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Das Ziegendrama findet nicht in den Bergen statt

Das Geschäft mit der Ziegenmilch hat eine dunkle Seite.

Von einem Leben auf saftigen Wiesen können die tausende Artgenossen der Osttiroler Ziegen nur träumen. Foto: Expa/Groder
Von einem Leben auf saftigen Wiesen können tausende Artgenossen der Osttiroler Ziegen nur träumen. Foto: Expa/Groder
Die Ziege ist ein besonderes Tier, das unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdient hat. Eine Freundin, die lange Jahre in der Schweiz als Ziegenhirtin gearbeitet hat, ist von den Qualitäten der Ziege so sehr überzeugt, dass sie es abgelehnt hat, Schafe zu hüten. Schafe seien unintelligent, konstatierte sie, wohingegen Ziegen anders seien, wählerischer in Futterfragen, feinsinniger in ihrem Wettergespür und klüger, was ihr Sozialverhalten betrifft. Ziegen seien in der Lage, selbst schwierigste Hindernisse zu überwinden. Wenn nun Osttiroler Ziegen nicht gänzlich unterschiedlich zu Schweizer Ziegen sind und ich meiner Freundin trauen darf, dann besteht die berechtigte Hoffnung, dass die neun Ziegen und das eine Schaf aus eigener Kraft einen Weg ins Tal finden, ohne dass Hubschrauber aufsteigen müssen und Menschen in Gefahr kommen. Keinen Ausweg hingegen finden die Ziegen, die in der Milchproduktion Hollands oder Frankreichs oder Deutschlands in Massentierhaltung dafür sorgen, dass die Nachfrage nach Ziegenmilchprodukten gedeckt wird. Ziegenmilch ist in. Bei Menschen mit Laktoseintoleranz ebenso wie bei Gourmets. In Buchenasche gerollter Ziegenkäse verkauft sich prächtig, mit Honig gratiniert ist er von kaum einer Speisekarte wegzudenken und die Kosmetikbranche stellt Säureschutzmäntel mittels Ziegenmilch wieder her. Behauptet sie jedenfalls. Außerdem sei Ziegenmilch gesund. Und so sehr ich das für die Milch fröhlich freisinnig grasender Ziegen – so sie nicht gerade in Schnee und Eis gefangen sind – glauben will, so stimmt das wahrscheinlich für die Milch ihrer Artgenossinen nicht, die eben in Holland oder Frankreich oder Deutschland abgemolken werden. Das Tier, das früher als die Kuh der armen Leute und auch wegen des besonders bei Böcken sehr einprägsamen Geruchs gerade von Milchbauern nicht hoch geachtet wurde, muss sich nun im Dienste einer wachsenden Nachfrage vermehren, was das Zeug hält. Denn die Ziege gibt nicht einfach so Milch. Sie muss dafür werfen. Meist hat eine Ziege einen Doppelwurf. Einmal im Jahr. Dann ist Pause. Normalerweise Winterpause. In der gibt die Ziege keine Milch. Für ca. 4 bis 5 Monate. Dann geht’s wieder los. Wenn alles mit recht natürlichen Dingen zugeht. Aber die Nachfrage für Ziegenmilch besteht das ganze Jahr über und übersteigt in Deutschland bei weitem die innerdeutsche Produktion. Drum muss die Ziege überlistet werden. Ab da wird’s neben der kaum artgerechten Massentierhaltung in Ställen unnatürlich. Da wird die biologische Uhr mittels hormongetränkter Schwämme im Muttertier umgestellt, da sehen Ziegen ähnlich Masthühnern wie Schweinen kein Tageslicht mehr, da wird am Tag/Nachtrhythmus geschraubt, damit die Ziege gibt, soviel sie kann. Ihre Kitze sieht sie nie wieder. Wenn diese Glück haben, dann sind sie weiblich und werden aufgezogen. Wenn sie Pech haben, dann sind sie Böcke. Was mit ihnen passiert, ist unbekannt. Soll heißen, keiner sagt so recht, was mit ihnen passiert. Bundesministerien geben nur vage Auskunft, Züchter halten sich zurück, selbst das sonst so auskunftsfreudige Internet hält sich mit Informationen zurück. Ein befreundeter Käsehändler berichtete mir von einem holländischen Ziegenmilchbetrieb, in dem 16.000 Ziegen stehen würden. Die sollen im viermonatigen Wechsel im Dreischichtbetrieb werfen. Ziegenmilch für’s ganze Jahr. Bei 16.000 Ziegen und einem Doppelwurf kämen wir rein rechnerisch auf 32.000 Kitze. Bei einer 50/50 Geschlechterparität käme man auf 16.000 männliche Kitze. Der Markt für Ziegenfleisch in Europa ist überschaubar. Vor allem für magere männliche Nachkommen von Milchziegen. We feed the world, manchmal auch per Schredder. Wie gesagt, Auskunft gibt darüber keiner. Weder Ministerien noch Zuchtverbände. Da schaut vielleicht auch keiner so genau hin. Weil das schon alles seine Ordnung hat. Weil sowas in zivilisierten Ländern nicht vorkommt, dass Tiere zu Abfallprodukten werden. Da fällt es leichter einen Bauern Tierquäler zu schimpfen, weil auf einem Osttiroler Berg neun Ziegen und ein Schaf stehen. Die Neun und das Eine haben noch gute Chancen mit dem Leben davon zu kommen. Und wenn nicht, so haben sie wenigstens ein Leben gehabt, das andere ihrer Art so nie kennen gelernt haben. Die wahren Ziegendramen spielen sich woanders ab.  
Marcus G. Kiniger wurde 1969 in Wien geboren. Seine Familie kam 1976 nach Sillian, wo der gelernte Tourismuskaufmann und ambitionierte Musiker bis 2008 lebte, bevor er nach Hamburg übersiedelte. In Norddeutschland vertreibt Kiniger Produkte aus Tirol. Er schreibt für dolomitenstadt.at die Kolumne "Waterkantiges" und ist auch regelmäßiger Autor im DOLOMITENSTADT-Printmagazin.

