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Weihnachtstext: „Der englische Kuchen“…

Von Heidi Fast.

… oder:  Wann wird Weihnachten so schön, wie es nie war*

Mein Vater erzählte nie vom Krieg. Dass die Kriegsgefangenschaft in England für ihn eine Befreiung gewesen sein muss, haben wir gespürt, auch darüber sprach er wenig. Nur hie und da schwärmte er vom "Englischen Kuchen", den es an Sonn- und Feiertagen im Lager gab. Dieser "Englische Kuchen" war für den damals kaum Zwanzigjährigen der kulinarische Himmel schlechthin….

Ich versuchte immer wieder nach den verschiedensten Rezepten dieses Geschmackserlebnis für ihn zu wiederholen. Das gelang nie. Er sei schon gut, meinte Papa dann, aber nicht so gut, wie damals in England. Heute, viele Jahrzehnte später und einiges an Lebenserfahrung reicher, weiß ich, dass es nicht gelingen konnte, dazu hätten wir unseren Vater in Gefangenschaft halten müssen! Der "Englische Kuchen" war vermutlich nicht viel mehr als mageres englisches Brot mit ein paar Rosinen drin. Den nach Essen und Zuwendung hungernden Männern muss er aber einfach wunderbar erschienen sein. Der "Englische Kuchen" war viel mehr als ein Kuchen, er war ein Symbol. Den Briten rechne ich diese Geste heute, da ich mehr über den Krieg und die damalige Not der Engländer weiß, hoch an. Ähnlich wie mit dem "Englischen Kuchen" geht es mir mit Weihnachten. Seit Jahrzehnten versuche ich nach den verschiedensten Rezepten und Methoden das "perfekte Weihnachten" zu erreichen, wie damals den perfekten "Englischen Kuchen". Das Weihnachten meiner Kindheit, als der Advent so unendlich lange dauerte. Das Weihnachten, das in meiner Erinnerung voller Gerüche und Geheimnisse steckte, selbst als ich den Christkind-Glauben schon verloren hatte. Ein Weihnachten, das nur mit wenigen Geschenken aufwarten konnte und doch voller Glitzern zu sein schien. Dieses Weihnachtsgefühl für mich selbst zu wiederholen gelingt ebenso wenig, wie der "englische Kuchen" für meinen Vater. Ich frage mich, was denn den Zauber des kindlichen Weihnachtens ausgemacht hat? Wenn ich genauer darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass beim Thema "Weihnachten" die selektive Wahrnehmung voll zuschlägt: Verdrängt habe ich, dass meine Mutter genauso abgehetzt war, wie die meisten Mütter heute und dass mein Vater - wie die meisten Männer - Weihnachten eigentlich nicht mochte. Nicht gerne erinnere ich mich auch an familiäre Konflikte, Elternstreit oder öde Besuche. Ich kann aber noch den Duft des gemeinsamen Festessens riechen und sehe das zufriedene Gesicht meiner Mutter nach der Bescherung vor mir. War es mir damals peinlich, dass Oma mit ihrer dünnen Altfrauenstimme so laut und falsch sang, so rührt mich das heute. Auch die Geschenke, von denen ich enttäuscht war, verdränge ich gerne: Zum Beispiel die hautfarbene Flanellunterwäsche mit dreiviertel-langem Bein, viel zu schön verpackt. Lieber erinnere ich mich an spannende Bücher und die anschließenden Lesestunden oben im Stockbett oder an meine erste Schallplatte, die ich zu Tode spielte. Ich schäme mich nur ein bisschen für das heimliche Naschen vom Baum, der bald an der Rückseite kahl war und weiß heute, dass der Wasserkübel, der neben dem Baum griffbereit stand, wenn wir die Kerzen am Dreikönigstag zum letzten Mal anzündeten, im Ernstfall eher geschadet, als genützt hätte. Seither hat sich viel geändert, nicht nur dass das Christkind zunehmend vom Weihnachtsmann abgelöst wird, der besser zu unserer konsumorientierten und immer lauter werdenden Welt zu passen scheint. Auch meine Rolle hat sich gewandelt. Statt verzaubert zu werden, versuchte ich zu verzaubern. Ob mir das gelungen ist, wissen nur meine Kinder. Die sind nun schon erwachsen und wenn sie einen Rat zum Thema "Weihnachten" annehmen würden, könnte ich heute sagen: Ideales und Perfektes gibt es nicht, vor allem nicht zu Weihnachten. Es geht um das Gefühl, um die Geste, um Wärme und - auch wenn es kitschig klingt - um Liebe. Wenn wir etwas davon spüren, bleibt uns die Erinnerung nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen. Das gilt für Weihnachten genauso, wie für Papas "Englischen Kuchen".   * Den Untertitel habe ich meinem Geschenk-Tipp dieses Jahres entlehnt, das Buch "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" von Joachim Meyerhoff kann ich dafür nur wärmstens empfehlen!   Heidi Fast, Advent 2013   ------------------ Dieser Beitrag wurde eingereicht zum Weihnachtstexte-Wettbewerb der Stadtbücherei Lienz. Hier finden Sie alle Weihnachtstexte auf einen Klick.
Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

2 Postings

Gorilla im Nebel
vor 11 Jahren

So herrlich treffend. Ein wunderschöner und sehr wahrer Text von Heidi Fast.

 
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Churchill
vor 11 Jahren

Schön und berührend! Wie sehnt man sich beim Lesen nur in die eigene Kindheit zurück, als der Advent noch unendlich lange dauerte.

Danke

 
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