„Neonazis in Osttirol“ – Experten am Wort
Karl Öllinger: „Nicht ignorieren oder verharmlosen, sondern für Thema sensibilisieren.“
Man muss kein sensibler Beobachter sein, um auf die zahlreichen Aufkleber im Stadtgebiet von Lienz aufmerksam zu werden. Die Pickerl mit einschlägigen Sprüchen – in Augenhöhe positioniert an Laternen, Verkehrsschildern und Schaufenstern - weisen seit Jahren auf die rechtsextreme Gesinnung der Aktivisten hin. Und sie wollen paranoide Ängste schüren – vor „Zuwanderung“ und „Überfremdung“.
„Hinter den meisten dieser Aktionen verbirgt sich die Initiative Der Volkstod kommt, die eng mit der Alpen-Donau verbunden ist“, weiß der grüne NR-Abgeordnete Karl Öllinger, der am 9. Mai nach einem ausführlichen Pressegespräch gemeinsam mit dem Rechtsextremismus-Experten Reinhold Gärtner der Einladung der Grünen Osttirols zu einem Info- und Diskussionsabend nachgekommen war. „Es geht den Aktivisten um Polarisierung, Panikmache und Konfrontation, nicht um Kommunikation und Kompromiss“, betonte Gärtner.
Während die Aktionen mit Aufklebern bundesweit deutlich zurückgingen, präsentiere sich dieses Problem in Osttirol als virulent, betonte Öllinger, der sich seit Jahren intensiv mit der rechten Szene in Österreich befasst und Betreiber der Homepage "Stoppt die Rechten" ist. Hier listet der Bundespolitiker auch alle Neonazi-Aktionen im Bezirk Lienz auf.
Öllinger bezeichnet Osttirol als Region mit besonderen Neonazi-Aktivitäten: „Unter der Oberfläche existiert eine eher kleine, allerdings massiv rechtsextreme Gruppe, die seit rund 10 Jahren mit Aktionen kontinuierlich auf sich aufmerksam macht.“ Am Beginn dieses Zeitraums stand der Freitod zweier Jungnazis im Dezember 2001, über den verschiedene Versionen kursierten, die u.a. via Postwurfsendung der AFP (Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik) verbreitet wurden.
In den Folgejahren kam es im Bezirk wiederholt zu Neonazi-Konzerten, Propaganda, aber auch zu Gewalttaten, die, so Öllinger, immer wieder rasch aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwanden. Zwischenzeitlich saßen einige Protagonisten des harten Kerns, der laut Öllinger in Osttirol aus rund zwei Dutzend Neonazis besteht, hinter Gittern. Aktuell läuft am Bezirksgericht ein Prozess gegen einen amtsbekannten Neonazi, der wiederholt gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe gewalttätig wurde.
Auch wenn Vorfälle Jahre zurückliegen, müsse von Schulen, Jugendarbeit und politischen Einrichtungen die öffentliche Auseinandersetzung mit Jugendlichen geführt und Aufklärung geleistet werden“, so Öllinger. „Gerade junge Menschen, die noch keine Perspektive im Leben gefunden haben, sind anfällig für die rechte Ideologie.“
Neonazismus komme besonders stark zum Ausdruck in der Fußballszene, in Musik und im Internet. Öllinger: „Ein hoher Prozentsatz von Jugendlichen hat Kenntnis von Songs mit rechtsextremen Texten. Experten des Dokumentationsarchivs sprechen von 30 bis 40 Prozent. Und es tut sich Gewaltiges in den Netzwerken.“
Die Haft von verurteilten Neonazis verstärke oft die Gesinnung und statte den Täter mit einem Mythos aus, der wiederum für junge Nacheiferer und Sympathisanten sorgt. Umso bedeutender seien die Prävention und das positive Hervorheben von couragierten Menschen, die während der NS-Zeit Widerstand leisteten.
Kritische Worte fand Öllinger bei einem Pressegespräch vor der Diskussion für die Polizei: „Sie hat häufig die Tendenz, die rechtsextremen Aktivitäten zu verharmlosen und als Raufhandel abzutun. Ich bin unzufrieden mit dieser Haltung, da sie mit dazu beiträgt, zuzudecken.“
Das Ignorieren und Verharmlosen führe zu keiner Lösung, so der gemeinsame Tenor der beiden Podiumsgäste, die über zwei Stunden mit rund 70 Interessierten im Kirchenwirt diskutierten.
Fotos Veranstaltung Kirchenwirt: Brunner Images
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