11 Postings

Churchill
vor 11 Jahren

Danke schön!

 
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Beatrix Herzog
vor 11 Jahren

... Waterkant ist ein norddeutsches Wort für Küste. Hat wahrscheinlich mit dem Wohnort des Autors zu tun.

 
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Churchill
vor 11 Jahren

Der Artikel befindet sich unter der Kategorie "WATERKANTIGES", was bedeutet dieser Begriff?

 
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Gertrude
vor 11 Jahren

Danke für diesen Beitrag. Ich hätte niemals gedacht, dass es auch bei Ziegen Massentierhaltung, mit all ihren Auswirkungen, gibt. Unsere Tochter ist Vegetarierin und so haben sich die Essgewohnheiten für die ganze Familie geändert, Gott sei Dank.

 
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SusiCat-frankfurt
vor 11 Jahren

Guter Artikel und Mutmach-Kommentare ... Es gibt Möglichkeiten sich mit Gleichgesinnten zu organisieren sich gegenseitig MUT (MUT-Partei / Albert Schweitzer Stiftung) zu machen ... Die nächste Gelegenheit wird bei der Europawahl sein - denn diese Menschen-, Umwelt- und Tierausbeutenden Systeme arbeiten länderübergreifend! Doch jeder kann täglich Beispiel geben und seine Kinder, Enkel, Freunde, Nachbarn, Studenten, Mitarbeiter liebevoll aufmerksam machen, dass Gewinnmaximierung kein Lebensinhalt sein muss ...

 
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e ist mc2
vor 11 Jahren

Echt toller Artikel! Leider ist der Mensch nur noch auf Gewinnmaximierung ausgerichtet, egal ob dabei seine ganze Umwelt ausgesaugt und zerstört wird. Ich frage mich nur, wie lange das alles noch gut geht, bis unsere Erde einmal kollabiert...dann wird man wohl nicht mehr jeden Tag alles bekommen, ohne das man anscheinend einfach nicht mehr leben kann oder eher will.... Es wäre wohl längst die Zeit des Nachdenkens gekommen, wie weit man diese Art der Ausbeutung noch treiben will....

 
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Wundawuzzi
vor 11 Jahren

Nicht nur in Holland ,Frankreich und Deutschland gibt es grosse Abmelkbetriebe. Auch in Österreich gibt es solche (wenn auch kleinere) und auch da hier zu lande ist es unklar ,was mit den männlichen Kitzen passiert.Aber der Tiroler Ziegenzuchtobmann kann da sicher fundiert Auskunft darüber geben. Wenn man spottbillig einkaufen will ,darf man sich auch keine Gedanken über die Produktion ebendieser "Lebensmittel " machen. Kleine naturnah produzierende Betriebe ,wie unsere Bauern hier in Osttirol müssen der Tierproduktionsindustrie weichen und wir alle fördern diese Entwicklung. Geiz ist wirklich geil.

 
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tauernwind
vor 11 Jahren

Ich find den Artikel auch ausgezeichnet, DANKE !

 
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beobachter52
vor 11 Jahren

Ausgezeichneter Kommentar des "Deutschland-Korrespondenten"! Gut recherchiert, klar geschrieben und ohne "tier- (oder umwelt-)schützerische Keule" so verfasst, dass jede(r) die Botschaft verstehen müsste!

 
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spitzeFeder
vor 11 Jahren

Werdet nicht müde, solche Artikel zu publizieren! Welch erfrischende, ungeschminkte Sicht der Tatsachen - Hut ab! Ich schließe mich gerne dem Dank von stesom an.

spitzeFeder

 
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stesom
vor 11 Jahren

DANKE!!!

 
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