machte ich mich auf die Suche nach Vorankündigungen zu Osttiroler Gedenkveranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Kranzniederlegungen. In Osttirol wurde ich nicht fündig. Zwar gibt es im Rahmen des Tiroler Photoarchivs eine Ausstellung und die aktuelle Egger-Lienz Ausstellung des Wiener Belvederes wird im Sommer ihre Zelte auf Schloss Bruck aufschlagen, aber sonst war auf den ersten Blick in keinem der Veranstaltungskalender etwas zu finden. Was mich sehr irritiert hat. Dabei gebe es ausreichend Anlass zur Erinnerung. Nicht nur, weil unsere Welt durch diesen Krieg eine andere geworden ist, sondern weil sich Geschichte auch zu wiederholen droht, wenn wir vergessen, wie und warum Konflikte entstehen und ausarten. Gerade wieder wird lautstark mit Säbeln gerasselt, so wie schon vor 100 Jahren. Manche Kommentatoren ahnen die Möglichkeit eines Weltkriegs, eines neuen Weltenbrands. Eine beunruhigende Vorstellung. Nationalismen leben auf, Fahnen werden wild geschwenkt und wir sehen im TV wieder junge Männer unter Waffen, die sagen, sie seien zu allem bereit. Nationalisten machen Stimmung für das, was sie für alleine richtig halten. Die Nationalismen der einen Seite dienen so als Argument zur Aufrüstung der Nationalisten der jeweils anderen Seite. Grad so, wie vor hundert Jahren. Daran sollte man sich doch erinnern. Bei meiner Suche stieß ich auf Europeana 1914 – 1918, ein länderübergreifendes Projekt, das Interessierten jeder Generation über alle Grenzen hinweg den Zugang zu auch sehr persönlichen Erinnerungen ermöglicht. Die Betreiber des Portals rufen dazu auf, ähnlich wie das Tiroler Photoarchiv, sich selbst zu beteiligen, und auf einfachem Weg Scans von Photos, Briefen oder Tagebüchern einzureichen. Ich kann mir vorstellen, dass Traditionsvereine ebenso wie Privatpersonen einen wertvollen Beitrag zu diesem Projekt leisten könnten.
Feldgendarmen am Frontabschnitt Col di Lana, um 1916. Sammlung Werkmeister Anton Trixl, Tiroler Archiv für photographische Dokumentation und Kunst (TAP)
Feldgendarmen am Frontabschnitt Col di Lana, um 1916. Sammlung Werkmeister Anton Trixl, Tiroler Archiv für photographische Dokumentation und Kunst (TAP)
Beiträge, die zu verstehen helfen, wie sich Menschen auf der jeweils anderen Frontseite fühlten, wie staatliche Propaganda funktionierte, was Menschen euphorisch in eines der größten Gemetzel der Menschheitsgeschichte ziehen ließ, und wie es denen ging, die hinter den Fronten auf Nachricht der ihren warteten. Beiträge, die zu begreifen helfen, wie die Heldenbilder der jeweils anderen aussahen, zu sehen, wie die Feldgeistlichen auf allen Seiten Segen vom gleichen Gott erbaten, nachzuempfinden, wie unsere Vorfahren mit einem Krieg umgingen, der ganze Generationen auslöschte. Wer weiß, was an Erinnerungstücken noch auf Dachböden, in Schubladen und alten Schuhkartons darauf wartet, mitgeteilt zu werden. Die Beteiligung an dem Projekt könnte eine Gelegenheit für Enkel sein, ihre Großeltern an den PC zu holen, um sie zu fragen, wie es deren Eltern damals erging, ob sie wüssten, ob da noch Photos, Briefe, Feldpostkarten sind, ob sie selbst Geschichte erzählen könnten. Die Chance für private Erinnerungen im globalen Netz geteilt zu werden und so nicht vergessen zu werden. Für 2015 ist zum Hundertjährigen der Eröffnung der Süd-Westfront in Zusammenarbeit mit dem Tiroler Photoarchiv ein größeres Projekt in Kartitsch rund um den Karnischen Kamm geplant. Wird sich das offizielle Osttirol zumindest 2015 mehr ins Zeug legen? So, als ob der Krieg für Osttirol erst 1915 begonnen hätte? Das hieße, man habe etwas vergessen. Unter anderem auch die Osttiroler, die schon 1914 in Galizien und auf dem Balkan ihr Leben ließen. Wie gesagt, es fällt oft schwer, sich zu erinnern.  
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

Ein Posting

nanny
vor 11 Jahren

Doch, es wird auch bei uns an den Ausbruch des 1. Weltkrieges gedacht. Am Dienstag, 25. März spricht um 19:30 Uhr im Bildungshaus Lienz der bekannte Publizist und Historiker Dr. Michael Forcher zu diesem Thema: "Als in Europa die Lichter ausgingen" (Untertitel: Wie es zum Ausbruch des 1. Weltkrieges kam). Wird sicher interessant!

 
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